Die Zentralbanken mögen mächtig sein und sich auch so fühlen. Sie haben sich die Nullzins-Politik auf die Fahnen geschrieben, angeblich das einzige Mittel, um die Wirtschaft zu stabilisieren und zu reanimieren. Die Geldflut erreicht diese Ziele nicht, aber sie fahren nach der Devise fort: Viel hilft viel. Sie berauben sich damit letztlich selbst aller Möglichkeiten, ihre Politik verschärft die Probleme, die sie angeblich lösen soll.
Die Fed steht kurz davor, den ersten Zinsschritt nach fast sieben Jahren von Nullzinsen zu beschließen. Sie tut sich mit der Entscheidung schwer und zögert. Wie sollen die Wirtschaftssubjekte da Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung fassen und in die Zukunft investieren? Der Verdacht liegt nahe, dass die Fed Boden unter die Füsse bekommen will, wenn der Konjunkturzyklus weiter abflacht. Dann wäre sie wieder einmal sehr spät dran.
Der folgende Chart zeigt anhand der „Leading indicators“ der OECD (Chartquelle – eigene Ergänzungen), dass derjenige für die USA im Frühjahr unter das langfristige Mittel gefallen ist und heute so tief notiert wie zum Ende der Rezession im Zusammenhang mit der Finanzkrise. Wie das Bild klar zeigt, läuft der Indikator Rezessionen einige Monate voraus und kontrahiert gewöhnlich auch deutlich früher als diejenigen anderer Länder. Im Chart wird auch der recht enge Zusammenhang des US-Frühindikators mit Maxima und Minima beim S&P 500 deutlich.
Die Zentralbanken sind spätestens seit den 1990er Jahren der Meinung, sie könnten den Konjunkturzyklus abfedern. Die „Große Moderation“ hat jedoch nur dazu geführt, dass die makroökonomischen Methoden der Geldpolitik die mikroökonomischen Kräfte aushebeln, die regelmäßig wirtschaftliche und finanzielle Exzesse eliminieren – wenn man sie ihr Werk der permanenten schöpferischen Zerstörung tun lässt. Indem Fed & Co aber den Automatismus der Mikroökonomie außer Kraft setzen, provozieren sie letztlich viel heftigere Schwankungen.
Die Zentralbanken haben mit ihrer Geldpolitik seit Dekaden dafür gesorgt, dass die Verschuldung über jedes realwirtschaftlich verträgliche Maß steigt. Aber das Platzen der Schuldenblase muss tunlichst vermieden werden und veranlasst sie, immer wieder erneut einzugreifen.
Überbordende Verschuldung lässt die Wachstumskräfte erlahmen. Dieser Zusammenhang ist historisch belegt u.a. durch die Arbeiten von Reinhart und Rogoff (siehe z.B. hier und hier!). Die als Reaktion hierauf betriebene Nullzinspolitik mag Schuldner und Gläubiger entlasten. Aber ein zu niedriger Zins hat fatale Folgen. Liegt er unter der Rendite bestehender Assets, liegt es nahe und ist risikoarm, mit geliehenem Geld vorhandene Assets zu kaufen, also z.B. nicht in neue Anlagen zu investieren (siehe hier!). Deren Preise steigen dann so weit, bis sich ihre Rendite dem Zins angenähert hat. Steigt der Zins dann an, werden solche Geschäfte (crashartig) rückabgewickelt. Eine solche Entwicklung wird verhindert, wenn der Zins über der Rendite bestehender Assets liegt, aber unter der erwarteten Rendite bei neuen Anlagen.
Ich hatte hier angenommen, dass ein “richtiger” US-Leitzins heute irgendwo zwischen 1,8% und 2,7% liegen würde. Eine Garantie für echte Investitionen ist das zwar auch nicht, aber die Gefahr von Fehlallokationen nimmt ab. Mit dem Handel mit bestehenden Anlagen wird dann weniger verdient, der Drang, eigene Aktien (auf Pump) zurückzukaufen, wird gedämpft, der Handel mit Schuldtiteln wird selektiver. Das Geld-machen mit Ponzi-Finanzierungen wird unterbunden, die Orientierung auf schnelle Handelsgewinne wird reduziert, distributive Aktivitäten werden zurückgedrängt. Mit höheren Zinsen wären die Voraussetzungen für Produktivitätsfortschritte und damit für Wachstum besser. Und nicht schlechter, wie uns die Zentralbanken weismachen wollen.
Folgende Aspekte sprechen ebenfalls für höhere Zinsen: Von niedrigem Niveau aus steigende Leitzinsen regen zum Sparen an. Vermögen wirft dann wieder laufende Erträge ab, besonders wichtig in einer alternden Bevölkerung. Auch die Kreditnachfrage dürfte mit steigenden Zinsen eher zunehmen, wenn zu erwarten ist, dass sich Darlehen künftig mit steigenden Zinsen wieder verteuern.
Nicht zuletzt würde die Fed mit einem Zinsschritt das Signal aussenden, dass sie Vertrauen in die Stabilität der Wirtschaft hat. Wenn dieses Vertrauen auf die Wirtschaftssubjekte überspringt, könnte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage positive Impulse bekommen. Ob diese Wirkung jetzt noch eintritt, sei angesichts des Stimmungsabschwungs in der Fertigungsindustrie dahingestellt – der ISM-Index ist im November deutlich in den Kontraktionsbereich gerutscht.
Bei der Geldflut-Politik von Fed & Co geht es nur vordergründig („medial“) um die Realwirtschaft. Die Geldflut soll verhindern, dass die Schuldenblase platzt. Es geht darum, die Finanzwirtschaft zu stützen, deren Schieflage wiederum wesentlich auf die Politik der Aushebelung mikroökonomischer Anpassungsprozesse der Zentralbanken zurückgeht.
Geldpolitik ist generell ein hinzukommender Faktor, der realwirtschaftliche Trends verstärken oder schwächen kann. Die Entwicklung der Wirtschaft hängt wesentlich von zwei großen Feldern ab, vom technischen Fortschritt und von demographischer Entwicklung. Auf beide haben die Zentralbanken kaum Einfluss.
Der technische Fortschritt zerfällt in zwei Kategorien, eine Basis-Innovation und in derem Rahmen eine quantitative Weiterentwicklung, den Produktivitätsfortschritt. Basis-Innovationen vollziehen sich in sehr langen Zyklen. Kondratieff hat hierzu wichtige Beiträge geleistet. Neben wissenschaftlich-technischen Aspekten, die die konkrete Art dieses Fortschritts bestimmen, können Investitionen ihren Verlauf beeinflussen. Je mehr eine Wirtschaft distributiven Aktivitäten folgt und damit kreative zurücksetzt, je schlechter ist es um die Entwicklung von Basis-Innovationen bestellt. Die Nullzinspolitik der Zentralbanken unterstützt die distributive Ausrichtung, wie oben gezeigt. Das ist im Sinne der Entwicklung der langfristigen Zukunftschancen einer Gesellschaft kontraproduktiv.
Auch der Produktivitätsfortschritt erfordert Investitionen. In Phasen nachlassender Wachstumskräfte spielt der Aspekt von Produktionsausweitungen eine geringere Rolle. Dafür werden Investitionen bevorzugt, die einen deutlichen Kostenvorteil erwarten lassen. Ihre Rendite ist recht gut kalkulierbar, das passt zu ungewissen Zukunftsaussichten. Solche Ersatzinvestionen werden durch Niedrigzinsen nicht wesentlich behindert. Im Gegensatz zu Erweiterungsinvestitionen, also neuen Anlagen, führen sie gesamtgesellschaftlich zu eher sinkender Beschäftigung.
In einer umfangreichen Studie der Bank of America (siehe u.a. hier!) werden zwei Charts zu den Auswirkungen des Produktivitätsfortschritts gezeigt. Im ersten wird deutlich, in welchem Ausmaß menschliche Arbeitskraft in bestimmten, am unteren Ende der Qualifikationsrangfolge liegenden Berufen abgenommen hat. Zudem hat sich nach Angaben der Bank of America der Anteil der Arbeit am Einkommen in den entwickelten Volkswirtschaften in den zurückliegenden 45 Jahren von in der Spitze 65% auf 58% reduziert.
Eigene Untersuchungen ergeben, dass der Anteil der Arbeit am BIP in derselben Zeit in den USA von 52% auf fast 44% abgenommen hat. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich der Anteil der Unternehmensgewinne stark verbessert hat. Besonders deutlich ist das im Finanzbereich mit plus 158% seit 1969.
Als Paradebeispiel für Ersatzinvestitionen gelten Roboter. Im folgenden Chart der BofA-Untersuchung wird die Dichte der Roboter-Installation gezeigt. Südkorea liegt hier ganz weit vorne, Deutschland auf dem dritten Rang und die VR China bildet das Schlusslicht mit einer Dichte weit unterhalb des Mittelwerts.
Kosten sparen lassen sich mit Robotern auf zwei Arten. Lohnkosten werden reduziert und sie verfallen selbst im Preis. Per 2005 liegen ihre Preise Qualitäts-adjustiert im Mittel bei 25% des Niveaus von 1990. Seitdem sinken sie weiter, die Bank schätzt über die nächsten zehn Jahre einen weiteren Preisverfall um mehr als 20%. Dabei sieht Bank eine kritische Schwelle für den Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Roboter, wenn die Kosten eines Roboters 15% niedriger liegen.
Roboter sind nur ein Element im weiten Feld der Automatisierungstechnik. Unabhängig von dem kreativen Kern, der darin steckt, würde ich solche Investitionen eher der distributiven Seite der wirtschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft zurechnen, wie sich auch am Verlauf der Lohnanteile am BIP ablesen lässt. Ein Ende der Automatisierungswelle ist nicht in Sicht. Die Bank schätzt, dass Roboter innerhalb einer Dekade weltweit mehr als 45% aller Fertigungs-Jobs übernehmen und dabei 9 Bill. Dollar an Arbeitskosten einsparen. Die Zahl der Arbeitsplatz-Verluste käme damit auf grob gerechnet 180 Millionen.
Es gab immer Phasen der massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Technologiesprünge. Und dann saugten neue Industriezweige die Arbeitslosen in recht kurzer Zeit wieder auf. Das ging aber immer einher auch mit neu aufkommenden Basis-Innovationen, die aber in einem Umfeld künstlich niedriger Zinsen und zunehmend distributiver Ausrichtung der Wirtschaft schlecht gedeihen.
Der steigende Automatisierungsgrad führt über Kostensenkungen letztlich auch zu einem Druck auf die Preise, ein Effekt, der sich durch die gesamte Entwicklung der Produktivität der menschlichen Gesellschaft zieht. Das kann unter bestimmten Umständen ein wenig von dem Druck herausnehmen, der von der demographischen Entwicklung kommt.
Mit der demograhischen Entwicklung hatte ich mich in ihrer Wechselwirkung mit der Verschuldung schon hier befasst. Die Studie der BofA zeigt noch einen Chart, den ich nicht vorenthalten möchte. Demnach beträgt das Verhältnis zwischen den über 65-jährigen und den 20- bis 64-jährigen in den entwickelten Volkswirtschaften aktuell knapp 60%, in den am wenigsten entwickelten Ländern sind es nicht einmal 30%.
Wie schwer sich die demographische Entwicklung auswirkt, hängt einerseits mit dem durch die zunehmende Automatisierung bewirkten Ausmaß des Verlustes von Arbeitsplätzen zusammen. Andererseits spielt eine Rolle, wie stark sich die Kostenvorteile durch die Automatisierung darstellen und wie sehr sie der breiten Bevölkerung zugute kommen. Ich habe da so meine Zweifel…
Verfechter der Finanzindustrie wie Larry Summers sehen mit Theorien etwa von der säkularen Stagnation schwarz, erklären Übertreibungsblasen kurzerhand für wirtschaftlich stimulierend und plädieren in letzter Konsequenz für die Abschaffung des Bargelds, damit die Zentralbanken mit ihrer Geldflut ungehindert fortfahren können. Das ist in sich logisch und zugleich dem, was eigentlich getan werden müsste, diametral entgegengesetzt.
Es geht darum, kreative Kräfte frei zu setzen. Bargeld ist ein monetärer Ausdruck von Unabhängigkeit und persönlichem Spielraum. Nur in einem solchen Klima kann in modernen Gesellschaften Kreativität und Dynamik entstehen, die dringend gebraucht wird. Das sind die Strukturreformen, von denen immer so viel geredet wird.
Wenn die Geldpolitik der Zentralbanken so weitergeht, dürfte die Arbeitsintensität besonders stark zunehmen und demzufolge der Arbeitsplatzabbau besonders hoch ausfallen. Damit dürfte auch der Preisdruck groß bleiben, die Inflation also nicht in Gang kommen. Das wiederum bringt die Zentralbanken zu immer tolleren Experimenten – schließlich müssen sie versuchen, über Inflationierung die Schuldenlast real zu reduzieren.
Es wird Zeit, dass radikal umgesteuert wird. Steigende Zinsen sind ein Weg zur Normalisierung. Damit einhergehende Pleiten oder Restruktierungen sind in Kauf zu nehmen und kommen eines Tages ohnehin (dann, wenn man am wenigsten damit rechnet – Zentralbanken sind eben nicht allmächtig).
Ergänzung:
Grundsätzliches zu Zinsen in “Zinsen – was ist das eigentlich?”
By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://archiv.report.at/