Menu
A+ A A-

Zwischenrufe aus Übersee

Wie ein Europäer den Alltag an der US-amerikanischen Ostküste erlebt.

Ganz schön krank

Das Gesundheitssystem in den USA ist ganz schön krank. Ärzte und Krankenhäuser legen die Kosten willkürlich fest und geraten dafür immer stärker unter Kritik.

Die Geschichte von Herrn Hong wurde Anfang des Jahres in vielen US-Medien breitgetreten, weil sie den trockenen Zahlen einer Studie der Universität von Kalifornien in San Francisco ein Gesicht und einen Namen gab. Herr Hong, eines Tages von schweren Bauchschmerzen gepeinigt, begab sich in die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses. 30 Stunden später wurde er operiert. Alles verlief völlig problemlos – bis dann die Rechnungen kamen. Herr Hong, ein Investmentbanker, machte sich zunächst keine Sorgen. Er war versichert. Leider hatte das Krankenhaus, das er ausgesucht hatte, keinen Vertrag mit seiner Versicherung – und die Rechnung über 59.283 Dollar landete bei ihm. 

»Es gibt keine vernünftige Begründung für die Kosten, die Krankenhäuser verrechnen«, erklärt Renee Hsia gegenüber der New York Times. Die Notfallmedizinerin war Coautorin der Studie, die herausfand: Blinddarmoperationen kosten in einzelnen Krankenhäusern 1500 US-Dollar, in anderen werden bis zu 182.955 Dollar dafür verrechnet. Sie untersuchte 19.368 Fälle, bei denen Erwachsenen unter 60 der Blinddarm problemlos entfernt wurde. »Wir haben einen Preisunterschied vom Zwei- bis Dreifachen erwartet – aber das 100-Fache ist einfach unfassbar.« Renee Hsia hat sich auch die Kosten einer Geburt angeschaut und fand ein ähnliches Bild: Zwischen 3296 und 37.227 US-Dollar verrechneten die Krankenhäuser für die Geburtshilfe. Die Preise haben überhaupt nichts mit den tatsächlichen Kosten zu tun. Viel wichtiger ist die Wohngegend. In »reichen« Vierteln, steigen automatisch die Behandlungskosten.

»Die Art, wie Preise zustandekommen, und die Art, wie für Leistungen bezahlt wird, ist so undurchsichtig wie in keiner anderen Industrie. Für den Patienten ist es sehr schwer, als informierter, preisvergleichender Konsument zu agieren«, sagt Hsia. Die Erwartungen, dass der Affordable Care Act – besser bekannt als »Obama-Care« – daran etwas ändert, ist gering. Das Gesetz konzentriert sich – mit wenig Erfolg – darauf, mehr Versicherte ins System zu bringen und damit die Zahllast einer breiteren Basis aufzuhalsen. Die willkürliche Preisgestaltung bleibt im Kern nicht angetastet. Die Krankenhäuser werden lediglich dazu verpflichtet, ihre Preise für häufig vorkommende Behandlungen öffentlich zu machen. Der Idee der Transparenz hat sich aber das Healthcare Bluebook, eine von zahlreichen Medienkonzernen unterstützte Initiative, verschrieben. Es liefert online Daten darüber, was ein fairer Preis für eine Behandlung in der jeweiligen Wohngegend ist.

10.832 US-Dollar dürfte demnach eine Blinddarmoperation in New Jersey kosten, wenn man vier Tage im Krankenhaus bleibt. Das Bluebook liefert auch gleich Verträge mit den Krankenhäusern mit, die man sich ausdrucken kann, um sie vom Anbieter vor der Operation unterschreiben zu lassen. Weil aber nicht zentral verrechnet wird, braucht man auch einen Vertrag mit dem operierenden Arzt und natürlich mit dem Anästhesisten. Bleibt zu hoffen, dass man vor jedem Krankenhausbesuch ausreichend Zeit hat, den Papierkram zu erledigen ...

Anonymität macht stark
Ewige Rente: Wie Versicherungen rechnen

By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://archiv.report.at/