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Zwischenrufe aus Übersee

Wie ein Europäer den Alltag an der US-amerikanischen Ostküste erlebt.

Außerirdischer Amtsschimmel

Akte grovers Mill: Was sich bei der Motorvehicle Authority abspielt, kann nicht irdischen Ursprungs sein.Wer über den heimischen Bürokratiedschungel lästert, ist noch nie in die Verlegenheit gekommen, in den USA ein Auto anzumelden. Ein Erlebnisbericht.

Von Alfons Flatscher, New York

Grovers Mill in West Windsor ist ein historischer Ort und die Nachricht von den Ereignissen, die dort angeblich niemals stattfanden, versetzte die ganze Welt in Angst und Schrecken. Außerirdische seien hier gelandet, verlautbarte ein Radiosender und eine Massenhysterie war die Folge. Dann wurde behauptet, es sei nur ein von Orson Welles produziertes Hörspiel mit dem Titel »Der Krieg der Welten« und keine Nachrichtensendung gewesen. Heute steht in Grovers Mill gleich beim Van Nest Park ein Denkmal, das an jene Radiosendung erinnert, gleich in der Nähe befindet sich die MVA, die Motorvehicle Authority, und wer dort je zu tun hatte, dem kommen Zweifel: Vielleicht ist es doch wahr, vielleicht sind doch Wesen von einem anderen Stern hier gelandet und beginnen im Gewand der gnadenlosen Bürokraten Herrschaft über das Land zu gewinnen.

Wer in dieser Gegend einen Führerschein will und ein Auto anmelden muss, kommt an der MVA in Grovers Mill nicht vorbei. Jeder braucht dort einen Führerschein und jeder braucht ein Auto, es ist das Fortbewegungsmittel, ohne das dort keine Existenz möglich ist. Also ist die MVA eine Behörde mit einer ungeheuren Macht, sie entscheidet über Sein oder Nicht-Sein.

Ich hatte eine Gnadenfrist, drei Monate konnte ich mich mit meinem österreichischen Führerschein und mit meinem aus Österreich mitgebrachten Auto fortbewegen, aber die Stunde der Wahrheit kam, und ich machte mich auf zur MVA nach Grovers Mill, ein erstes Mal, und scheiterte. Ich hatte meinen Pass mit meinem Journalistenvisum dabei, den Kaufvertrag für mein Häuschen, die Bankkarte für das frisch eröffnete Konto, aber dem strengen Beamten war das nicht genug. Um die 6-Punkte-Identitätsprüfung zu bestehen, fehle mir die Sozialversicherungsnummer, erklärte er und sah dabei streng über den Rand seiner ganz auf der Nasenspitze sitzenden Brille. Ich versuchte dem Beamten zu erklären, ich sei Journalist, beziehe mein Einkommen aus Europa und brauche daher gar keine US-Sozialversicherungsnummer. Chancenlos! Ich müsse nach Trenton, die Hauptstadt New Jerseys, zur Sozialversicherungsbehörde eine Nummer beantragen. »Aber mit einem Journalistenvisum krieg ich die nie im Leben«, bettelte ich um Verständnis. »Dann bringen Sie uns das Ablehnungsschreiben. Wir brauchen es amtlich.« Diskutieren war sinnlos, also machte ich mich auf nach Trenton, stellte einen Antrag, von dem ich wusste, dass er abgelehnt werden würde, und eine Woche später war ich wieder in Grovers Mill, mit einem amtlichen Wisch in Händen, der mir bestätigte, legal sozialversicherungsnummerlos zu sein.

Diesmal wachte eine andere Beamtin über den Einlass. Sie sah aus, als gehörte sie der ersten Generation der aus dem Raumschiff von Orson Welles entstiegenen Aliens an. Sie kontrollierte meinen Pass, sie kontrollierte meine Bankkarte, sie kontrollierte den Kaufvertrag meines Hauses, sie kontrollierte das Ablehnungsschreiben der Sozialversicherung — und dann rief sie die Vorgesetzte, die ihre Enkelin hätte sein können. Die kontrollierte alles noch einmal und befand, mir fehle immer noch ein Punkt auf die sechs notwendigen Punkte beim Identitätscheck. Meine Wohnadresse könne ich nicht nachweisen. Völlig eingeschüchtert von so viel Autorität wandte ich ein, dass ich doch den Kaufvertrag für das Haus, in dem ich wohnte, dabei habe. »Ja, aber Sie könnten das Haus ja gekauft haben, ohne dort zu wohnen.« Sie hatte recht, zweifelsfrei, aber bitte, wie bestätigt man in einem Land, in dem es kein Meldewesen gibt, seine Wohnadresse? »Bringen Sie mir eine Rechnung, die Sie an dieser Adresse empfangen haben.« Aber ich hätte Gas-, Strom und Wasser erst umgemeldet und ich wisse nicht, wann ich dort die ersten Rechnungen erhielte. »Ein einfacher Brief genügt auch«, zeigte sie Milde und als ich immer noch nicht verstand, setzte sie nach: »Schreiben Sie sich halt selber einen Brief an diese Adresse.«

American Water, der Wasserversorger der Gegend, rettete mich vor der Peinlichkeit, mir selbst einen Brief schreiben zu müssen. Im dritten Anlauf schaffte ich die Identitätsprüfung, der Cerberus ließ mich durch, bis zur Anmeldung hatte ich es geschafft, und nun ging alles ganz schnell. Ein Foto wurde gemacht, 70 Dollar bezahlt, und ich erhielt einen Berechtigungsschein. »Damit gehen Sie raus, nächste Tür links ins Testzentrum.« Ein leicht triumphierendes Gefühl machte sich breit, ich stellte mich im Testzentrum an, präsentierte siegesgewiss meinen Schein und war in der Erwartung, dass jetzt mein österreichischer Führerschein umgeschrieben werden würde. Aber der Außerirdische hinter dem Schalter meinte nur: »Computer zwei ist frei, nehmen Sie Platz für den Test.«

»Welcher Test?!«, fragte ich, »ich habe auf Ihrer Website gelesen, dass europäische Führerscheine anerkannt sind und nur umgeschrieben werden müssen.«

»Auf unserer Webseite steht so viel Unsinn.« Am Test führe kein Weg vorbei. Ganz unvorbereitet war mir das doch zu viel. Ob es denn Lernunterlagen gebe, die ich mir kurz anschauen könnte, fragte ich. »Ja, gleich da hinten sind die Lehrbücher, aber die sind alle auf Spanisch.« Ganz schön einfallsreich, diese Außerirdischen ...

 

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