Was ist los mit Fed-Chef Bernanke? Bis vorgestern hatte er eher den Eindruck erweckt, dass er die QE-Aktivitäten der Fed schon im Spätjahr reduzieren will. Nun hat er verlautbart, dass in der näheren Zukunft weiterhin ein hohes Maß davon gebraucht würde. Die Arbeitslosenquote von gegenwärtig 7,6% stelle den Zustand des Arbeitsmarktes zu positiv dar. Und selbst wenn die Ziel-Arbeitslosenquote von 6,5% erreicht ist, würden die Zinsen noch für einige Zeit nicht angehoben werden.
Finanzmarkt-Akteure hatten sich von der gestrigen Veröffentlichung des Protokolls der jüngsten FOMC-Sitzung mehr Klarheit über den künftigen geldpolitischen Kurs erhofft. Das Protokoll ergab aber, dass die Mitglieder sich über den richtigen Zeitpunkt für die Reduzierung der aktuellen Anleihekäufe nicht einig waren. Die Märkte hatten darauf mit lediglich geringen Ausschlägen reagiert. Als aber die nach Börsenschluss erfolgten „pro QE“-Äußerungen von Bernanke bekannt wurden, war die Reaktion umso heftiger. Die US-Aktien-Futures brachen nach oben aus, der Dollar-Index fiel scharf, der Goldpreis stieg kräftig an, Bonds waren auf einmal wieder stark gesucht, Edelmetalle befestigten sich.
In den zurückliegenden Tagen kannte der Dollar-Index nur eine Richtung, die nach oben, weil sich die Akteure an den Finanzmärkten auf ein baldiges Ende der extrem lockeren Geldpolitik einzustellen begannen. Der Dollar-Index war am Vortag auf den höchsten Stand seit drei Jahren geklettert. Nach der Wortmeldung von Bernanke fiel der Index per EoD um 1,8%, eine Tagesbewegung, die zuvor nur auf der Höhe der Finanzkrise beobachtet worden war.
Die langfristigen US-Zinsen hatten nach dem Allzeittief Mitte 2012 Anfang Mai ein wichtiges zyklisches Tief markiert. So kamen die 10-jährigen Zinsen für US-Treasurys auf unter 1,64%, aktuell liegen sie bei 2,65%, also gut 62% höher. Eine ähnliche Bewegung gab es auch bei den 30-jährigen Zinsen, die ihr Tief bei rund 2,83% hatten und nun bei gut 3,64% liegen. Hier beträgt der Aufschlag knapp 30%. Die 30-jährigen Hypothekenzinsen sind im gleichen Zeitraum von 3,4% auf 4,6% angestiegen, ein Anstieg um 35%, zugleich der größte drei-Monats-Zuwachs seit 2004.
Die 30-jährigen Hypothekenzinsen verlaufen zwar weiterhin in einem 27 Jahre währenden Abwärtskanal. Aber als diese Zinsen in 2000 beim Platzen der Technologie-Blase und während der jüngsten Finanzkrise an dessen obere Begrenzung stießen, war jeweils “Land unter” bei Aktien.
Steigende Zinsen führen dazu, dass sich weniger Leute Immobilieneigentum leisten können. Da die US-Wirtschaft vergleichsweise stark vom Hausbausektor abhängt, können steigende Zinsen recht schnell dazu führen, dass die viel gerühmte Erholung der Wirtschaft auf der Strecke bleibt, solange nicht andere Sektoren in die Bresche springen. Im ersten Quartal lag das reale BIP-Wachstum bei lediglich 1,8%, 69% davon waren direkt Hausbau-Aktivitäten zuzuordnen (Chart-Quelle).
Die Kehrtwendung von Bernanke dürfte damit zusammenhängen, dass das erhöhte Zinsniveau bereits erste Bremsspuren hinterlässt. Im Mai ist die Zahl neuer Hypothekenverträge scharf zurückgegangen, die Erlöse aus Neubauten kamen ebenfalls unter Druck. Die Bemerkung von Bernanke, die Arbeitslosenquote stelle die Verfassung des Arbeitsmarktes zu optimistisch dar, könnte hierzu ein Hinweis sein. Abgesehen davon wird die Arbeitslosenquote durch Befragung erhoben, was sie bis zu einem gewissen Grad auch Stimmungen unterwirft. Die aktuell recht gute Verbraucherstimmung könnte hier für Verzerrungen sorgen.
Verstärken sich die Zins-bedingten Bremsspuren, wäre die Fed gezwungen, ihren Fahrplan neu zu schreiben, wonach die QE-Aktivitäten bereits im vierten Quartal reduziert und womöglich schon zum Jahresende ganz eingestellt werden. Der neue Fahrplan könnte dann so aussehen, dass die QE-Aktivitäten auf dem jetzigen Niveau mindestens bis Ende des Jahres weitergeführt und bis in das zweite Halbjahr des nächsten Jahres auf dann möglicherweise reduziertem Niveau beibebehalten werden.
Guggenheim Investments sieht Parallelen zwischen der aktuellen Bewegung bei den langfristigen Zinsen und dem „Great Bond Crash“, der im Februar 1994 begann.
Guggenheim schreibt, man solle sich daran erinnern, dass der extreme Bond-Bärenmarkt von 1994 im selben Jahr endete ohne Rückfall in eine Rezession. Auch aktuell begründen die Zinssteigerungen keinen Weltuntergang, was wesentlich in der festen Erwartung begründet ist, dass die Fed ihren Fahrplan im oben beschriebenen Sinne umschreiben wird. Wohl aber muss damit gerechnet werden, dass die Dinge erst noch schlimmer werden, bevor es wieder besser wird. Ein rauer Sommer steht bevor, aber wenn 1994 eine Leitlinie für heute darstellt, ist zum Jahresende hin mit wieder ruhigerem Fahrwasser zu rechnen. Entspannung für die sinkenden Bond-Preise wird es aber erst geben, wenn die nachlassenden Hausbau-Aktivitäten und sinkenden Preise auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung durchschlagen.
Wie sehr Aktienkurse und Bond-Zinsen auseinandergelaufen sind, zeigt der folgende Chart:
Beide Zeitreihen, die der Aktienkurse und die der invertierten Bond-Zinsen, tendieren in einem zyklischen Prozess immer wieder Richtung der türkis-farbenen “Gleichgewichts”-Linie. Bis Anfang Mai war versucht worden, ein Gleichgewicht auf dem damaligen niedrigem Zinsniveau zu erreichen. Das schlug fehl, die Zinsen stiegen daraufhin rasch an und legen nun nahe, dass neue Gleichgewichtspunkte tiefer gesucht werden (irgendwo im Bereich der dünneren türkisen Linie). Dies impliziert, dass die Aktienkurse Luft ablassen müssen, gleichzeitig müssten die Zinsen wieder sinken, die Bond-Kurse also steigen. Ein Umkehrpunkt ist aber noch nicht angezeigt, so dass die gegenwärtige Übertreibungsphase “zu hoher” Aktienkurse und “zu hoher” Zinsen (“zu niedriger” Bond-Kurse) noch anhalten dürfte.
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