Generell muss man bei jeder einzelnen Asset-Klasse in unserem Schulden-orientierten Finanzsystem damit rechnen, dass ihre Entwicklung dann ins Stocken gerät, wenn zu wenig Gewinn bei zu viel Risiko herauskommt. Das ist dann der Fall, wenn die heutigen Asset-Preise nach Meinung der großen Akteure auf dem Niveau angekommen sind, das eigentlich erst in der Zukunft hätte erreicht werden sollen.
Dies gilt insbesondere für Bonds. Immer mehr Stimmen glauben, das der seit 1981 bestehende Superzyklus bei Anleihen nahe an seinem Gipfel steht. Anfang Mai hatte Bill Gross, ehemals Pimco, gesagt: „Es riecht nach dem Ende.“ Der auch als Bond-Guru bezeichnete Gross (70) hatte sich in den vergangenen Jahren zwar nicht gerade mit gutem Timing hervorgetan. Aber die seit Mitte April herrschenden Turbulenzen am Anleihe-Markt, insbesondere bei Staatsanleihen, unterstützen zusammen mit den sehr weit gestiegenen Bond-Kursen diese Sicht. Kürzlich hatte EZB-Draghi dazu gesagt, der Markt solle sich an höhere Kursausschläge gewöhnen.
Wenn sich ein solcher Superzyklus seinem Ende nähert, hat das Auswirkungen auf alle Anlageklassen. Das gilt umso mehr als der Superzyklus bei Anleihen das Spiegelbild sehr hoher Verschuldung im öffentlichen, aber auch in Teilen des privaten Sektors ist.
Stress im Kreditsystem lässt sich recht gut ablesen am Spread zwischen High-yield-Anleihen und zehnjährigen TNotes. Vor kurzem ist der über eine Abwärtslinie aus Herbst 2014 gestiegen. Kritische statische Pegel würde ich bei 5,0% sehen als Warnstufe und dann oberhalb von 6,5 bis 7,0%, wo die Entwicklung in ein sehr kritisches Stadium eintritt. Aktuell notiert der Spread bei 4,56%.
Kurse und Liquiditätspräferenz
In einer Situation, in der große Anleger das Chance-Risiko-Verhältnis ungünstig bewerten, wird üblicherweise verstärkt Kasse gemacht und Liquidität gehortet. „Üblicherweise“ soll darauf hinweisen, dass wir seit 2008 mit der nie dagewesenen Geldflut eine andere Zeit erreicht haben. Zumindest bis vor 2008 war das Halten von Bargeld, egal ob unter der Matratze oder bei Banken, relativ risikolos. Das hat sich grundlegend geändert angesichts der Altlasten, die die Finanzindustrie mit sich herumschleppt, angesichts der exorbitanten Staatsverschuldung, sowie angesichts der starken Verflechtung von Staaten und Banken, um nur einige Punkte zu nennen. Da das Halten von Liquidität nicht mehr risikolos ist (und zusätzlich Sparguthaben nichts mehr abwerfen), dürfte es eine im Vergleich zu früheren Phasen stärkere Tendenz geben, in Sachwerten zu investieren oder hier investiert zu bleiben. Auch deshalb sind die Preise von Aktien und Immobilien so weit gestiegen und zeigen zumindest bisher nur relativ geringes Korrekturpotenzial.
Was Aktien angeht, so liefert die unterschiedliche Kursentwicklung bei Small und Large Caps gute Hinweise auf den Reifegrad eines Bullmarktes. In seinen Anfängen sind Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung die Favoriten der Anleger. In entwickelten Stufen eines Bullmarktes sind eher Unternehmen mit großer Marktkapitalisierung gesucht, u.a. deshalb weil die hohe Marktliquidität einen leichteren Exit ermöglicht. Der nachfolgende Chart zeigt das Wechselspiel der beiden Anlageklassen. Small Caps zeigten seit März 2009 insgesamt 36 Monate lang relative Stärke, bei Large Caps war das 30 Monate lang der Fall. Bis Ende April 2014 lag das Verhältnis noch bei 33 zu 20 zugunsten der Small Caps. Dann begann die in diesem Bull-Run bisher längste Phase, in der Large Caps durchgehend relative Stärke zeigten. Dies ist ein deutlicher Hinweis, dass der seit März 2009 existente Bullmarkt in eine reife Phase eingetreten ist.
Je höher der Schuldenhebel bei der Geldanlage, hier bei Aktien, ist, je fragiler präsentiert sich das Kursgeschehen. Häufig geht aber einem Topp bei Aktien noch ein beschleunigter Anstieg bei der Verschuldung (margin debt) voraus. Wie hier diskutiert, zeigt sich der Schuldenhebel bei Aktien zwar auf Rekordniveau, aber eine obere Wende hat bisher nicht eingesetzt. Er läuft bedeutenden Topps bei Aktien einige Monate voraus.
Gegenwartspräferenz und Zins
Angesichts der durch immense Verschuldung aufgetürmten Risiken müsste die Gegenwartspräferenz der Wirtschaftssubjekte, insbesondere der Verbraucher, hoch sein. Umso höher müsste unter normalen wirtschaftlichen Umständen dann auch derjenige Zinssatz sein, der sie dazu bringt, ihr Geld nicht heute auszugeben, sondern zu sparen. Umgekehrt steigt bei einem sinkenden Zins der Gegenwartswert zukünftiger Erträge, was die Asset-Nachfrage (cet. par.) anregt.
Ist die Zeitpräferenz der entscheidende Aspekt beim Zins, dann kann er aufgrund der Unsicherheit, was die Zukunft bringt, niemals Null und schon gar nicht negativ werden. Die Zentralbanken versuchen mit den absurd nach unten manipulierten Zinsen aber genau das zu erreichen. Unter Null kommen sie so lange nicht, so lange die Wirtschaftssubjekte noch die Möglichkeit haben, ihr Bargeld aus dem Bankensystem abzuziehen. Die Zinsbewegung hat ohne Bargeldverbot kaum noch Spielraum nach unten, was auch bedeutet, dass der Gegenwartswert zukünftiger Erträge nicht mehr weiter steigt. Von hier aus fehlen damit Impulse für die Asset-Nachfrage.
Bewertungsillusion und Finanzmarktstabilität
Hans-Werner Sinn, ifo-Institut, weist im Zusammenhang mit der Nullzinspolitik der EZB auf die Gefahr einer Bewertungsillusion hin. Sinken die Zinseinkommen, schichten Vermögensbesitzer tendenziell von Geld- in Sachvermögen um und treiben so (cet. par.) die Preise für Aktien und Immobilien hoch. Sie fühlen sich reicher, obwohl ihre laufend zufließenden Zahlungen durch sinkende Zinseinkünfte entweder gesunken, zumindest aber nicht in dem Maße gestiegen sind wie die Vermögenswerte dies nahelegen. Wenn die Blasenbildung zu Ende geht, werden die laufenden Einnahmen wieder stärker beachtet. Das Erwachen aus der Bewertungsillusion kann dazu beitragen, die Asset-Preise besonders stark korrigieren zu lassen. Der Endwert des gesamten Vermögens könnte womöglich niedriger liegen als der Anfangswert.
Wenn, wie bei Vermögensblasen üblich, die Banken die rechnerische Aufblähung ihres Eigenkapitals für eine kreditfinanzierte Erhöhung der Dividendenausschüttungen nutzen, verbrauchen sie damit ihre tatsächlichen Reserven. Das geht so lange gut, so lange die Kurse steigen. Wenn sie aber stark fallen, wird klar, dass vielfach nur leere Hüllen ehemals noch funktionierender Finanzinstitute zurückbleiben. Den Steuerzahlern bleibt dann nichts anderes übrig, als maroden Banken mit frischem Geld unter die Arme zu greifen oder sie zu verstaatlichen. Die Bewertungsillusion ist somit riskant für die Stabilität der Finanzmärkte, schreibt Sinn.
Goldpreis und Manipulation
Zum Thema Manipulation zählt auch die Entwicklung des Goldpreises. Ich will hier nicht irgendwelchen Verschwörungstheorien nachhängen, aber es ist vielfach gezeigt worden, dass der Goldpreis manipuliert wird. Das liegt auch nahe, weil sich im Verlauf des Goldpreises immer auch das aktuelle Niveau des Vertrauens in das Papier der Fiat-Währungen widerspiegelt. Die Notenbanken können derzeit nichts weniger brauchen, als die Manifestation eines Vertrauensschwunds in das ungedeckte Papier namens Geld, wie sie sich in einem steigenden Goldpreis zeigen würde.
Momentan ist die Manipulation auch ohne großen Aufwand möglich, weil es wenig Gründe gibt, die dem Goldpreis Auftrieb geben könnten. Goldnachfrage und in der Regel auch der Goldpreis sind positiv mit der Inflation korreliert, die Inflation ist aktuell gedrückt. Bei steigenden Zinsen und Aktienkursen steigen die Kosten der Goldhaltung, weil sie teurer werdende Liquidität bindet und keine laufenden Erträge abwirft. Der Goldpreis sollte auch in diesem Fall wie aktuell unter Druck kommen. Bei Dollar-Schwäche nimmt die Tendenz zu, sich mit Gold dagegen abzusichern. Die gegenwärtige Dollar-Stärke hingegen belastet den Goldpreis eher. Steigen die Kreditrisiken, dürfte Gold seine Rolle als Schutz vor Zahlungsausfällen ausspielen, was den Goldpreis stützt. Die Kreditrisiken werden aber noch als gering eingeschätzt (vgl. iTraxx Crossover Index).
Damit hat die Aufwärtsentwicklung des Goldpreises gegenwärtig einen schweren Stand. Dies gilt insbesondere in Dollar, in vielen anderen Währungen sieht das Bild deutlich besser aus.
Aktien und Makro-Lage
Der US-Arbeitsmarktbericht für Mai weist deutlich mehr neue Arbeitsplätze aus als angenommen. Zudem sind die Wochenlöhne gestiegen. Abgesehen davon, dass erneut wie seit vielen Monaten der Job-Aufbau v.a. in den gering bezahlten Dienstleistungsbereichen stattfindet, ist dies ein Indiz dafür, dass die US-Wirtschaft noch Expansionspotenzial hat. Der IWF hat allerdings aktuell für dieses Jahr seine Wachstumsprognose für die USA von +3,1% auf +2,5% revidiert und in diesem Zusammenhang davor gewarnt, die Zinswende schon 2015 einzuleiten.
Der Index der „Leading Economic Indicators“ (LEI) des Conference Board [1], hat im April weiter zugelegt. In der sechs Monats-Periode zwischen November 2014 und April 2015 ist der LEI mit annualisiert etwa +4% allerdings deutlich weniger stark gestiegen als in den sechs Monaten davor (+7,2% annualisiert). Der folgende Chart zeigt den Zusammenhang des LEI mit Rezessionen. Er hat eine Vorlaufzeit zwischen zwei und 15 Monaten.
Somit ergibt sich auch aus makroökonomischer Sicht kein Hinweis darauf, dass ein starker und anhaltender Rückzug aus Aktien ansteht. Die Aktienmärkte haben nichtsdesttrotz gestern „vergrätzt“ auf den Arbeitsmarktbericht reagiert, weil damit die Zinswende in diesem Jahr wieder ein wenig wahrscheinlicher eingeschätzt wird. Auffallend allerdings, dass Finanzwerte mit Gewinnen aus dem Handel gegangen: Das traditionelle Kreditgeschäft würde von steigenden Zinsen, genauer von über die Laufzeit zunehmenden Zinsspreads, profitieren.
Von den Anleihemärkten dürften weitere Störfeuer ausgehen, es dürfte vermutlich auch zu Verlagerungen von Bond-Käufen Richtung USA kommen, so lange die Renditen dort noch im Vergleich zu anderen Regionen hoch sind. Bisher gibt es aus unterschiedlichen Perspektiven aber noch keine Warnzeichen, dass diese Störfeuer unmittelbar auf Aktien übergreifen. Dennoch dürften die Schwankungen hier zunächst weiter auf erhöhten Niveau bleiben.
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