Der neue EU-Ländervergleich „DESI 2016“ bescheinigt Österreichs digitalem Wandel signifikante Verbesserungen. Aber es ist noch viel zu tun.
Wir befinden uns ohne Zweifel im größten gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturwandel in der Geschichte der Menschheit. Gemeint ist das Leben und Arbeiten in einer digitalen Gesellschaft, in der qualitätsvolle Daten zum zentralen Produktionsfaktor werden und in ihrer betriebswirtschaftlichen Bedeutung mit dem Kapital gleichziehen.
In der nunmehr 4. Industriellen Revolution werden jene gewinnen, die ihren genetischen Code am schnellsten an die vielfach disruptiven Gesetze der Digitalisierung und Datenwirtschaft anpassen. Daher befinden sich heute alle Staaten der Welt in einem permanenten Wettlauf zur Anpassung an die technologischen Entwicklungen.
Der Wandel von einer linearen Gesellschaftsentwicklung analogen Zuschnitts hin zu einer hoch komplexen, vernetzten und digitalen Wirtschaft eröffnet natürlich auch Exerzierräume für Innovationen, in denen eine fortschrittliche Wirtschaft neue Erfolgsformeln finden kann.
Die Europäische Union hat daher mit der „Digital Agenda“ ein Leuchtturm-Programm ausgerufen, mit dem der Kontinent bis 2020 ökonomisch grundlegend reformiert werden kann. Und sie hat auch ein Instrumentarium bereitgestellt, mit dem die Fortschritte der Mitgliedsländer beim digitalen Umbau ihrer Gesellschaften und ihrer Wirtschaftsstrukturen gemessen werden können, um aus den Befunden zielgerichtete Maßnahmen und politische Schwerpunktsetzungen für akute Schwachstellenszenarien ableiten zu können: das Digital Scoreboard mit dem jährlich im Februar neu erscheinenden DESI (Digital Economy and Society Index).
Der DESI – ein zuverlässiger Anzeiger für die digitale Performance
Der „Digital Economy and Society Index“ (DESI) zeichnet die relevanten Faktoren für Europas digitale Performance auf und bewertet die Entwicklung der digitalen Wettbewerbsfähigkeit in den EU-Mitgliedsstaaten. Er umfasst fünf Dimensionen mit jeweils diversen aussagekräftigen Subdimensionen (Indikatoren), die wie folgt gewichtet zu einem Gesamtscore zusammengefasst werden: Connectivity (25%), Human Capital (25%), Use of Internet (15%), Integration of Digital Technology (20%) und Digital Public Services (15%). Insgesamt bewertet der DESI in Ausgabe 2016 an die 30 Indikatoren. Der DESI wurde erstmals 2015 mit Erhebungsdaten des Jahres 2014 für die EU28 sowie für Island, Norwegen und die Türkei veröffentlicht.
Running Ahead: Österreichs Abschneiden im DESI 2016 macht Mut
Unser Land hat sich im DESI 2016 gegenüber der Vorjahrswertung im Gesamt-Ranking nur um einen Platz von Position 13 auf Platz 12 verbessert. Das scheint auf den ersten Blick nicht spektakulär. Da die EU bei ihrer neuen Ausgabe des DESI aber nicht nur das Gesamtscore eines Landes erhob, sondern diesen Wert auch in Beziehung zum EU-Durchschnitt setzte, wodurch das Tempo der digitalen Entwicklung eines Landes im europäischen Vergleich evaluiert werden konnte, sieht die Bilanz Österreichs schon besser aus. Österreich konnte sich mit seinen Wachstumsraten in den einzelnen Dimensionen des DESI in Summe gemeinsam mit Estland, Deutschland, Malta, Niederlande und Portugal unter den „Running Ahead“ Nationen positionieren. Diese Vorreiterländer liegen im Gesamtscore über dem EU-Durchschnitt und ihr Score ist binnen Jahresfrist auch schneller gewachsen als der ermittelte EU-Durchschnitt. Der DESI bescheinigt diesen Ländern eine gute Jahresperformance und erkennt in ihrer Geschwindigkeit bei der digitalen Transformation ein mächtiges Potenzial für die Zukunft.
Ländlicher Breitbandausbau muss verstärkt werden
In der Dimension „Connectivity“ ist Österreich im DESI 2016 gegenüber der Erstausgabe des Index um zwei Plätze, von 12 auf 14, abgerutscht. Sowohl die Versorgungsdichte mit Festnetz-Breitband (99% der Haushalte), als auch die Leistbarkeit von Breitband (0,85% des Durchschnittseinkommens für einen Breitbandanschluss) sind in Österreich vorhanden. Bei der Nutzung von Breitband sind die Österreicher aber eher zurückhaltend: Im Festnetz beträgt die Teilnehmerrate 65% der Haushalte, bei mobilem Breitband ist die Nutzungsratio 67:100 (67 von 100 Personen). Ähnlich verhält es sich bei der Next Generation Access-Coverage: Zugang haben 89% der Haushalte, aber nur 21% der gesamten Breitbandverträge entfallen auf schnelle Verbindungen mit über 30 Mbit/s. Am Land liegt der NGA mit nur 21% sogar unter dem EU-Durchschnitt von 28%. Die nunmehr eingeschlagene Breitbandstrategie des Bundes möchte jedoch bis 2020 einen nahezu universellen Zugang zu ultraschnellem Internet sicherstellen. Hoffentlich kein leeres Versprechen!
Beim „Human Capital“ hat sich Österreich signifikant verbessert. Nach Platz 14 im Jahr 2015 belegte unser Land heuer Platz 8. Bei der Internet-Nutzung (16 bis 74 Jahre) und bei den digitalen Grundfähigkeiten schneidet Österreich mit den Plätzen 11 bzw. 9 über dem EU-Durchschnitt ab. Besonders erfreulich ist die Entwicklung bei Graduierten in den Fächern Technik und Naturwissenschaften im Alter zwischen 20 und 29 Jahren. Mit 22 Absolventen pro 1000 Individuen eroberte Österreich hinter dem UK (24) und Frankreich (23) quasi die Bronzemedaille.
Wir haben einen digitalen Facharbeitermangel
Großen Verbesserungsbedarf gibt es allerdings - wie fast überall in Europa - bei den IKT-Spezialisten. Gemessen an den gesamten unselbständig Erwerbstätigen fallen nur 3,8% in die Kategorie IKT-Spezialisten, womit Österreich mit Platz 15 im Ranking gegenüber dem Vorjahr nicht zulegen konnte. Wenn wir den aufstrebenden Digitalisierungstrend im Land in den kommenden Jahren nicht aufs Spiel setzen wollen, müssen wir in der Bildungspolitik und in der Berufsausbildung neue Wege gehen. Neben akademisch gebildeten MINT-Abgängern (Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler, Techniker) braucht eine moderne Netzwerk- und Datengesellschaft vor allem Praktiker, die Netzwerke und Clouds programmieren, konfigurieren und warten können. Gefragt sind auch mehr Spezialisten in elektronischen Domänen wie zeitgemäßer Verschlüsselung und sicherer Account- und Zutrittsverwaltung. Zur Beseitigung dieses Engpasses müssen neue Berufsbilder und Ausbildungsinhalte formuliert und von beruflichen Fachschulen und Ausbildungsunternehmen umgesetzt werden. Hier ist vor allem die politische Innovationskraft des Arbeits- und Sozialministers gefragt!
Geringe Affinität für Entertainment im Internet
In der Dimension „Use of Internet“ überrascht Österreich im DESI 2016 mit Platz 25 (2015: 24) in negativer Hinsicht. Die private Internetnutzung wurde anhand der Subdimensionen News, Music Videos and Games, Video on Demand, Video Calls und Social Networks gemessen. Trotz digitaler Skills über dem europäischen Durchschnitt bleibt die Erkundung vielfältiger multimedialer Angebote im Netz eher bescheiden. Am ehesten werden noch Nachrichten aus dem Web abgefragt (67% der 16-74-jährigen), was Platz 21 im Ranking bedeutet. Selbst bei Social Networks betrug die Nutzungsrate nur 54% (Platz 25). Die Österreicher fokussieren bei der Internet-Nutzung stärker auf praktische Anwendungen wie Online-Banking (59% / Rang 14) oder Shopping (68% /Rang 9).
Europameister bei elektronischen Rechnungen
In Österreich hat die Wirtschaft in der Beobachtungsperiode in höherem Maße als bisher auf den Einsatz digitaler Technologien vertraut, was sich im DESI 2016 mit einer Verbesserung um 3 Plätze gegenüber 2015 und Rang 10 niederschlägt. Die beste Performance in der Dimension „Integration of Digital Technology“ hat unser Land bei „eInvoices“ abgeliefert. 25% der heimischen Unternehmen versenden ihre Rechnungen auf digitalem Weg, womit man in der EU von Platz 11 im DESI 2015 zum Spitzenreiter aufstieg. In die Gegenrichtung im Ranking ging es bei Electronic Information Sharing; nach Platz 2 beim letzten DESI, landete Österreich nur mehr auf Rang 8. Social Media werden in den Unternehmen erst peripher wahrgenommen. Mit 16% der Unternehmen, die interaktive soziale Medien für Kundenkommunikation und Produktmarketing nutzen, reichte es im DESI 2016 zu Rang 14, womit Österreich einen Platz im Ranking gutmachen konnte. Die KMUs haben aber noch immer ihre Schwierigkeiten, im Online Commerce Fuß zu fassen. Nur 14 % der heimischen Unternehmen verkaufen auch über Netzkanäle, womit unser Land über Rang 17 im DESI nicht hinauskam. Bei den am stärksten digitalisierten Sektoren der Wirtschaft wie dem Tourismus zeigt sich jedoch ein anderes Bild. 10% der österreichischen Klein- und Mittelunternehmen verkaufen ihre Produkte und Dienstleistungen grenzüberschreitend, was Rang 6 im DESI Ranking bedeutet. Im EU-Durchschnitt beträgt der Anteil an SMEs mit Cross Border Selling-Aktivitäten nur 7,5%.
Bei digitalen öffentlichen Services weiter steil nach oben
Nach Rang 9 im DESI 2015 hat Österreich im neuen Index weitere Plätze gutgemacht und sich als sechstbestes Land in der Dimension „Digital Public Services“ gut positioniert. Auch bei Open Data befindet sich die Republik in den Top 5 (Platz 5). In der Dimension „Digital Public Services“ muss Österreich vor allem die Qualität ihrer Online-Dienste und Bürgerservices stärker promoten, damit auch die Akzeptanz, Amtsdienste über Internet (Online-Formulare) in Anspruch zu nehmen, weiter wächst. Vergangenes Jahr machten 37% der gesamten Internet-Anwender Gebrauch von öffentlichen Online-Diensten, womit wir uns mit Rang 13 nur im europäischen Mittelfeld platzieren konnten.
Dieser Beitrag ist am 30. Mail 2016 im Blog "United Clouds of Europe" erschienen: https://www.fabasoft.com/de/group/newsroom/united-clouds-of-europe
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