»Ich habe keine Berührungsängste«
- Written by Redaktion
- font size decrease font size increase font size
Rudi Schicker, Wiener Stadtrat für Stadtentwicklung und Verkehr, zieht im Interview ein erstes Fazit über den Stadtentwicklungsplan 05, präsentiert die Reserven für den Wohnbau der Zukunft, ortet Aufholbedarf im Querverkehr und erklärt, warum er private Investoren mit offenen Armen empfängt.
Report: Im Stadtentwicklungsplan von 2005, dem STEP 05, hat die Stadt Wien sehr ehrgeizige Ziele formuliert. Die Standortfaktoren sollten verbessert werden, um im internationalen Städtewettbewerb bestehen zu können, die Lebensqualität durch großzügige Grün- und Freiflächen optimiert und die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut werden. Aktuell ist der STEP in der Evaluierungsphase. Wie lautet Ihr zwischenzeitliches Fazit?
Schicker: Ein ganz wesentliches Kriterium eines Stadtentwicklungsplan ist der sorgsame Umgang mit der vorhandenen Fläche. Wien legt dabei großen Wert auf die Erhaltung des frei zugänglichen Grünraums. Mehr als 50 Prozent der Fläche Wiens sind auch heute noch Freiraum. Das geht allerdings nur, wenn es gelingt, das Wachstum der Stadt mit den übrigen Flächen zu bewältigen. Das klappt in Wien sehr gut. Mitverantwortlich dafür ist eine vorausschauende Definition von Übergangszonen. Das sind ehemalige Industrie- und Bahnareale, die heute für die Schaffung von Wohnraum genutzt werden. Da haben wir schon sehr viel in Angriff nehmen können, was im STEP 05 dokumentiert ist.
Bezüglich der Standortfaktoren, hat sich in der Krise gezeigt, dass Wien dank zukunftsträchtiger Stärkefelder wie der Biotechnologie oder der Kreativwirtschaft eine sehr viel robustere Wirtschaftsstruktur hat, als von vielen angenommen. Wien hatte am Höhepunkt der Krise deutlich geringere Arbeitslosenraten als die anderen Bundesländer und die Arbeitslosenzahlen sind auch früher wieder gesunken.
Report: Ein zentraler Bestandteil der Stadtentwicklung ist der Wohnbau. Aktuell ist in Österreich ein drastischer Rückgang im Neubau zu beobachten. Es droht eine empfindliche Verteuerung des Wohnens. Wie will die Stadt Wien dieser Entwicklung entgegentreten?
Schicker: Österreich erlebt zur Zeit tatsächlich einen dramatischen Rückgang im Wohnungsneubau. Allerdings kann sich Wien hier positiv abheben. Wir sind das einzige Bundesland, das die Gelder der Wohnbauförderung auch tatsächlich für den Wohnbau verwendet. Aber natürlich ist auch der Wohnungsmarkt in Wien angespannt. Wien hat seit Jahren eine positive Geburtenrate und wächst zudem durch Zuzug. Wien ist vor allem für junge EU-Bürger sehr attraktiv. Das ist für das demografische Gleichgewicht der Stadt sehr wichtig. Dazu kommt, dass seit Mitte des Jahrzehnts mehr als 50 Prozent der Wiener Haushalte Single-Haushalte sind. Das bedeutet einen enormen Bedarf an neuem Wohnraum. Deshalb verwendet Wien nicht nur die Gelder der Wohnbauförderung, um diesen Bedarf zu decken, sondern schießt auch eigenes Geld zu. 7000 Wohnungen entstehen Jahr für Jahr. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, muss man sehr vorausschauend denken. Wir sind ständig auf der Suche nach großen Arealen, die wir dem Wohnbau zuführen können, wie etwa die innerstädtischen Bereiche Nordbahnhof und Südbahnhof oder das ehemalige Flugfeld Aspern. Dazu gibt es noch einige Reserven wie Rothneusiedl oder die Industriegebiete im Süden Wiens. Außerdem unterziehen wir die Stadt einem kontinuierlichen Screening nach frei werdenden Flächen, etwa Industriebetriebe, die an den Stadtrand abwandern, oder Kasernen, die das Heer nicht mehr braucht.
Report: Ist auch das nötige Kleingeld für die Erschließung dieser Areale vorhanden?
Schicker: Es macht von den Kosten her kaum einen Unterschied, ob ein altes Industrie- oder Bahnhofsareal umgewidmet und für den Wohnbau adaptiert wird oder ob am Stadtrand auf der grünen Wiese neu gebaut wird. Aus stadtplanerischer Sicht hat aber natürlich immer die Nutzung von Flächen im Siedlungsverband Vorrang gegenüber dem Neubau auf der grünen Wiese. Bezüglich der Kosten muss man natürlich festhalten, dass die Krise die öffentlichen Haushalte doppelt getroffen hat, denn den geringeren Steuereinnahmen stehen erhöhte Sozialausgaben gegenüber.
Report: Zudem wird von der öffentlichen Hand erwartet, antizyklisch zu investieren, um die Konjunktur anzukurbeln.
Schicker: Das ist richtig und das haben wir in den letzten Jahren auch getan. Jetzt springt die Konjunktur wieder an, das heißt aber nicht, dass die Steuertöpfe dann sofort wieder gefüllt sind. Wir werden sicher in den nächsten zwei Jahren noch geringere Steuereinnahmen haben. In dieser Zeit werden wir uns hauptsächlich der Fertigstellung bereits begonnener Projekte widmen.
Report: Welche Schwerpunkte wollen Sie in Zukunft in der Verkehrsinfrastruktur setzen?
Schicker: Neben dem Ausbau des Regionalverkehrs gemeinsam mit den ÖBB müssen einige Gegenden mit schienengebunden Fahrzeugen nachgerüstet werden. Wir haben etwa jenseits der Donau bald drei U-Bahnen. Da gibt es im Querverkehr natürlich Aufholbedarf. Im innerstädtischen Bereich geht es vor allem darum, Parkraum zu schaffen. Auch die Umfahrung Wien muss weiter vorangetrieben werden. Die spürbare Erleichterung im Norden Wiens durch das Projekt »Ypsilon« schreit förmlich nach einer Verbindung von Süßenbrunn und Schwechat in Form von Donau- und Lobautunnel. Natürlich in einer für Umwelt und Anrainer erträglichen Form mit Einhausung und Lärmschutz.
Report: Wie soll sich Wien aus stadtplanerischer Sicht positionieren: als Wirtschaftsstandort im Herzen Europas, als Tourismusmetropole oder als Großstadt mit hoher Lebensqualität?
Schicker: Ich denke, man kann das alles unter einen Hut bringen. Tourismus alleine wäre für unsere Stadt zu wenig. Tourismus ist in Wien ein wichtiges Nebenprodukt, kann aber nicht Backbone der Wirtschaft sein. Wien wird auch in Zukunft für gehobene Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung stehen. Wien steht natürlich auch für eine hohe Lebensqualität. Die entsteht aus der gleichmäßigen Verteilung des Wohlstands. Ich möchte weiterhin eine Stadt haben, die Lebensqualität für alle bietet. Die soziale Durchmischung ist wichtig und muss so bleiben. Der Universitätsprofessor, der neben der Putzfrau wohnt – das ist Wien und das prägt unsere Stadt. Ein gutes Beispiel für eine gelungene Stadtentwicklung ist aktuell der Brunnenmarkt, wo früher fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund gewohnt haben. Heute wird die Gegend vor allem von Studenten stark nachgefragt und es kommt zu einer politisch gewollten Durchmischung verschiedener Gesellschaftsgruppen.
Report: Stadtentwicklung befindet sich immer auch im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft. Eine Gratwanderung?
Schicker: Es geht bei der Stadtplanung um das Bieten und Schöpfen von Chancen. Dafür braucht es politische Entscheidungen, aber auch die Einbindung des Kapitals. Ich habe da keine Berührungsängste. Wenn ein privater Investor gemeinsam mit einem Developer ein Industrieareal in ein Wohnobjekt verwandelt, dann her damit.
Report: Frank Stronach wurde mit seinen Plänen für Rothneusiedl nicht ganz so freudig empfangen.
Schicker: Dort haben viele Dinge zusammen gespielt. Frank Stronach hat natürlich einen sehr amerikanischen Zugang. Da werden auf unberührten, weiten Flächen ohne die Dichte Europas neue, dichte Standorte geschaffen. In Amerika hat man große Areale zur Verfügung, weitgehend ohne irgendwelche Beschränkungen. Das geht in Europa nirgends und vor allem nicht in Wien. Wir legen sehr viel Wert auf die Qualität des öffentlichen Raums. Die technische Infrastruktur muss stehen und die soziale Infrastruktur muss im Entstehen sein, erst dann werden neue Areale erschlossen. Das unterscheidet sich dann doch sehr stark von Stronachs Herangehensweise.
Report: Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken: Was sind die Highlights und welche Projekte sind suboptimal gelaufen?
Schicker: Als Stadtplaner weiß ich, dass die Dinge in der Regel länger dauern, als von der Öffentlichkeit erwartet. Es ist für mich kein Nachteil, dass die Entwicklung des Nordbahnhofs erst jetzt so richtig Fahrt aufnimmt. Das war zu erwarten. Auch die Donau-City hatte einen langsamen Start. Eines der besten Beispiele für eine gelungene Entwicklung ist der Bereich zwischen Praterstern und Donau. Dieser hat sich dank sehr günstiger Rahmenbedingungen wie der Fußball-Europameisterschaft und einem großen Kardiologenkongress richtig gut entwickelt. Der vorhandene Zeitdruck hat zu einer raschen Fertigstellung geführt, wobei wirklich alle an einem Strang gezogen haben. Dass es auch Projekte gibt, die weniger positiv verlaufen, ist unvermeidbar. Man muss sich etwa generell die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, weit abseits des hochrangigen Verkehrsnetzes zu entwickeln. Schwierig wird es auch, wenn man, wie etwa in Towntown, nicht auf gewachsenem Boden baut. Eine Platte ist ein technisches Werk, das in Schuss gehalten werden muss. Das bedeutet Kosten, die niemals verschwinden. Und Wien hat eigentlich genügend Fläche, so dass man nicht zwangsläufig auf künstliche Bauwerke wie Überplattungen zurückgreifen muss.r