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»Lehrmeister ist die Krise selbst«

\"SPÖ-WirtschaftssprecherChristoph Matznetter über Österreich als All-inclusive-Hotel, Zukunftsmärkte und das Roulettespiel mit Währungsspekulationen.

Von Angela Heissenberger

Nach nächtelangen Marathondebatten wurde knapp vor Weihnachten das neue Budget im Nationalrat beschlossen. Bei Familienbeihilfe und Pflegegeld sind Einsparungen von 1,4 Milliarden Euro vorgesehen, Steuererhöhungen sollen zusätzlich 1,2 Milliarden Euro in die Kassen spülen. SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter über Österreich als All-inclusive-Hotel, Zukunftsmärkte und das Roulettespiel mit Währungsspekulationen.

(+) plus: Wie steht Österreichs Wirtschaft aus Ihrer Sicht momentan da?

Christoph Matznetter: Wir haben überraschenderweise ein besseres Jahr 2010 hinter uns, als wir noch 2009 – am tiefsten Punkt der Krise – angenommen hatten. Zwei wesentliche Gründe sind dafür verantwortlich: Erstens die Exportnachfrage – im asiatischen Wirtschaftsraum und in Lateinamerika haben Investitionen in die Infrastruktur, aber auch Kaufkraftzuwächse ein entsprechendes Plus ausgelöst. Zweitens hat offensichtlich die Steuerreform 2009 gewirkt. Wir hatten kaum einen Einbruch durch die Wirtschaftskrise, heuer hat der Privatkonsum mit 1,1 Prozent schon spürbar zugenommen. Wir sind de facto auf dem Niveau von 2008. Die KMU und die Industrie konnten mit Kurzarbeitsregelungen die Arbeitsplätze halten. Wir liegen auf Platz eins der Arbeitslosenstatistik in Europa. 

(+) plus: Woher kommt dann diese große Unsicherheit unter den ArbeitnehmerInnen? Aktuelle Umfragen zeigen, dass viele UnternehmerInnen wieder etwas optimistischer in die Zukunft blicken, ArbeitnehmerInnen jedoch nicht. Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären?

Matznetter: Weil jeder weiß: Die Krise ist noch nicht vorbei. Es gibt auch negative Zeichen. Eines davon ist die Investitionsbereitschaft der österreichischen Wirtschaft. Wir hatten 2009 einen Einbruch von 7,1 Prozent bei den Bruttoanlageinvestitionen, von diesem niedrigen Niveau heuer erneut ein Minus von 3,1 Prozent. Das wird sich mittelfristig in schlechterer Entwicklung der Unternehmen, aber auch in niedrigen Beschäftigungsraten auswirken. Die ArbeitnehmerInnen merken, da wird zu wenig gemacht.  

(+) plus: Etliche Fördertöpfe, etwa der staatlichen Förderbank aws, werden aber gar nicht ausgeschöpft. Warum sind die Unternehmen so zurückhaltend?

Matznetter: Da muss man unterscheiden: Die großen Unternehmen holen sich ihre Förderungen ab. Wo wir Probleme haben, sind die Förderungen für KMU und EPU. Dort sind wir auf die Banken angewiesen, deren Bereitschaft ist aber sehr reduziert. In der Bankfiliale wird Ihnen, wenn überhaupt, ein Betriebsmittelkredit verkauft. Die wollen gar nicht, dass ihr Bankkunde weiß, dass es einen Klein-ERP-Kredit mit 1,5 Prozent Zinsen auf fünf Jahre gibt.

(+) plus: Viele Unternehmer klagen, von ihrer Bank überhaupt keinen Kredit zu bekommen. Die Banken streiten strengere Vergabekriterien ab. Wer hat Recht?

Matznetter: Hier ist die Politik gefragt, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Von Bankenseite wird eine höhere Eigenkapitalquote verlangt, aber ein Investment mit irgendwelchen windigen CEOs wird gleich behandelt wie ein KMU. Dabei ist die Ausfallswahrscheinlichkeit viel geringer, weil ja die Menschen nicht verschwinden. Gerade bei den Kleinkrediten haften alle bis zum Großpapa.

(+) plus:
Sie waren vor kurzem mit einer Wirtschaftsdelegation in Südostasien. Welche Chancen sehen Sie dort für österreichische Unternehmen?

Matznetter: Die asiatischen Nationen fragen, warum wir Europäer nicht viel stärker mit ihnen auf gemeinsame Regeln drängen. Malaysia etwa lässt sich nichts mehr von den Kapitalmärkten diktieren und hat neun Prozent Wachstumsrate. Daraus kann man lernen.

Die größten Chancen haben wir in den Bereichen Verkehr, Tourismus, Green Energy und Gesundheit. Vom Kraftwerk über Schienenbau, Krankenhausausstattung, Logistik und Software spielt hier alles mit. Die­se Länder investieren intensiv in ihre Infrastruktur und suchen die besten technologischen Lösungen. Unsere Firmen gelten außerdem als faire Partner. Die Global Player werden oft als Kolonialmächte gesehen, die etwas von oben herab diktieren wollen. Unsere Firmen liefern die gleiche Qualität, streben aber keine marktbeherrschende Stellung im Land an.

(+) plus: Welche Wirtschaftsräume haben Sie noch im Fokus?

Matznetter: Wir sind gut im Osten, inklusive Russland bis Kasachs­tan. Schwächen haben wir in Südostasien, Lateinamerika und Afrika. Die Größe des asiatischen Raums wird immer unterschätzt, hier müssen wir verstärken. Ebenso Lateinamerika: Mit mehrfachen Besuchen versuchen wir, die Möglichkeiten dort besser zu nutzen; vor allem in Brasilien, Argentinien, Chile, aber auch in Mexiko. Traditionell gute Beziehungen, noch aus der Kreisky-Zeit, haben wir im arabischen Raum – die gilt es natürlich weiter zu pflegen. Afrika ist ein Kontinent, den überhaupt alle ignorieren. Aber das Beispiel Südafrika beweist, dort ist Entwicklung möglich. Hier sind nachhaltige Strukturen gefragt.  

(+) plus: Die Wirtschaftsdelegationen werden immer sehr medienwirksam inszeniert. Aber wie viele Geschäfte kommen im Zuge dieser Besuche tatsächlich zustande? Gerade in diesen Ländern sind Abschlüsse ja mit einer sehr langen Vorlaufzeit versehen.

Matznetter: Bei den Besuchen verkaufen wir eigentlich die Erfolge der Vergangenheit. Im Mai war ich beispielsweise mit Außenminister Spindelegger in Brasilien. Mit dabei waren zum Teil dieselben Firmen wie schon 2008 beim Besuch mit Bundeskanzler Gusenbauer. Diese Unternehmen haben dort inzwischen eine Reihe von Projekten laufen. Aber wer interessiert sich zwei Jahre später dafür? Wir haben halt weniger Berichterstattung, dafür Exporterfolge. Da bin ich auch glücklich. 

(+) plus:
Österreich entwickelt sich zum Hochsteuerland. Ist nicht die Zeit langsam reif für Steuersenkungen?

Matznetter: Da geht’s um die Definition. In vielen Ländern werden die Leistungen aus der Sozialversicherung nicht als Staatsquote gerechnet. Der typische amerikanische Mittelstandsbetrieb hat natürlich mit knapp über 34 Prozent eine deutlich niedrigere Steuer- und Abgabenquote. Wenn er aber die Krankenversicherung für sich und seine Beschäftigten sowie die Pensionsvorsorge mitrechnet, ist der arme Amerikaner viel teurer unterwegs. Bei uns machen allein die Sozialversicherungsbeiträge 20 Prozent des BIP aus. Das ist, als würde man ein All-inclusive-Hotel mit einem leeren Zimmer vergleichen, wo man für das Frühstück noch einmal 50 Euro drauflegen muss.

Was wir aber mit Sicherheit haben, ist ein völliges Ungleichgewicht der Besteuerung von Arbeit und Kapital. Nur knapp mehr als die Hälfte des BIP stammt aus Arbeit, aber 90 Prozent der Steuern und Abgaben kommen aus diesem Bereich. Die Finanzwirtschaft, deren Erträge mittlerweile fast 45 Prozent des BIP ausmachen, zahlt jedoch nur zehn Prozent der Steuern. Das ist eine totale Schieflage. Jetzt bessern wir einen Teil davon aus – mit Vermögenszuwachssteuern, neuen steuerlichen Vorschriften für Stiftungen, Einschränkungen bei den Konzernbesteuerungen und der Bankenabgabe.

(+) plus: Wie zufrieden sind Sie mit dem soeben beschlossenen Budget?

Matznetter: Seit Ende der 80er-Jahre, als ich noch kleiner Steuerberater war, kämpfe ich darum, in die andere Richtung zu gehen. Wir haben einen langen Atem gebraucht. Der Plan von Bundeskanzler Faymann, die Arbeit zu entlasten und Vermögen und Kapital mehr zu besteuern, ändert endlich diese falschen Strukturen.

(+) plus: Wie war diese Richtungsänderung ausgerechnet mit einem ÖVP-Finanzminister möglich?

Matznetter: Auch die ÖVP hat 2013 eine Nationalratswahl. In Österreich gibt es 140.000 Millionäre. Von denen könnte man viel Geld holen, aber eine Wahl wird die ÖVP damit nicht gewinnen. Die ÖVP bekommt ein Problem, wenn sie Partikularinteressen von Freunden und Funktionären vertritt und nicht die Gesamtbevölkerung. Das hat sie offenbar begriffen.

(+) plus: Ein Kernpunkt des Budgets ist die Bankenabgabe, die 500 Millionen Euro an Einnahmen bringen soll. Die Banken haben aber bereits durchklingen lassen, das zumindest teilweise auf die Kunden abzuwälzen.

Matznetter: Da werden sie Schwierigkeiten bekommen. Denn von den ca. 700 Instituten in Österreich zahlen gerade einmal zwei Handvoll die Bankenabgabe. Der Großteil – alle kleinen Sparkassen, Raiffeisenbanken, Volksbanken usw. – ist davon ausgenommen, weil wir bis eine Milliarde Bilanzsumme keine Steuer verlangen. Dann wird die große Bank erklären müssen, wieso die kleine Bank gegenüber keine Gebühren erhöht hat. Es wird eine Seite geben, die zahlt – und das sind die Aktionäre. Das waren auch die Begünstigten aus unserem Bankenpaket. Deren Aktienkapital wurde von den Steuerzahlern gerettet. Die Summe aus Körperschaftssteuer und Bankenabgabe ist ohnehin nur ein Bruchteil dessen, was die Banken noch vor 15 Jahren gezahlt haben. Das ist nicht Jammern auf hohem Niveau, das ist ungerechtfertigtes Jammern.

(+) plus: Schauen wir in Richtung EU: Eine harmonisierte Finanzpolitik war das große Ziel, um künftig Spekulationen vorzubeugen. Sind wir davon nicht weiter entfernt denn je?

Matznetter: Das stimmt nicht ganz. Wir haben erstmals eine Hedgefonds-Regelung, zugegebenermaßen unzureichend. Aber wir haben nun eine makroökonomische Aufsicht für Banken, Versicherungen und Kapitalmarkt in Europa. Das gab es bisher nur auf nationaler Ebene. Wir haben leider keine Finanztransaktionssteuer, das stimmt. Aber auch Basel III beinhaltet entsprechende Regulierungen und damit die Chance, hier etwas zu erreichen.

Was in Ihrer Frage implizit steht, ist: War das eine ausreichende Lehre aus der Krise? Nein. Europa wird – übersetzt auf österreichische Verhältnisse – von einer Art Landeshauptleutekonferenz regiert. 27 Mitgliedsstaaten einigen sich auf einen Kompromiss, der dümmer ist als jeder einzelne der 27 Vorschläge.
Japan befindet sich seit 20 Jahren in der Krise. Staaten wie Malaysia, Thailand oder Indonesien sind gefallen wie die Dominosteine – Japan nicht. Da reden wir über Portugal mit 93 Prozent und Griechenland mit 113 Prozent Schulden – die Japaner haben 200. Wie machen die das? Ganz einfach: Keiner der Spekulanten, die sich 1998 die Finger auf der Herdplatte verbrannt haben, traut sich gegen Japan zu spekulieren. Da rückt nämlich die gesamte Schlachtflotte aus und steuert aktiv dagegen, was im Übrigen jede Bank bei Währungsspekulationen auch tut.

(+) plus: In Europa haben wir für diese Fälle jetzt ein Sicherheitsnetz, wo die anderen Mitglieder für die strauchelnden Staaten in die Bresche springen.

Matznetter: Damit haben wir aber auch die teuerste Variante gewählt. Wir nehmen selbst Kredite auf, um den anderen Mitgliedsstaaten Kredite zur Verfügung zu stellen. Nach dem Motto: Um unabhängig von Handwerkern zu sein, schnitze ich mir mein Werkzeug selbst – von einem Extrem ins andere. Europa wäre gut beraten gewesen, eine proaktive Anti-Spekulations-Politik zu schaffen, also der Europäischen Zentralbank oder einer anderen Institution zu erlauben, aktiv dagegen zu spekulieren. Das hätten sich die Fonds dann gleich abgewöhnt. So wird es aber noch lange weitergehen, da sind Milliardengewinne drin. Wie ein Roulettespiel, bei dem ich immer mehr rote Felder zuschalten kann, wenn ich auf Rot setze.

(+) plus: Wie erklären Sie sich dann die zögernde Haltung der EU?

Matznetter: Der Leidensdruck ist offenbar noch nicht groß genug. Wenn Sie mir auf Ebay etwas verkaufen, das Sie gar nicht besitzen, ist das Betrug. Aber mit einer Wertpapiernummer dürfen Sie das problemlos machen. Dieser Lernprozess ist lang. Ich fürchte, wir müssen noch viele Hausaufgaben machen. Der Lehrmeister ist die Krise selbst. Sie wird mit dem Rohrstaberl über uns herfallen und wiederkommen. Oder wie Stephan Schulmeister sagt: Wir sind möglicherweise nicht am Ende der Krise, sondern gerade erst am Ende vom Anfang angekommen. Das heißt, die eigentliche Krise kommt noch.

 

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