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Die Wirtschaft lässt grüßen

Im Wirtschaftsblog der FAZ befasst sich David Kunst mit der Frage, welchen Hintergrund die beiden großen politischen Erschütterungen dieses Jahres haben. Wie der Titel „It’s the economy, stupid“ schon ahnen lässt, sieht er einen klaren ökonomischen Bezug. Nachfolgend eine Zusammenfassung des lesenswerten Beitrags.

Die Verlierer von technologischem Wandel, Globalisierung und institutionellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt hätten ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verliehen, schreibt Kunst. Natürlich gab es Sonderfaktoren wie die Europaskepsis der Briten oder Unzulänglichkeiten von Clinton, aber ohne die starke ökonomische Polarisierung der zurückliegenden 35 Jahre wären sowohl Brexit als auch Trump kaum denkbar. Technologischer Wandel, Globalisierung, sowie die Schwächung von Arbeitnehmerrechten haben in dieser Zeitspanne genau die Wähler benachteiligt, die jetzt die politischen Erschütterungen herbeigeführt haben.

In den USA hat sich eine Mehrheit der Wähler, insbesondere unter den Weißen, ohne College-Abschluss für Trump entschieden. Clinton verbuchte die Mehrzahl der Stimmen von Wählern mit einem solchem Abschluss. Mit Blick auf das Brexit-Referendum zeigt sich ein ähnliches Bildungsgefälle. Unter den Trump-Wählern sagte eine deutliche Mehrheit, ihre finanzielle Situation habe sich seit den letzten Wahlen verschlechtert. Sie zeigten sich auch pessimistischer hinsichtlich der ökonomischen Perspektiven. In Großbritannien zeigt sich bei den Brexit-Befürwortern ein ähnliches Bild.

 

Die Unzufriedenheit vieler Wähler mit ihrer ökonomischen Situation ist nicht eingebildet. Zwischen 1980 und 2015 hat nach einer Studie des amerikanischen Zensus-Büros[1] das durchschnittliche Haushaltseinkommen in den USA zwar um 37% zugenommen, das Medianeinkommen in der Mitte der Einkommensverteilung wuchs jedoch nur um 16%. Seit 2000 ist es sogar leicht gesunken, wie auch die Einkommen der Haushalte weiter unten in der Einkommensverteilung. Auch in Großbritannien hat die Einkommensungleichheit seit 1980 zugenommen, das Medianeinkommen stagniert seit 2000[2]. Das hat auch in vielen anderen OECD-Ländern stattgefunden[3].

 

Hinter der Malaise vieler Arbeitnehmer ohne Hochschulabschluss stecken technologischer Wandel, Globalisierung, sowie die Schwächung von arbeitnehmerfreundlichen Institutionen, schreibt Kunst. Bereits 2003 wurde in einer Studie am MIT[4] vermutet, die Digitalisierung ersetzt in den USA Arbeitnehmer, die Routinearbeit verrichten. Davon sind v.a. Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen betroffen, Hochqualifizierte wurden dank der neuen Technologien noch produktiver. Geringbezahlte Servicetätigkeiten lassen sich hingegen kaum automatisieren. Andere Studien[5] haben bestätigt, dass die Digitalisierung seit den 1980er Jahren in den USA und in Großbritannien wie in zahlreichen anderen OECD-Ländern die Nachfrage nach Arbeitnehmern mit mittlerem Bildungsniveau verringert, die nach hochqualifizierten Arbeitnehmern aber gesteigert hat. Auch der Niedriglohn-Dienstleistungssektor expandierte vielerorts, die Löhne hier stagnierten, u.a. wegen des zusätzlichen Arbeitsangebots der zuvor aus Routinejobs Verdrängten.

 

Die Globalisierung war ein zentrales Thema im US-Wahlkampf. In Großbritannien, dem Mutterland der Industrialisierung, gingen in den zurückliegenden Jahrzehnten ein größerer Anteil seiner Industrie verloren als in anderen entwickelten Länder[6], auch wegen der Konkurrenz durch günstigere Importe. Neuere Forschungen von David Autor und Koautoren zeigen[7], dass in den USA die rasche Ausweitung des Handels mit China nach dem Beitritt des Landes zur WTO im Jahre 2001 starke Auswirkungen auf betroffene lokale Arbeitsmärkte hatte. Löhne und Beschäftigung sanken dort nicht nur in der mit den Importen konkurrierenden verarbeitenden Industrie. Wegen der wegbrechenden Nachfrage breitete sich das auch auf viele andere Branchen aus. Durch den zunehmenden Handel wurden Wohlstandsgewinne über das gesamte Land breiter gestreut, zahlreiche lokale Arbeitsmärkte wurden aber hart getroffen. Hier, in Wisconsin und Michigan, entschied sich der Erfolg für Trump. Auch in Großbritannien fanden Forscher einen starken Zusammenhang zwischen dem Wettbewerb einer Region mit chinesischen Importen und der Zustimmung zum Brexit.

 

Ökonomische Standardmodelle hatten zwar vorhergesagt, dass Freihandel zu Lasten von Geringqualifizierten in reichen Ländern gehen kann, aber viele Ökonomen blieben skeptisch in Bezug auf nennenswerte negative Lohn- und Beschäftigungseffekte. Zwar dürften manche Sektoren im Wettbewerb mit günstigeren Importen schrumpfen, andere aber würden die sich bietenden Exportchancen und wachsen. Zudem würden alle Konsumenten von günstigeren Importgütern profitieren, so die Lehrmeinung.

 

Der dritte Grund bezieht sich einen seit den 1990er Jahren gut erforschten Trend, wonach der Einfluss von Arbeitsmarktinstitutionen sinkt. Ein Faktor dabei sind Gesetze, die Formen der betrieblichen Mitbestimmung erschweren. Das geht ebenfalls zu Lasten von Gering- und Mittelverdienern. Ähnliche Zusammenhänge gelten auch in anderen Ländern. Der IWF hat in einer kürzlich erschienenen Studie[8] festgestellt, dass zwischen 1980 und 2010 der Niedergang der Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und 18 anderen Ländern die Einkommensungleichheit erhöhte. Das gilt nach der Studie unabhängig von technologischem Wandel und Globalisierung (wobei mir, KS, unklar ist, wie man das separieren kann). Gerade in den USA verdient in diesem Zusammenhang der Mindestlohn Erwähnung: Nach zahlreichen empirischen Studien kostet ein moderater Mindestlohn kaum Beschäftigung, erhöht aber die Einkommen von Geringverdienern. Allerdings ist der kaufkraftbereinigte Wert des Mindestlohns in den USA heute niedriger als 1980 – trotz kräftigen Wirtschaftswachstums über den selben Zeitraum.

 

Die meisten Ökonomen glauben, der technologische Wandel und die Globalisierung mehren gesamtwirtschaftlich betrachtet den Wohlstand. Per Saldo gewinnen die gut ausgebildeten, Technologie-affinen Gewinner mehr als die Verlierer verlieren. Eine Politik der Umverteilung könnte die Verlierer ruhig stellen. Genau das ist in den USA und in Großbritannien in den zurück liegenden 35 Jahren nicht geschehen. Laut einer Untersuchung von Branko Milanovic und Janet Gornick[9] ist die Ungleichheit der Markteinkommen der Haushalte vor Steuern und Transferzahlungen in den 19 untersuchten entwickelten Ländern relativ ähnlich. Bei der Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen nach Umverteilung aber sind die USA klarer Spitzenreiter, gefolgt von Großbritannien. Brexit und Trump passierten also ausgerechnet in den beiden Ländern, in denen die ökonomische Polarisierung besonders stark ist.

 

In einem Kommentar zum Artikel von Kunst wird hinsichtlich Eurozone eine wichtige Ergänzung gegeben: Die Personenfreizügigkeit gekoppelt mit der EU-Osterweiterung ist in Europa der massgebliche dritte Treiber für die Ungleichmäßigkeit der Einkommensverteilung, schreibt “Hans Nase”. Ein entscheidender Punkt – auch für die Akzeptanz oder Nicht-Aktzeptanz der EU bei den europäischen Bürgern.

 

Fußnoten:
[1]Income and Poverty in the United States
[2]The income distribution in the UK: A picture of advantage and disadvantage
[3]Auf dem Weg in die Plutokratie
[4]THE SKILL CONTENT OF RECENT TECHNOLOGICAL CHANGE: AN EMPIRICAL EXPLORATION
[5]Estimating the impact of robots on productivity and employment
[6]Why doesn’t Britain make things any more?
[7]The rise of China and the future of US manufacturing
[8]Union power and inequality
[9]Income Inequality in the United States in Cross-National Perspective: Redistribution Revisited

 


 

Was tun? Kunst sieht die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre darin, den Berufstätigen einem größeren Anteil an der Wohlstandsentwicklung zu ermöglichen. Für die entsprechenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen könnten die 15 konkreten Vorschläge zur Verringerung der Ungleichheit von Oxford-Ökonom Tony Atkinson einen Ansatzpunkt liefern. Stärkere direkte Umverteilung sei eine Möglichkeit, Maßnahmen zur Erhöhung der Markteinkommen von Geringverdienern eine andere, schreibt Kunst.

Angesichts der Wachstumsschwäche, die nach 2008 nicht mehr zu übersehen war und die sich immer mehr verfestigt, ist klar, dass der zu verteilende Kuchen immer kleiner wird. Wer wird sich in einer solchen Situation schon gerne die Butter vom Brot nehmen lassen? Etwa der Finanzsektor, der größte Profiteur der Globalisierung seit den frühen 1970er Jahren? Der dürfte wenig begeistert sein. Er wurde nach 2008 erst als System-relevant mit Steuergeldern gerettet – und jetzt soll er schon wieder etwas abgeben?

Und welche etablierte politische Kraft könnte das bewerkstelligen – vom Wollen mal ganz abgesehen? Mit Trump hat die Finanz-Industrie gerade erst einen US-Präsidenten bekommen, der die (ohnehin schwache) Banken-Regulierung der vergangenen Jahre wieder zurück drehen will. Warum wohl haben die Aktien der großen US-Banken seit der US-Wahl so deutlich zugelegt? Hier wittert man Morgenluft.

Mit ein paar (ordnungspolitisch häufig fragwürdigen) kosmetischen Umverteilungsmaßnahmen jedenfalls wird man die auch in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern Polarisierungstendenzen nicht in den Griff bekommen.

 

Immer wieder gerne gezeigt – die Entwicklung der Gewinne von Finanz- und nicht-Finanz-Industrie in den USA als Anteil am BIP seit den 1970er Jahren:

 

 

Nachtrag:
(30.11.16) Ergebnisse einer neuen Studie zum Thema: “Die große Angst, abgehängt zu sein


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