Im Nachgang der Finanzkrise 2008 haben die Zentralbanken auf der Welt die Geldschleusen aufgerissen und die Finanzmärkte mit billigem Geld geflutet. Weltweit wurden mehr als zehn Billionen Dollar an frischer Liquidität aus dem Nichts geschaffen, spiegelbildlich wurden die Leitzinsen auf, teilweise sogar unter Null Prozent gesenkt.
Die Fed hat zwar begonnen, ihre Bilanz zu verkürzen indem sie Liquidität einsammelt, wird ihr Vorhaben aber per September stoppen. Zwischenzeitlich war das Portfolio der Zentralbank auf rund 4,5 Bill. Dollar angewachsen. Es wird per September voraussichtlich bei rund 3,7 Bill. Dollar liegen und dann nicht weiter abnehmen. Damit ist es um Größenordnungen größer als in der gesamten Zeit vor 2008. Andere Zentralbanken, wie die EZB und die BoJ, haben an ihrem expansiven Kurs festgehalten.
Nach unten manipulierte Preise führen stets zu Fehlallokationen. Das ist beim Geld nicht anders. Künstlich billiges Geld begünstigt zunehmende Verschuldung, insbesondere auch der öffentlichen Hand. Damit wird aber auch die Belastung durch den Schuldendienst immer größer, der dann für produktivitätsfördernde Vorhaben nicht zur Verfügung steht.
Sind die Zinsen niedrig, verschulden sich Haushalte, um Immobilieneigentum zu kaufen, das sie sich nur leisten können, weil die Zinsen so niedrig sind. Unternehmen kaufen mit geliehenem Geld lieber eigene Aktien zurück als Produktivitäts-steigernde Investitionen zu tätigen – das lässt ihre Gewinne besser aussehen als sie sie tatsächlich sind (KGV wird gedrückt). Regierungen nutzen billiges Geld etwa für Transferleistungen (um Wähler-Stimmen zu „kaufen“), Infrastruktur-Investitionen zur Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität kommen zu kurz.
Um ein Gefühl für die Höhe der Misallokation von Kapital zu bekommen, kann man den sogenannten Wicksell-Spread heranziehen, wie Niels C. Jensen in seinem aktuellen Newsletter herleitet:
Der schwedische Ökonom Knut Wicksell argumentierte im ausgehenden 19. Jahrhundert, der Kapitalismus funktionere dann am besten, wenn die durchschnittlichen Kapitalkosten von Unternehmen zwei Prozent höher liegen als das natürliche Wachstum einer Volkswirtschaft. Sind die Kapitalkosten zu hoch, bremst das die Investitionsbereitschaft und damit künftiges Wachstum. Sind sie zu niedrig, befeuert das einen Kredit-induzierten Boom mit Misallokation von Kapital und Inflation. Beides führt letztlich zur Destabilisierung der Wirtschaft.
Es hat sich allgemein eingebürgert, die zehnjährigen Renditen von Baa-gerateten Unternehmens-Anleihen als Maß für die Kapitalkosten zu nehmen. Als Maß für das „natürliche“ Wachstum wird i.d.R. das jährliche Wachstum des nominalen BIP genommen. Der Wicksell-Spread ergibt sich dann als Differenz dieser beiden Werte.
Nähert sich eine Volkswirtschaft einer Rezession, steigt dieser Spread an. 2001/2002 wurden so in den USA 6% erreicht. Im November 2008 waren es sogar über 10%. Im April 2017 erreichte der Wert sein jüngstes lokales Maximum bei fast 2,3%, aktuell liegt er um Null Prozent, also nach Wicksell zu niedrig.
Um zu einer Vorstellung über die Höhe des misallozierten Kapitals zu kommen, substrahiert man den Wicksell-Spread von 2% (dem „Optimum“), multipliziert das Ergebnis mit dem nominalen BIP, sowie der jeweiligen Schuldenquote und akkumuliert die Ergebnisse, so Jensen.
Man kann sich lange darüber unterhalten, ob das Optimum bei 2% liegt. Auch über andere Annahmen kann man geteilter Meinung sein. Man erhält dennoch Ergebnisse mit denen man verschiedene Volkswirtschaften vergleichbar machen kann.
Für die USA erhält man folgendes Bild, aus dem hervorgeht, dass der Anteil des misallozierten Kapitals am BIP aktuell größer ist als 2008 (Chartquelle).
Damit liegen die USA keineswegs im oberen Bereich. Den Spitzenplatz nimmt die VR China ein mit einem BIP-Anteil von 77% an misalloziertem Kapital. Auf dem zweiten Rang liegen Australien und Deutschland. Bei Australien dürfte der dortige Immobilienboom eine wichtige Rolle spielen. Bei Deutschland ist es die Mitgliedschaft einer produktiven Wirtschaft in einer unproduktiven Währungsunion, die zu viel zu geringen Kapitalkosten für das Land und damit zu hoher Misallokation von Kapital geführt hat, wie Jensen ausführt (Chartquelle).
In Großbritannien beträgt das misallozierte Kapital bezogen auf das BIP aktuell 16% (Chartquelle).
Das Erstarken des „Populismus“ macht das Problem der Misallokation von Kapital nicht kleiner. Dies sieht man aktuell besonders deutlich an Italien, wo die von „populistischen“ Kräften gesteuerte Regierung keineswegs an unproduktiven öffentlichen Ausgaben zu sparen gedenkt – und das bei ohnehin schon extrem hoher Staatsverschuldung.
Zahlreiche andere historische Beispiele zeigen, dass „Populisten“ darauf aus sind, Kredit-finanzierte Geschenke für ihre Klientel aus dem Hut zu zaubern. Ob sich das zunächst wesentlich vom Verhalten der etablierten Politik unterscheidet, die ebenfalls gerne Wahlgeschenke auf Pump verteilt, sei dahingestellt.
Was auch immer die zunehmende Misallokation des Kapitals begünstigt und die Produktivität einer Volkswirtschaft leiden lässt, umso geringer wird das jährlich erarbeitete Mehrprodukt der Gesellschaft ausfallen. Damit aber verschärft sich der Verteilungskampf, dem wirtschaftlich schwächeren Teil der Bevölkerung wird ein immer geringerer Anteil daran zugestanden. Das verstärkt die ungleichmäßige Verteilung von Einkommen und Vermögen und begünstigt die Tendenz zum „Populismus“ weiter.
Wenn sich zum Populismus Nationalismus gesellt und der Hass auf einen externen Feind gelenkt wird, geht die Entwicklung in die nächste Runde. Schaffen „populistische“ Kräfte den Sprung in die Regierung eines Landes, nehmen sie immer offenere autoritäre Züge an. Gegen den äußeren Feind wird militärische Aufrüstung auf Pump finanziert, was das Problem der Misallokation verstärkt mit den beschriebenen Konsequenzen für die gesellschaftliche Produktivität und die Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die autoritäre Propaganda muss dann auf immer höheren Touren laufen. Die Spirale dreht sich weiter und endet ab einem bestimmten Punkt unausweichlich in einem Krieg. Das ist auch eine der Lehren aus der jüngeren deutschen Geschichte (siehe hier!).
Der Zusammenhang von Misallokation von Kapital – zunehmender Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen – Anwachsen des „Populismus“ führt rasch zu einem Teufelskreis. Die Gefahr wird dann immer größer, dass demokratisch verfasste Staaten destabilisiert werden und autoritären Strömungen anheim fallen.
Zum Thema siehe auch: