In dieser nach Dow dritten Phase eines bullischen Primär-Trends wuchert die Spekulation, Kurse werden v.a. von Hoffnungen und Erwartungen getrieben. Immer mehr uninfomierte Anleger steigen ein. Das “Smart Money” der ersten Stunde verkauft hingegen nach und nach, weswegen aus dieser Sicht auch von einer Distributionsphase gesprochen wird.
Große professionelle Anleger reiten solche Phasen noch weiter, wenn auch mit abnehmender Überzeugung. In Anlehnung an die Physik spricht Dow vom Beharrungsvermögen, bzw. von Massenträgheit der Indizes. Die Wahrscheinlichkeit spricht zunächst dafür, dass sich der etablierte Trend fortsetzt.
Solche Phasen sind aber auch von zunehmenden Absurditäten und Extremen begleitet. Diese werden zunächst geflissentlich übersehen. Die Medien sind darauf fokussiert, dass sich alles nach außen rosig darstellt und unterstützen so die eingeschlagene Richtung. Oft taucht dann auch das Argument auf, dieses Mal sei alles anders und man müsse sich auf neue Zeiten einstellen.
Absurditäten bleiben jedoch was sie sind. Und es macht immer wieder einmal Sinn, sich ein paar davon vor Augen zu führen. Über das erreichte hohe Bewertungsniveau wurde oft genug berichtet – siehe z.B. zuletzt hier.
Eine weitere Absurdität stellt sich im folgenden Chart dar (h/t John Mauldin – Chart von Michael Lebowitz, 720Global). Er zeigt, wie gleichförmig sich der S&P 500 und die Bilanz der Fed ab 2009 entwickelt haben. Als die QE-Maßnahmen der Fed stoppten, lief auch der S&P 500 eine zeitlang seitwärts und schien ein Topp auszubilden (s.o.).
Dann kam Trump – und der Gleichlauf zwischen der Fed-Bilanz und dem Aktienindex war Geschichte. Jetzt hat die Fed Maßnahmen eingeleitet, um ihre Bilanz zu verkürzen – per 2021 etwa auf die Hälfte (so zumindest der Plan). Der offensichtliche Gleichlauf zwischen Aktienkurs und Fed-Bilanz bis 2016 legt nahe, dass es zwischen beiden eine kausale Verbindung gibt (auch wenn streng genommen daraus keine Ursache-Wirkungsbeziehung abgeleitet werden kann). Es liegt nahe, dass die Geldflut irgendwo landen musste – wenn nicht in der weiterhin nicht gerade überschäumenden Realwirtschaft, dann eben in den Assets der Finanzwirtschaft.
Dieser Zusammenhang scheint seit „Trump“ aufgelöst. Besteht die Verbindung zwischen Liquidität und Aktienkursen jedoch letztlich fort, wovon auszugehen ist, könnte der S&P 500 in den kommenden Jahren um 50% fallen. Aber vielleicht kommt alles anders und die Fed wird ab einem bestimmten Punkt erneut die Geldschleusen aufreißen. Auffallend ist, dass die Geldbasis in den zurückliegenden Monaten wieder expandiert.
Seit „Trump“ sind die Renditen von US-Junk-Bonds deutlich gesunken. Mitte November 2016 hatten sie bei 6,9% gelegen, aktuell kommen sie auf 5,8%. Gleichzeitig strebt der S&P 500 weiter nach oben – seit Ende März reißt das Krokodil sein Maul auf, wie es so schön heißt. Der Cashbetrag, der den Markt-Machern in diesem Segment zur Verfügung steht, ist sehr gering und so haben sie nur wenig Möglichkeiten, den Markt zu stabilisieren, wenn ein Kurseinbruch kommt. Sie sind dann sehr schnell gezwungen, zu verkaufen – mit großen Abschlägen und der Gefahr, dass es zu einer Lawine kommt. Geierfonds stehen bereit, wenn das Krokodil zuschnappt (Chartquelle).
Eine weitere Absurdität betrifft die Verschuldungsquote (h/t John Mauldin – Chart von Grant Williams). Sie kommt für die USA auf gegenwärtig deutlich über 350%. In den frühen 1980er Jahren begann bei 170% eine Schulden-Rally. Historische Untersuchungen legen nahe, dass in industrialisierten Ländern eine Verschuldung von 60% je Sektor (Verbraucher, Unternehmen, Staat) noch geringen Einfluß auf das Wachstumspotenzial einer Wirtschaft haben. Oberhalb von 90% je Sektor sind die Auswirkungen jedoch gravierend. Der folgende Chart zeigt den Verlauf der US-Schuldenquote seit 1870 und Eckpunkte bei der Entwicklung der Aktienkurse.
Der Zusammenhang zwischen Schulden und BIP-Wachstum lässt sich auch anhand eines einfachen Modells zeigen, das Wirtschaftswachstum und Wachstum der Verschuldungsquote in Beziehung setzt. Wächst die Quote schneller als das BIP, kommt es zu Schulden-induzierten Problemen („Trouble“). Der folgende Chart zeigt den Zusammenhang mit Rezessionen, er zeigt aber auch, dass die aktuelle Situation noch nicht nach solchem “Trouble” schmeckt wie zuletzt zwischen Januar und Oktober 2016.
Die Cash-Allokation ist bei den Kunden von Merill Lynch aktuell niedriger als 2007 und mit 10,4% auch deutlich niedriger als der bei 13% liegende Durchschnittswert. Es gibt viele Gründe, die Cash-Quote bei einem Broker so weit zu reduzieren wie gegenwärtig. Sie drückt aber ziemlich sicher aus, dass ein hoher Investitionsgrad vorliegt. Daraus folgt erstens die Frage, woher noch Treibstoff für weiter steigende Kurse kommt und zweitens die Konsequenz, dass im Falle eines Einbruchs der Kurse wenig Liquidität bereit steht, diesen abzufedern. Umgekehrt zeigt dieser Chart auch, wie stark die Cash-Haltung (invers) mit den Aktienkursen zusammenhängt. Und sie gibt „Contrarians“ wichtige Hinweise – zum Boden der Aktienkurse im Frühjahr 2009 war die Cash-Allokation auf ein Maximum bei 21% angestiegen. Achte auf das, was die Masse tut, nicht auf das, was sie sagt.
Noch ein paar weitere Absurditäten von 2017 gefällig?
Ein Bild von Leonardo da Vinci (oder vielleicht von jemand anderem) wird für 450 Mio. Dollar verkauft.
Der Bitcoin-Kurs ist in 2017 um fast 700% angestiegen.
Die BoJ und die EZB haben Liquidität im Umfang von zwei Bill. Dollar geschaffen. Die globalen Schulden sind auf über 225 Bill. Dollar gestiegen, die globale Verschuldungsquote kommt auf über 324%.
US-Firmen haben Anleihen im Umfang von 1,75 Bill. Dollar verkauft.
Europäische high-Yield Bonds rentieren unter zwei Prozent.
Argentinien, notorisch überschuldet, bietet eine Anleihe mit hundertjähriger Laufzeit an und hat keine Mühe, Käufer zu finden.
Illinois, hoffnungslos insolventer Bundesstaat der USA, verkauft Anleihen mit einem Kupon von 3,75%.
Die globale Aktienmarkt-Kapitalisierung steigt um 15 Bill. Dollar auf über 85 Bill. Dollar und erreicht den Rekordwert von 113% des globalen BIP.
Die Marktkapitalisierung von Facebook, Apple, Netflix und Google (FANG) steigt um mehr als eine Bill. Dollar.
Die Volatilitäten im S&P 500 und bei Staatsanleihen erreichen historische Tiefs.
Die Bilanzen der Zentralbanken sind weltweit auf 20 Bill. Dollar angeschwollen – nach sechs Bill. Dollar in 2008.
Selbst schlecht geratete Unternehmensanleihen erzielen partiell negative Zinsen.
Die Ungleichmäßigkeit der Verteilung von Vermögen und Einkommen wird immer krasser.
[Unter Verwendung von Material aus "The Bonfire Burns On"]
In der Phase des spekulativen Exzesses bei Aktien häufen sich die Ungereimtheiten, Extreme und Absurditäten. Aber auch weil sie von besonderen politischen und sozialen Umbrüchen begleitet wird, wird das medial kaum zur Kenntnis genommen. Trotzdem sind das alles Vorboten, dass auch diese Phase zu Ende geht.