Nun ist es also „amtlich“. Der ehemals leitende Mitarbeiter von Goldman Sachs Europe und heutige EZB-Chef Draghi hat die Trennung von Geld- und Fiskalpolitik in Europa endgültig abgeschafft. Die EZB wird unter ihrem neuen Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT) unbegrenzt Staatsanleihen von PIIGS-Ländern kaufen.
Die Finanzmärkte brachen –v.a. wegen „unbegrenzt“- in Jubel aus. Aktien stiegen kräftig an, Gold und Silber verteuerten sich noch etwas weiter, PIIGS-Bonds waren stark gesucht, der Euro erstarkte gegen den Dollar.
„Die Finanzmärkte bejubeln den Tod der Bundesbank,“ titelte die „Welt“. Mag ja sein, dass die Bundesbank ein Hort für Geldwertstabilität ist (relativ gesehen…). Aber in Wahrheit bejubeln sie den Tod der EZB als unabhängige, in erster Linie der Preisstabilität in der Eurozone verpflichtete Institution.
Nun gut, diese „alte“ EZB gab es schon lange nicht mehr, vielleicht gab es sie nie so, wie es in den europäischen Verträgen vorgesehen war. (Das wäre auch nichts Besonderes, denn dort steht viel, was schon lange nicht mehr gilt.) Aber nun ist die Patientin nach langem Siechtum unter den Händen von zunächst Chefarzt Trichet und dann Draghi verstorben.
Und alle sind froh.
Gejubelt haben nicht nur die „Märkte“, gejubelt hat auch die Politik. Je weiter südlich, je lauter. Nördlich der Alpen fanden die Feiern eher im Hinterzimmer statt. Vor der Presse gab es sogar Bedenken zu hören. So z.B. von Herrn Trittin, der gerne Finanzminister werden möchte und kürzlich seine Aufwartung bei den „Bilderbergern“ machte: Merkel habe mit ihrer Blockadehaltung in der Frage eines Schuldentilgungspakts Draghi keine andere Wahl gelassen, als eine Vergemeinschaftung der Schulden durch die Hintertüre einzuführen. Wäre durch die Vordertüre besser gewesen?
Die Politiker sind ein Problem los, sie brauchen den Bürgern nicht mehr zu erklären, warum sie noch weitere Rettungsmilliarden brauchen (und dann noch weitere). Ihre Wiederwahl ist daher nicht länger gefährdet, sie können ja nichts dafür, was die „unabhängige“ EZB entscheidet.
OMT – kurz zusammengefasst:
Die Konditionalität ist aus meiner Sicht einerseits ein Feigenblatt, andererseits macht gerade das deutlich, wie eng sich die EZB mit Entscheidungen der Politik verzahnt. Außerdem ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Glaubwürdigkeit der EZB auf die Probe gestellt wird. Wenn sie dann konsequent bleibt und bei Ländern, die ihren Auflagen nicht nachkommen, Bondkäufe einstellt, riskiert sie ein Wiederaufflammen der Krise bis hin zu einer Staatspleite (und der Wertlosigkeit der entsprechenden Bonds in ihren Büchern). Weicht sie von ihrer Linie ab, verliert sie den letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Was, meinen Sie, wird im Falle des Falles geschehen?
Unklar ist, wie die EZB das Geldangebot konstant halten will. Sie ist zwar nach den beiden LTROs hierzu in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Nach aller Erfahrung war es für Notenbanken bisher immer problematisch, ein einmal ausgeweitetes Geldangebot wieder zu schrumpfen. In diesem Falle geht es zwar „nur“ darum, es nicht weiter auszuweiten. Aber wie das so ist mit einem Süchtigen – einmal an die Droge gewöhnt, braucht er immer mehr.
Etwas untergegangen ist (h/t Eurointelligence): Die EZB ändert ihre Regeln hinsichtlich Sicherheiten. Alle Rating-Anforderungen an Staatsschulden oder andere von Staaten garantierten Forderungen sind unter dem OMT suspendiert. Marktfähige, in Dollar, Sterling oder Yen notierte Instrumente werden ebenso akzeptiert. In der Praxis läuft diese Entscheidung z.B. darauf hinaus, dass künftig wieder Griechenland-Junk als Sicherheit akzeptiert werden kann. Damit dürfte sich die Qualitätsstruktur der Sicherheiten in den Büchern der EZB dramatisch verschlechtern. Das Risiko, dass Verluste anfallen, steigt. Sie werden letztlich vom Steuerzahler zu tragen sein. Die EZB wird zur Bad Bank der Sonderklasse.
“Der Euro wird zu einer Art italienischer Lira gemacht”, sagt Thorsten Polleit, Chefökonom bei Degussa Goldhandel. Die Folgen dieser Entscheidung seien unkontrollierbar. Jetzt reichte es schon, die laxeren Auflagen der EU-Kommission zu befolgen, um „unbegrenzte” Zentralbank-Hilfe zu erhalten: „Spanien zeigt, wie rasch die Konditionen aufgeweicht werden können.”
Ganz anders Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank. Für ihn ist Deutschland der große Gewinner. Die EZB-Entscheidung könnte die größte Volkswirtschaft der Eurozone vor einer Rezession bewahren.
„Draghi hat die Risiken vom Rand zum Kern tranferiert”, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt bei der Commerzbank.
Die EZB treibe die europäische Haftungsunion mit größerem Tempo voran als die Parlamente. “Die Zentralbank hat der Politik einen Blankoscheck ausgestellt”, sagt Gary Jenkins, Stratege bei Swordfish Securities in London.
Immer wieder wird auch kristisch angemerkt, mit der neuen EZB-Politik werde ein Preisauftrieb eingeleitet. Der wird von vielen ja sowieso geradezu herbeigesehnt, weil sie sich davon eine Erleichterung bei der Verschuldung versprechen. Das Beispiel Schweiz zeigt, dass es hier keinen Automatismus gibt: Die Schweizer Zentralbank-Geldmenge hat sich seit 2008 vervielfacht, die Preise jedoch stagnieren seit geraumer Zeit.
Entscheidend für einen Inflationsschub ist denn auch nicht so sehr die Geldmenge an sich, sondern die Frage, was davon in der Realwirtschaft ankommt. Draghi hat hierzu wiederholt darauf hingewiesen, dass er mit dem OMT darauf abzielt, den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik wieder in Gang zu bringen, auf deutsch, dafür zu sorgen, dass die Banken wieder vermehrt Kredite an Unternehmen und Konsumenten ausreichen.
Dazu gehört jedoch auch die andere Seite, nämlich die Nachfrage nach Krediten. So lange die Wirtschaft nicht in Gang kommt, wird da nicht viel geschehen. Und wenn schließlich doch, dann dürfte die Absenkung der Anforderungen an Sicherheiten bei der EZB über ein paar Umwege dazu führen, dass vermehrt Kredite an schwache Schuldner vergeben werden (an denen man, die Banken, ja auch per höheren Zinsen mehr verdienen kann). Und das –wen wundert’s- befeuert die nächste Kreditblase. Und Blasen platzen…
Ach ja, Bundesbank-Chef Weidmann hat als einziger im EZB-Rat gegen OMT gestimmt. Nach der Sitzung ließ er verlauten, dass das Programm zu nah an einer Staatsfinanzierung durch die Notenpresse ist. Die Geldpolitik laufe Gefahr, ins Schlepptau der Fiskalpolitik zu geraten. Ihre Fähigkeit für Geldwertstabilität im Euroraum zu sorgen, könnte durch die Interventionen gefährdet werden. Die Notenbank könne durch diese Interventionen erhebliche Risiken zwischen den Steuerzahlern verschiedener Länder umverteilen, deren demokratische Legitimation läge aber bei den Regierungen und Parlamenten.
Was die demokratische Legitimation angeht, hätte Herr Weidmann mal früher anfangen sollen. Mit Target2 wird seit Jahren genau diese „undemokratische“ Umverteilung praktiziert. Die Bundesbank hat mittlerweile hierüber Forderungen an die PIIGS-Länder im Volumen von fast 730 Mrd. Euro angehäuft. Ob es sich dabei um Kredit handelt oder nicht, ist aus meiner Sicht Haarspalterei. Die entscheidende Frage ist, wie und wann diese Forderungen wieder hereinkommen. Am St. Nimmerleinstag?
Am Ende des Tages bleibt die Erkenntnis: Nun hat die Finanzindustrie in Gestalt ihres Protagonisten Goldman Sachs und dessen Vertreters in der EZB offen die Macht übernommen. Denn es stimmt, was die FAZ schreibt: Die Trennung von Geld- und Fiskalpolitik in Europa ist endgültig abgeschafft worden. In dem Sinne, dass die jetzt Geldpolitik die Fiskalpolitik bestimmt.
Damit ist zugleich auch ein (weiteres) wichtiges demokratisches Element endgültig abgeschafft worden. Die Entdemokratisierung der Eurozone schreitet fort.
“Bad Bank” EZB – Ihre Assets (siehe Chart!) belaufen sich auf fast 3,1 Bill. Euro gegen knapp 86 Mrd. Euro (Eigenkapital und Rücklagen) auf der Aktiv-Seite – macht einen “Hebel” von 36!
By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://archiv.report.at/