In unseren Mainstream-Medien wird der gegenwärtige „Handelskrieg“ auf die Frage fairer grenzüberschreitender Preise reduziert. Was „fair“ ist, wird im Zweifelsfall so definiert, dass die Preise zu den eigenen Gunsten ausfallen. Aber es geht um viel mehr.
Solche Situationen wie die jetzige mögen mehr oder weniger plötzlich auf die weltpolitische Bühne treten, aber ihre Ursachen liegen lange zurück und lassen sich auch nicht einfach dem Wirken einzelner Staatenlenker zuschreiben. Im Falle unseres „Handelskriegs“ lassen sie sich bis zum Ende des Bretton Woods Systems zurückverfolgen, mit dem über die Freizügigkeit des Kapitals und die Freigabe der Wechselkurse die moderne Globalisierung begründet wurde.
Diese Entwicklung erreichte um die Jahrtausendwende eine neue Stufe – die Wachstumsraten der industrialisierten Länder begannen zu sinken, in den USA wurde der Glass-Steagall-Act abgeschafft und die VR China trat nach längeren Verhandlungen 2001 der WTO (World Treaty Organisation – Welthandelsorganisation) bei. Diese drei Faktoren stehen in engem Zusammenhang, wie später noch deutlich wird.
Die WTO-Beitrittsbedingungen wurden noch unter US-Präsident Clinton ausgehandelt und begründeten die heute aktuellen Handelsbeziehungen mit China. Knackpunkte in den acht Jahre währenden Verhandlungen waren die Forderungen nach Abbau von Import- und Exportzöllen, Lockerung der Beschränkungen für ausländische Firmen auf dem chinesischen Markt, Abbau der Benachteiligung von ausländischen Firmen gegenüber Firmen mit staatlichen Investitionen, sowie die Schaffung von Rechtssicherheit.
China kam zwar den Forderungen der anderen WTO-Mitglieder entgegen, aber eine Symmetrie wurde nicht erreicht. Es gibt nach wie vor Ungleichgewichte bei Zöllen, so werden für den Import von amerikanischen Kraftfahrzeugen nach China z.B. 25% Importzoll fällig, während für die umgekehrte Richtung nur 2,5% anfallen. Und das ist nur ein Beispiel unter vielen.
Viel wichtiger: Ausländische Firmen können sich nicht mit einer eigenen 100%-igen Tochter im chinesischen Markt etablieren, sondern nur über Joint-Ventures mit einem Anteil von maximal 50%. Umgekehrt gibt es für chinesische Unternehmen z.B. in Deutschland kaum Hürden, deutsche Firmen zu kaufen oder sich mit eigenen Töchtern zu engagieren. Diese Joint-Ventures öffneten dem Transfer von westlichem Knowhow nach China Tür und Tor. Zwar wird zurecht beklagt, dass andere chinesische Firmen dieses westliche Knowhow einsetzen, um eigene Produkte am Weltmarkt anzubieten. Aber das ist auch Folge der Herausgabe von geistigem Eigentum im Rahmen von solchen Joint-Ventures.
John Mauldin liefert folgenden (unbelegten, aber plausiblen) Hintergrund zum WTO-Beitritt Chinas: In den 1990er Jahren war Finanzminister Rubin unter Clinton mit den Beitrittsverhandlungen China-WTO befasst und bestand auf Symmetrie in den Handelsbeziehungen. Dann verstrickte sich Clinton in den Lewinsky-Skandal und brauchte einen Erfolg. Rubin erzielte aber keine Fortschritte in Richtung Marktzugang und Garantien hinsichtlich geistigen Eigentums. Daraufhin betraute Clinton Außenministerin Albright mit der Aufgabe. China blieb hart, sie lenkte schließlich ein und Clinton hatte seinen Erfolg – aber mit dem Ausverkauf westlichen Knowhows war der Grundstein für ein langfristig lausiges Geschäft für die Realwirtschaft gelegt.
Auf der anderen Seite leitete Rubin, der spätere Citigroup-CEO, mit der Abschaffung des Glass-Steagall-Act die Deregulierung des Finanzsystems ein, die Wettbewerbsfähigkeit US-amerikanischer Geschäftsbanken wurde gestärkt und so kamen insgesamt allseits großartige Bedingungen für die Finanzindustrie heraus, eingeschlossen der wenn auch begrenzte Zugang zu Chinas Kapitalmarkt. (Eine langfristige Folge dieser Deregulierung war der offene Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 – aber daran dachte damals natürlich kaum einer.)
Der folgende Chart verdeutlicht für die USA die relativ bessere Entwicklung der Finanzindustrie gegenüber der nicht-Finanzindustrie. Betrachtet man nur den Zeitraum zwischen Herbst 1999 und Mitte 2005, so ist der BIP-Anteil der Finanzindustrie um rund 150% angestiegen, der der nicht-Finanz-Industrie lediglich um rund 60%. Schlagend auch der Rückgang des Anteils der Löhne und Gehälter am BIP in dieser Zeit von gut 47% auf gut 43%. Natürlich spiegelt sich in den Werten nicht allein der Einfluss der aufkommenden Geschäfte mit China wider, aber er dürfte einen wichtigen Beitrag geleistet haben.
Im großen Bild fällt natürlich auf, wie stark sich in den USA die Finanzindustrie in den zurückliegenden mehr als fünf Dekaden relativ zur nicht-Finanz-Industrie entwickelt hat. Seit 1969, also kurz vor dem Ende des Bretton Woods Systems mit dem Beginn der modernen Globalisierung, ist der Anteil der Gewinne der Finanzindustrie am BIP um 180% angewachsen, der der nicht-Finanz-Industrie um magere 3%.
Insgesamt sieht die Sache meiner Meinung nach damit so aus: Im Interesse ihrer eigenen Gewinne im Geschäft mit China hat die alles dominierende Finanzindustrie für einen faulen Kompromiss beim WTO-Beitritt von China gesorgt und den Ausverkauf westlichen Knowhows billigend in Kauf genommen. Der “foreign direct investment restrictiveness index“ der OECD misst die Ungleichheit bei ausländischen Investitionen. Er zeigt für China einen Wert von 33%, für die USA einen von 9% und für Deutschland einen von 2,5% (Chartquelle).
Mit dem Beitritt zur WTO begann China US-Staatsanleihen zu kaufen, um den Dollar relativ zur eigenen Währung und somit die Chancen der eigenen Export-Industrie zu stärken. Dies stand im Einklang mit der damaligen politischen Linie, zur Werkbank der Welt zu werden und auf diesem Wege die eigene Wirtschaft zu stärken. Vor einigen Jahren leitete China eine Wende ein – es wurde die Devise ausgegeben, die inländische Wirtschaft zu entwickeln, die „Werkbank“-Rolle spielt fortan nicht mehr die erste Geige (siehe hier und hier!).
Kürzlich wurde Xi Jinping zum lebenslangen chinesischen Staatspräsidenten bestimmt. Das Land scheint politisch stabil. Xi kann den Fokus auf langfristige wirtschaftliche und politische Ziele legen, die Industrie-Initiative „Made in China 2025” und die Infrastruktur-Initiave „Belt and Road”. Damit verbunden ist eine ausufernde Verschuldung. Die wird irgendwann zum Problem werden – aber wann?
„Made in China 2025“ sieht vor, die Fertigungs-Produktivität zu steigern, Technologie-intensive Sektoren auf- und auszubauen und bei Schlüssel-Materialien und Komponenten einen Selbstversorgungs-Anteil von 70% zu erreichen. Diese gewaltigen Ziele werden zentral gesteuert und finanziert. So wurden z.B. 2016 232 Mrd. Dollar in Forschung und Entwicklung investiert.
„Belt & Road“ ist ein gigantisches Infrastruktur-Programm. Aber nicht nur das. Während die USA nach dem Zweiten Weltkrieg über internationale Institutionen und Handelsabkommen ihre Weltmacht-Stellung festigten und dabei seinerzeit knappes Kapital zur Verfügung stellten, geht China mit dieser Initiative den Weg, sich mit der eurasischen Landmasse physisch, d.h. über Güterströme, zu verknüpfen (Chartquelle).
Das Vorhaben wird manchmal auch als „neue Seidenstraße“ betitelt und gemäß dem historischen Vorbild soll es den Einfluß Chinas festigen und unverzichtbar machen. Am einen Ende liegt China, am anderen Europa. Diese Handelswege entziehen sich dem Einfluss der USA, die auf den Seewegen dominiert und die Handelsflüsse dort recht leicht stoppen könnte. Die kleineren asiatischen Länder auf dem Weg nach Europa sollen letztlich in ein Renminbi-basiertes Zahlungssystem eingebunden werden und so die chinesische Währung zu internationalen Leitwährung machen.
Trump mag, sagen wir es einmal nachsichtig, zu spontan sein, um die großen Zusammenhänge im Hintergrund zu sehen. Aber die Kreise, die hinter ihm stehen und ihn steuern, haben sehr wohl das große Bild vor Augen. Es geht letztlich nicht um ein paar Zölle, auch nicht um geistiges Eigentum, das sie im Sinne ihrer eigenen Profite mit leichter Hand längst weg gegeben haben – es geht um die Vormachtstellung auf der Welt. China wurde groß als „Werkbank“ der Welt und die herrschenden Kreise an Wall Street haben wohl lange gedacht, sie könnten mit ihrem Kapital China erobern, so wie sie das nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Ende des Bretton Woods Systems überall konnten.
Dieser Weg scheint im Falle China nicht zu funktionieren. Der Vorstoß Trumps ist womöglich als letzter Versuch in dieser Richtung gedacht, aber es spricht nicht viel dafür, dass er gelingt. Wahrscheinlich wird China ein paar Zugeständnisse machen, mehr aber auch nicht. Es wird seine Grenzen mit Sicherheit nicht öffnen für einen ungehinderten Kapitalverkehr. Möglicherweise gelingt es, eine Art Koexistenz zu etablieren, indem beide Seiten in gewissem Umfang einen halbwegs fairen Handel etablieren. Trump könnte das als persönlichen Erfolg verkaufen, die globale Machtfrage wird jedoch weiter schwelen. Womöglich ist die chinesische Führung so „cool“, Trump seinen „inneren Reichsparteitag“ zu gönnen. Dann können sie ungestörter fortfahren, ihre eigentlichen Interessen zu verfolgen.
Damit steht hinter dem „Handelskrieg“ USA-China aber auch eine große Zeitenwende. Es ist für mich kaum vorstellbar, dass die dominierenden Finanzkreise in den USA sang- und klanglos den Rückzug antreten. Sie dürften sicher versuchen, China ökonomisch zu destabilisieren. Die Achillesferse des Landes ist die hohe Verschuldung und, ja, auch die zentrale Planung der Wirtschaft (siehe z.B. hier und hier!). Aber das mit der Verschuldung gilt genauso für die USA und Trump muss die Einnahmeausfälle aus der Steuerreform und andere Projekte mit neuen Schulden finanzieren. Und China hat immer noch über drei Bill. Dollar an Währungsreserven, zum großen Teil in US-Staatsanleihen – Potenzial für erhebliches Störfeuer. Andererseits ist der Dollar immer noch die Welt-Leitwährung und die USA werden alles tun, um ihn vor den Karren ihrer Interessen zu spannen (siehe hier!).
Ausgang derzeit offen…
Man kann es auch nicht oft genug sagen: Die Gefahr einer kriegerischen Auseiandersetzung auf der Welt steigt mit der beschriebenen Machtfrage – zunächst in der Form von Stellvertreterkriegen. Was dann kommt? Hoffen wir das beste…
[Unter Verwendung von Material aus "China Plays it Cool"]
Hinter dem “Handelskrieg” steht ein Kampf um die Vorherrschaft in der Welt zwischen den USA und der VR China. Der Plan, mittels US-Kapital auch China zu erobern, scheint nicht aufzugehen. Das hatte nach dem Zweiten Weltkrieg und erst recht nach Ende des Bretton Woods Systems sonst auf der Welt meist gut funktioniert. Daher könnte hinter dem “Handelskrieg” übergeordnet eine größere Zeitenwende stehen. Die herrschenden Kreise in den USA werden nicht kampflos aufgeben, die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen dürfte wachsen.