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Aktien: Gewinnmitnahmen oder mehr?

Die zurückliegenden Tage mit deutlichen Einbrüchen vor allem bei europäischen Aktien, einem deutlichen Anstieg von Euro/Dollar und klarem Abverkauf von Staatsanleihen in den USA und anderswo werfen die Frage auf, wie es bei Aktien nun weitergeht. Zugleich hat der Monat Mai begonnen – eine alte Börsenweisheit sagt: „Sell in May and go away“.

Wie das so ist mit solchen „Weisheiten“ – es gibt auch die Bauernregel: „Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist.“ Das führt nicht weit – ein bisschen konkreter sollte es schon gehen.

Robin Griffiths, Chefstratege bei ECU Group, London beobachtet ständig 40 verschiedene Weltmärkte und kommt zu dem Schluss, dass sie im Durchschnitt fair bewertet sind. Von daher brauche man sich aktuell keine großen Sorgen zu machen. Aber es stechen ein, zwei Märkte heraus, die mittlerweile wirklich teuer sind. Dabei sei es egal, welchen Bewertungsmaßstab man anlegt. Einer davon ist der US-Markt, der befindet sich jetzt im Blasen-Stadium, sagt er.

 

Trotzdem sei noch kein Verkaufszeitpunkt gekommen. Die Aktienmärkte durchlaufen nun eine volatile Phase, aber im zweiten Halbjahr, vielleicht schon von Juni an, dürften US-Aktien nach oben ausbrechen. Aber 2016 und 2017 ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es zu einem starken Kurseinbruch kommt, warnt er, die Ingredientien für einen Crash starren uns bereits an.

Langfristige US-Staatsanleihen, auch britische Gilts, haben weiteres Kurspotenzial, sagt Griffiths weiter. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Fed die Leitinsen mehr oder weniger bald ein wenig anhebt. Selbst dann würden sie weder lange, noch weit nach oben laufen. Im Gegenteil, sie würden bald wieder zurückgenommen. Das deutet darauf hin, dass die Ära der negativen Zinsen noch lange nicht vorbei ist, sagt er.

Für Gold sieht Griffiths Chancen, in jeder anderen Währung außer in Dollar sei das Metall schon in einem neuen Bullen-Markt. Aber sogar in Dollar dürften die Preise in den nächsten Monaten absteigen. Zwar sei zunächst kein neues Allzeithoch in Sicht, aber 1400 bis 1550 Dollar könnten es schon werden.

Griffiths würde jetzt den japanischen Markt kaufen, allerdings mit Währungs-Absicherung. Er würde auch einige europäische Märkte kaufen, ebenfalls abgesichert (aus Dollar-Sicht). Dabei würde er grundsätzlich auf Aktien mit ordentlicher Dividenden-Rendite achten, sagt er. Eine Dividenden-Rendite von vier bis sechs Prozent sei gut, und das sichere die Kurse solcher großer Firmen auch bei hohen Bewertungen einigermaßen ab.

Andere Beobachter sehen schon recht bald eine 20%-Korrektur. Wenn das geschieht, werde die Fed sofort alle Pläne begraben, die Zinsen zu erhöhen, vielleicht wird sogar ein neues QE in Erwägung gezogen, sagen sie. Das würden die großen Akteure an den Aktienmärkten zunächst goutieren, aber dann folge früh in 2016 ein großer Crash, der den Dow längerfristig bis auf 6.000 oder sogar 5.500 drückt. Als zusätzlichen Beleg für dieses Szenario wird der Nasdaq Composite angeführt, der sein Allzeithoch aus 2000 bei 5.132 zwar am Montag der zurückliegenden Woche kurz gestreift hat, sich aber nun deutlich zurückgezogen hat. Es scheint demnach so, als sei dieser Pegel ein harter Widerstand. Und das sei auch ein Warnsignal für den Gesamtmarkt.

Schauen wir uns die Zuflüsse in US-Fonds an. Der folgende Chart zeigt die kumulierten Zuflüsse zwischen 1990 und März 2015. Der Trend zeigt ungebrochen aufwärts, lediglich der Verlauf der Netto-Assets zeigt sich seit Anfang 2014 etwas volatiler. Noch ausgeprägter ist der Zufluss in ETFs, der entsprechende Chart kann unter dem angegebenen Link eingesehen werden.

Bei Bond-Fonds zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier sind die Zuflüsse aktuell ungebrochen, lediglich 2013 gab es Abflüsse. Seit 2006 deutet sich die Entwicklung eines exponentiellen Verlaufs an.

Der folgende Chart zeigt die quartalsweise Entwicklung der Bestände in US-Fonds insgesamt. Auch hier deutet sich seit Ende 2011 eine Beschleunigung der Entwicklung an. Wie nicht anders zu erwarten, fallen markante Hochs und Tiefs bei den Fonds-Beständen mit Hochs und Tiefs bei Aktien zusammen. Für ein präzises Timing sind die Bewegungen bei den Fonds-Beständen aber wenig geeignet.

Anlass, bzw. Verstärkung für die jüngsten Gewinnmitnahmen war der schwache Verlauf des US-BIP im ersten Quartal. Gestern allerdings traten schon wieder Schnäppchenjäger auf den Plan und kauften insbesondere die zuletzt besonders verprügelten Sektoren Healthcare und Technologie zurück. Geholfen haben dabei Makrodaten wie der ISM-Index, der sich im April nahe eines zwei-Jahres-Tiefs zumindest nicht näher auf seine Scheidelinie bei 50 zubewegt. Der Subindex für neue Aufträge ist deutlich angesteigen. Auch das Verbrauchersentiment steigt im April leicht an.

Passend zum Rückzug aus Aktien ist in der zurückliegenden Woche die täglich ermittelte Volumenverteilung von Akkumulation in Distribution gekippt – ein Zeichen, dass große Investoren in Verkaufslaune sind. Inwieweit sich das kursschädlich auswirkt, hängt davon ab, wie groß die Gier der breiten Anlegermasse ist. Sie ist gegenwärtig nicht besonders ausgeprägt, das Verhältnis S&P 500 zu VIX lässt gegenwärtig allerdings noch etwas Raum zur Entwicklung. Vermutlich wird allerdings der Aufbruch des S&P 500 zu neuen Höhen über 2117+ hinaus jetzt nicht nachhaltig gelingen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Wahrscheinlichkeit weiterer Gewinnmitnahmen in den nächsten Tagen und Wochen hoch ist – jedoch in einem als Konsolidierung anzusehenden Rahmen.

Dem würde es auch entsprechen, wenn wir in Euro/Dollar nun eine sehr volatile Phase sehen, in der wechselseitig mal die Konjunktur-Karte der USA und der in der Eurozone gespielt wird.

In den USA wie auch anderswo gibt es keine nachhaltige wirtschaftliche Erholung von der jüngsten Rezession, bestenfalls mehrfache vergebliche Versuche dazu, sich von der Talsohle abzuheben. Das einzige, was sich unter tatkäftiger Hilfe von Fed & Co erholt hat, sind die Kurse von Aktien und Bonds. Der weitere Verlauf des Jahres 2015 dürfte einen weiteren Abschwung der US-Konjunktur offenbaren, wobei man für das zweite Quartal (berechtigte…) Hoffnungen auf Aufholpotenzial hegt (u.a. wegen des schwachen ersten). Erfüllen sich diese Erwartungen, könnte das tatsächlich Katalysator für einen (liquiditätsgetriebenen) Ausbruch des S&P 500 (und anderer Aktienmärkte) sein, der jedoch in dem Maße wieder an Tempo verliert, wie sich in den dann folgenden Quartalen der Dynamikverlust der Wirtschaft manifestiert.

Insofern kann ich dem Szenario von Griffiths einiges abgewinnen, der in diesem Jahr noch neue Hochs bei Aktien sieht und für die dann folgenden Jahre einen scharfen Einbruch vorhersagt.

Der folgende Chart zeigt die fraktale Sicht auf den S&P 500. Seine Aussage ist unverändert. Die obere rote Linie („Linearity“) zeigt, wie weit der Herdentrieb fortgeschritten ist. Sie hatte im Dezember einen Rekordwert von 96% erreicht, aktuell liegt sie wie im Vormonat auch bei 94%. Das ist im historischen Vergleich sehr hoch. Für sich alleine sind solch hohe Werte aber keine Indikation auf eine unmittelbar bevorstehende Korrektur. Damit zu rechnen ist erst, wenn das Niveau von 90% unterschritten wird. Auch von anderen Indikatoren, die die statistische Verteilung der Dynamik im Kursverlauf (gelbe Linie im oberen Chart-Bereich) und die Zuordnung und Richtung verschiedener gleitender Durchschnitte (hellgrüne Linie) auswerten, kommt bisher kein Warnsignal (vergleichen Sie dazu die Topp-Phasen 2000 und 2007 im Chart!).

Damit gehe ich davon aus, dass abgesehen von konsolidierenden Gewinnmitnahmen bei Aktien der Bull-Run NOCH weitergeht. Die Situation ist allerdings nach allen historischen Maßstäben schon sehr weit ausgereizt, so dass die Anfälligkeit für externe Schocks hoch ist.

Nicht unterschätzt werden sollte gegenwärtig aber auch das „Vertrauen“ in die Allmacht der Zentralbanken, wie das Beispiel japanischer und seit etlichen Monaten auch das chinesischer Aktien zeigt.

Irgendwann allerdings ist das aufgebraucht – spätestens dann, wenn offenbar wird, dass die Fed einen neuerlichen Rückfall der US-Wirtschaft in eine Rezession nicht verhindern kann. Dann dürfte es zum Crash kommen.

Die Wohlstandsgesellschaft
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