Das Finanzwesen ist reich an schlechten Ideen, schreibt James Montier, aber das Konzept der “shareholder value”-Maximierung gehöre zu den dümmsten. Er weiß sich da einig mit dem legendären Jack Welch, von 1981 bis 2001 CEO von General Electric. In dessen Amtszeit stieg der Wert der Firma um 4000%.
Die Idee der „SVM“ wurde um 1960 herum von Arrow und Debreu theoretisch begründet. Unter Annahme vollständigen Wettbewerbs und idealen Marktbedingungen sahen sie Adam Smiths “Unsichtbare Hand” am Werk, die über Eigennutz das Gemeinwohl stärkt. Kein geringerer als Milton Friedman schrieb dann 1970: „Es gibt nur eine einzige soziale Verantwortung eines Unternehmens – seine Ressourcen für die Steigerung des Gewinns zu nutzen.“ Montier kann sich den Seitenhieb nicht verkneifen und findet es schlicht erstaunlich, wie viele schlechte Ideen in der Wirtschaftswissenschaft auf Friedman zurückgehen.
Jensen und Meckling spielten den Ball 1976 weiter, indem sie schrieben, der aktuelle Börsenkurs eines Unternehmens sei die beste Annäherung an seinen künftigen Cashflow, seinen inneren Wert. Folgt man der Hypothese von effizienten Märkten, so bedeutet die Maximierung der Kurse durch die Unternehmenslenker eine Maximierung der Werts für die Anteilseigner. Jensen und Murphy schrieben schließlich 1990, dass Aktienoptionen als Gehaltsbestandteil der CEOs das effektivste Mittel sind, um ihre Interessen mit denen der Aktionäre in Deckung zu bringen.
Die Therie bereitete den Weg für die Praxis. So hieß es 1981 seitens einer Vereinigung führender US-Firmen noch, Unternehmen seien in erster Linie dafür verantwortlich, der Öffentlichkeit hochwertige Güter zu fairen Preisen verfügbar zu machen. Damit würden Gewinne gemacht, die Kapital anziehen, Jobs schaffen und die Wirtschaft aufbauen. Daraus wurde 1997 die Feststellung, das oberste Ziel einer Firma sei es, Erträge für ihre Eigner zu erwirtschaften. Dazu müsste sich das Management auf den „shareholder-value“ ausrichten.
Montier nimmt IBM als SVM-Paradebeispiel und zeigt den Verlauf der Erträge der Anteilseigner seit 1973. Bis 1990 verliefen die relativ flach, bis dahin war die Devise gültig, den einzelnen Angestellten zu respektieren, den Kunden verpflichtet zu sein und exzellent zu arbeiten. Dann wurde Lou Gerstner zum CEO und er verkündete: „Unsere obersten Massstäbe für den Erfolg sind Kundenzufriedenheit und shareholder-value.“ 2010 wurde es unter Samuel Palmisano dann noch etwas simpler. Er gab das Ziel aus, die Gewinne je Aktie innerhalb der folgenden fünf Jahre zu verdoppeln.
Die Firmenausrichtung von Johnson & Johnson ist demgegenüber seit dem IPO 1943 unverändert: Im Zentrum steht die Verantwortung für das medizische Personal und die Patienten. Dann folgt die gegenüber den Angestellten und dann erst kommt der Aktionär. Der dürfe einen „fairen Ertrag“ erwarten, wenn die Firma den genannten Zielen folgt, heißt es.
Auf der einen Seite also der SVM-Protagonist IBM, auf der anderen Seite ein „traditionelles“ Firmenkonzept – welcher Aktionär hat seit 1973 mehr verdient? The winner is … J & J! Der Unterschied ist beträchtlich, wie der folgende (logarithmische) Chart zeigt.
Montier definiert die Ära des “Managerialismus” von 1940 bis 1990, der die SVM-Phase folgt. Die realen Erträge („total real return“) waren in der erstgenannten Periode etwas höher als in der SVM-Phase, in beiden Fällen werden jahresdurchschnittlich um 7% erreicht. Ein Kursanstieg von Aktien kann das Ergebnis einer Gewinnsteigerung sein oder einer höheren Bewertung eines gegebenen Gewinnniveaus seitens des Marktes. Solch höhere Bewertungen sind oft nur vorübergehender Natur. Stellt man auf das Gewinnwachstum ab, schneidet “SVM“ mit jahresdurchschnittlich 5% deutlich schlechter ab als die Zeit des “Managerialismus” mit knapp 7%. Dieser Ertrag der Aktionäre („underlying performance“) ist also in der SVM-Ära signifikant gesunken, die realen Erträge (Kursgewinne) sind nicht gestiegen.
Gestiegen sind hingegen die Gehälter der CEOs. In den 1970ern verdienten CEOs im Mittel eine Million Dollar, aktuell bekommen sie real acht mal mehr. In der Ära des “Managerialsmus” bestand mehr als 90% der CEO-Vergütung in Festgehalt und Bonus. In den jüngsten beiden Dekaden gewann der Anteil der Optionen und Aktien signifikant an Bedeutung, etwa zwei Drittel macht das heute aus. Der Fokus auf Aktienkurse hat zu einer ungesunden Konzentration auf das Ziel kurzfristiger Gewinne je Aktie geführt.
Das hat zwar Aktionäre und Manager à la Jensen und Murphy in ein Boot gesetzt, aber es hat nicht die Wirkung hervorgebracht, die jene postuliert haben. Dafür gibt es Gründe, schreibt Montier. Erstens sind Optionen nicht dasselbe wie Aktien. Sie bringen ihren Inhabern alles Aufwärtspotenzial, aber nicht das Abwärtsrisiko von Aktien. Dadurch entsteht eine asymmetrische Situation. Anteilseigner tragen das Risiko für Fehlentscheidungen der Inhaber von Optionen, sie selber aber nicht. Zudem erreichen generell Anreize nicht immer das, was mit ihnen beabsichtigt ist, weil die dieser Erwartung zugrundeliegende Rationalität nicht immer gegeben ist. Montier verweist hierzu auf Untersuchungen von Dan Ariely und Koautoren, wonach die Anreizwirkung mit sehr hoher Entlohnung deutlich nachlässt.
Ein weiterer auffallender Unterschied zwischen der Ära des Managerialismus und der der SVM-Ära liegt in der Lebensdauer der Unternehmen und der Beschäftigungsdauer der CEOs. In den 1970ern existierten Firmen im Schnitt 27 Jahre (in den 1920ern waren es sogar noch 75 Jahre), jetzt sind es noch schlappe 15 Jahre. Die CEO-„Lebensdauer“ hat sich im selben Zeitraum von nahezu 12 Jahren auf sechs Jahre halbiert. Kein Wunder, dass CEOs in der kurzen Zeit, die ihnen bleibt, ein Maximum für sich herausholen wollen.
Die volkswirtschaftliche Implikation des SVM-Modells besteht in auf niedrigem Niveau sinkenden Investionsquoten und niedrigem Anteil der Arbeit am BIP, sowie zunehmender gesellschaftlicher Ungleichheit. Diesen dritten Punkt hatte ich u.a. hier, hier und hier erörtert. Die Ungleichheit zwischen den Industriesektoren ist ebenfalls beachtlich, so sind zwei Drittel der obersten 0,1% Verdiener CEOs in der Finanzindustrie.
Montier macht SVM nicht alleine verantwortlich für diese Entwicklung, es verstärkt aber die Effekte einer breiteren neoliberalen politischen Ausrichtung. In diesem Zusammenhang verweist er auf die Aufgabe des Vollbeschäftigungsziels, an dessen Stelle Inflationsziele, Globalisierung und flexible Arbeitsmärkte getreten sind. Für ihn ist denn auch die “säkulare Stagnation” mehr ein politisches Programm als eine wirtschaftliche Zwangsläufigkeit.
Hinsichtlich Investitionsbereitschaft bezieht sich Montier auf eine Untersuchung von John Graham et al. aus 2005, aus der hervorgeht, dass Firmenchefs unter dem SVM-Regime dazu neigen, Investitionsprojekte mit positivem Ertrag nicht umzusetzen, wenn dadurch das Gewinnziel des nächsten Quartals deutlich gefährdet wird. Geld fließt in Form von Aktien-Rückkäufen an die Aktionäre zurück, zugleich nehmen die Investitionen ab. Bezogen auf das BIP sind sie immer noch niedriger als zu irgendeiner Zeit zwischen 1947 und 2007. Eine weitere Untersuchung von Asker et al. aus 2013 vergleicht das Investitionsverhalten privater und öffentlicher Firmen. Demnach ist die durchschnittliche Investitionsquote privater Firmen bezogen auf ihre gesamten Assets mit jährlich 6,8% fast doppelt so hoch wie die von AGs mit 3,7%.
Die Bevorzugung geringer Investitionen ist angesichts der bei SVM gleich gerichteten Interessen von Aktionären und Management nur konsequent. Die Macht der Aktionäre nimmt zu, das Management kommt dem nach, weil seine Entlohnung in ähnlicher Art und Weise erfolgt. Und so wandelt sich die Firmenpolitik vom „behalten und investieren“ der früheren Jahre in „abspecken und verteilen“ der SVM-Ära.
Dem entspricht, dass der Anteil der Rückflüsse an die Aktionäre von nicht-Finanz-Unternehmen von 10% bis 20% des Cashflow in Zeiten des Mangerialismus auf fast 50% kurz vor Ausbruch der Finanzkrise angestiegen ist. Aktuell sind es rund 37%. Dabei sind die Aktienrückkäufe auch noch miserabel “getimed”. An Markt-Böden, wenn Aktien billig sind, waren sie praktisch nicht vorhanden. Je höher die Marktbewertungen jeweils wurden, je stärker nahmen die Rückkäufe zu. Das hat Warren Buffett schon 1999 dazu gebracht, zu schreiben, den Dollar für 1,10 zu kaufen sei ein schlechtes Geschäft. (Siehe zum Thema Aktienrückkäufe auch hier und http://www.timepatternanalysis.de/Blog/2014/10/28/aktien-gehts-auch-ohne-qe/!).
Da Eigenmittel der Unternehmen in großem Umfang an die Anteilseigner ausgeschüttet werden, steigt zudem der Anteil der Fremdfinanzierung von Investionen und steigert so den Verschuldungsgrad der Firmen.
Den Verlauf des Anteils der Arbeitseinkommen am BIP seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt der folgende Chart. Besonders markant ist der Rückgang seit der Jahrtausendwende. In den Zahlen sind die Topp-1%-Verdiener enthalten. Rechnet man die heraus, ist der Arbeitsanteil noch niedriger. Nimmt man die unteren 90% der Einkommenspyramide, so ergibt sich für sie ein BIP-Anteil von aktuell ungefähr 27%. In den späten 1940ern lag dieser Anteil noch bei etwa 42%.
Das makroökonomische Problem einer solchen Entwicklung liegt darin, dass die unteren 90% der Einkommen eine viel höhere Konsumquote haben als die oberen 10%. Die unteren 90% haben eine Sparquote von praktisch 0%, die oberen 1% eine von 40%. Eine immer stärkere Umverteilung zu oberen Einkommenschichten gefährdet somit das Wachstumspotenzial.
Am steigenden Aktienkursen verdienen vor allem die oberen 1% der Einkommensverteilung. Sie besitzen fast 40% des Aktienmarktes, die oberen 10% kommen auf 80%. Das sind die Nutznießer der SVM-Ära. Die Verteilung hat sich seit 1990 wenig verändert, zuvor war der Anteil der genannten beiden oberen Einkommensgruppen größer.
Auch im Verhältnis der Entlohnung von CEOs zu Angestellten zeigt sich die “Wohltat” der SVM-Ära. Auch hier kann seit 1990 ein steiler Aufwärtstrend ausgemacht werden. Lag es seinerzeit bei rund 50 so hatte es 2000 in der Spitze 383 erreicht, aktuell sind es knapp 300. Der durchschnittliche Amerikaner sieht gemäß einer aktuellen Untersuchung von Kiatpongsan und Norton ein faires Verhältnis bei rund 7 und glaubt, dass es aktuell tatsächlich bei etwa 30 liegt.
Die SVM-Ära läuft darauf hinaus, den Gewinnanteil der Unternehmen am BIP zu steigern. Die Kehrseite der Medaille ist, dass der Anteil der Arbeitseinkommen am BIP sinkt. Wenn die Firmen ihre Profite maximieren, quetschen sie damit den Lohnanteil aus, der aber soll letztlich ihre Produkte nachfragen.
Montier kommt zu dem Schluss, SVM verdiene die Bezeichnung nicht. Es hat die Erträge der Aktionäre nicht nennenswert gesteigert, dürfte aber zu schwächerer Unternehmensleistung geführt haben. Der einzig gültige Zweck eines Unternehmens sei es, Kunden zu schaffen. Nur dann könnten Anteilseigner nachhaltig verdienen. Wird der Fokus stattdessen auf SVM gelegt, untergräbt das auf Dauer den eigentlichen Unternehmenszweck. Außerdem, so Montier, müsse man viel mehr über die Konsequenzen von politischen Ausrichtungen wie SVM nachdenken. Aktionäre sind nur eine sehr kleine Gruppe in der ökonomischen Landschaft. Indem Firmen sich auf sie fokussieren, haben sich eine Reihe von schädlichen Konsequenzen ergeben. Alle müssen beachtet werden – Kunden, Angestellte und Steuerzahler. Eine Gruppe gegen die anderen vorzuziehen, führt wahrscheinlich ins Desaster, schließt Montier.
[Das Papier von James Montier, GMO, trägt den Titel "The World's Dumbest Idea"]
Am besten benennt man das Konzept der Maximierung des „Shareholder value“ in “CEO value”-Maximierung um. Wenn solche Irrwege nicht verlassen werden -und SVM ist nur einer- dann besteht die Gefahr, dass die materielle Basis unserer Gesellschaft immer weiter ausgehöhlt wird. Das Erstarken nationalistischer, bzw. separatistischer Kräfte in allen Spielarten ist dafür ein ernst zu nehmendes Warnzeichen.
In der folgenden Darstellung wird deutlich, wie stark sich der Gewinnanteil der Finanzindustrie am BIP seit 1970 entwickelt hat.
By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://archiv.report.at/