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Zwischenrufe aus Übersee

Wie ein Europäer den Alltag an der US-amerikanischen Ostküste erlebt.

Reden um Geld

Diplome werden vergeben, Studienabschlüsse gefeiert. Jetzt haben begabte Redner Hochkonjunktur und sie verdienen gutes Geld.

Von Alfons Flatscher, New York

Im Inszenieren sind die Amis wunderbar und die Abschlussfeiern des akademischen Jahres beweisen: die Schulen wissen, was großes Kino ist und in Princeton, einer der führenden Unis der Welt, war es gleich ein Beinahe-Präsident, der die Bühne betrat und das tat, worin die Amerikaner ungekrönte Weltmeister sind: er redete! Was er sagte, ist so oder so ähnlich vermutlich in hunderten Abschlussreden vorgekommen. Er spann die Legende von der Einzigartigkeit Amerikas im allgemeinen und der versammelten Studenten im besonderen, die das Zeug hätten der Geschichte einen Stempel aufzudrücken und die Zeit in neue Bahnen zu lenken. Womit er nahtlos bei seinem Leitthema, dem Klimaschutz, angelangt war. Der neuen Generation obliege es, die Welt zu retten und die Zweifler und Zauderer in die Grenzen zu weisen, die Wissenschaft ignorierten und mit fadenscheinigen Argumenten ihre wirtschaftlichen Interessen verteidigten. Das Thema kennt man von ihm, damit ist er Nobelpreisträger geworden, aber hier am Campus der Universität wirkt seine Rede, die er um gutes Geld fast überall auf dem Planeten vorgetragen hat, wie eine Einladung an die Studenten, dem Orden der Gralsrittern der Planetenretter beizutreten. Aber schwere Kost allein ist selbst den hellsten aller Köpfe zu viel, und deshalb muss in den 45 Minuten, die Al Gore eingeräumt waren, ein selbstironischen Witz angebracht werden, natürlich einen über den Hauptdarsteller selbst. Frage: »Woran erkennt man Al Gore in einer Gruppe von Geheimdienst-Mitarbeitern?« Antwort: »Er ist der Steife.« Gore hat daraus ein Markenzeichen gemacht und hat damit nach dem Ausscheiden aus der Politik Millionen verdient. Pro Rede kassiert er rund 100.000 US-Dollar und muss sich auch in diesem Feld seinem ehemaligen Chef geschlagen geben. Bill Clinton verlangt das Doppelte. Seit er das Weiße Haus verlassen hat, hat er geschätzte 100 Millionen mit reden und schreiben gemacht.

Buchbar ist Al Gore unter anderem über die Harry Walker Agency, die seit mehr als 67 Jahren Redner vermittelt und dort hat jeder seinen Preis. Ein Bestseller-Autor darf für seinen Auftritt im Konferenz-Zirkus rund 40.000 US-Dollar verlangen, aber: die Kunden sind anspruchsvoll und es ist nicht leicht, sich einen Platz am lukrativen Rednerpult zu sichern. Nick Morgan vom Forbes-Magazin hat einen kleinen Ratgeber für Bezahl-Redner zusammengestellt und ganz oben auf der Liste steht: Sei nicht zu billig! Wer weniger als 10.000 Dollar verlangt, der ist für Walkers Agentur uninteressant. Sie verdient nichts am Billigredner und außerdem: Die Konferenzveranstalter fühlen sich unterfordert, weil hohe Preise mit hoher Qualität gleichgesetzt werden. Reden-Halten ist wie Spitzensport. Die wirklich Guten verdienen sich goldene Nasen.

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