Kaffeesudleserei
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Die Wirtschaftskrise konnten Ökonomen nicht in diesem Ausmaß vorhersehen. Doch haben sie ihre Modelle verbessert? Warum Konjunkturprognosen meist unzuverlässiger sind als der Wetterbericht und die Regierungen dennoch ihre Politik danach richten.
Von Angela Heissenberger.
Als Nouriel Roubini, Ökonomieprofessor an der New York University, 2006 vor dem Internationalen Währungsfonds referierte, erntete er Gelächter. Roubini warnte eindringlich vor den Folgen der Verschuldung der USA. Die Immobilienblase werde platzen, die Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen. Harvard-Absolvent Roubini hatte immerhin die Grundsatzabteilung im amerikanischen Finanzministerium geleitet und war Berater im Weißen Haus. Trotzdem konnte und wollte sich niemand zu diesem Zeitpunkt ein derart apokalyptisches Szenario vorstellen. Banken, die in Konkurs gehen? Unmöglich.
Mehrere Faktoren
Indizien gab es viele, die Finanzkrise in ihrer vollen Tragweite prognostizierten jedoch nur wenige. Geglaubt wurde ihnen ohnehin nicht. Wer eine Rezession vorhersagt, macht sich nicht sonderlich beliebt. Bei der heurigen Jahrestagung der Österreichischen Nationalökonomischen Gesellschaft im Mai stand dennoch ein Thema im Mittelpunkt der Diskussionen: »Why did no one see it coming?«, wie es schon die britische Königin bei einem Besuch der London School of Economics treffend ausdrückte.
Auch wenn es Ökonomen ungern zugeben, es wurmt sie schon. »Die Finanzkrise war als Ganzes so nicht vorhersehbar«, sagte Gunter Tichy, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Graz, bei der Tagung. Zum Absturz hätten mehrere Faktoren geführt – die Überhitzung des US-Immobilienmarktes, die expansive Wirtschaftspolitik, die Finanzinnovationen sowie das geänderte Verhalten der Finanzindustrie aufgrund der Deregulierungen in den USA. Viele Experten hätten zwar Teilaspekte der Finanzkrise erkannt, aber nicht deren Zusammenspiel. »Auch Roubini hat die globale Komponente der Finanzkrise nicht vorausgesehen«, erklärte Tichy.
Bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung sei nun eine sozioökonomische Herangehensweise notwendig, meint der Volkswirt. Trotzdem wären schwere Finanzkrisen auch künftig kaum zu verhindern, denn »sie entstehen aus überraschenden Entwicklungen«. Diesmal führte der plötzliche weltweite Zusammenbruch des Vertrauens zwischen den Banken zum Kollaps, als die Liquiditätsprobleme großer Finanzinstitute das Ausmaß der tatsächlichen Risiken auf den Derivatemärkten enthüllt hatten.
Grundmuster erkannt
Bei den beiden großen österreichischen Forschungsinstituten sieht man keinen Grund, die Berechnungsmodelle einer Revision zu unterziehen. Sowohl das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) als auch das Institut für Höhere Studien (IHS) halten an ihren bisherigen Prognoseinstrumenten fest.
»Fundamentale Veränderungen an den Modellstrukturen haben nicht stattgefunden«, sagt Ulrich Schuh, Leiter der Abteilung für Wirtschaft und Finanzen im IHS. Laut Markus Marterbauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wifo in den Forschungsbereichen Makroökonomie und europäische Wirtschaftspolitik, werden lediglich »Finanzmarktindikatoren stärker als bisher berücksichtigt«. Die herandräuende Krise habe man aber bereits 2005 in einem Wifo-Monatsbericht thematisiert. »Das Grundmuster der Krise haben wir erkannt. Allerdings haben wir die Schwere unterschätzt und auch, dass so viele andere Länder davon betroffen sein werden«, so Marterbauer.
Keine Hellseher
Wifo und IHS liefern vierteljährlich Konjunkturprognosen, die jedoch lediglich als Annäherungswerte gelten können. Bei der Aufgabe, die künftige Entwicklung zu deuten, stehen die Wirtschaftswissenschafter vor einem ähnlichen Problem wie Meinungsforscher vor Wahlen. In schöner Regelmäßigkeit werden die Vorhersagen deshalb wieder revidiert – was aber niemanden zu stören scheint, schließlich stimmen auch Wahlprognosen oder der Wetterbericht nicht immer. Allerdings birgt die Wirtschaft – im Gegensatz zum Wetter – den entscheidenden Nachteil, dass Prognosen erneut Reaktionen auslösen, die sich auf die Konjunkturentwicklung niederschlagen.
Durch Einbeziehen umfangreicher Daten in ein komplexes Berechnungsmodell sind Wirtschaftsforscher daher bemüht, diese »Unschärferelation«, wie es IHS-Experte Schuh nennt, auszublenden und ein Gesamtabbild der Wirtschaft darzustellen. Das Wifo verwendet als Basis für die Konjunkturprognosen die monatlichen Wifo-Unternehmensbefragungen, die im Wifo erstellte vierteljährliche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) sowie die Schnellschätzung (»Flash Estimates«) zur VGR. Die mittelfristigen Prognosen für Österreich stützen sich auf das Wifo-Makromodell, das Strukturmodell Prometeia und das Wifo-Gleichgewichtsmodell. Die internationalen Prognosen erfolgen nach dem Makromodell von Oxford Econometrics.
Das tägliche Brot der Wirtschaftsforscher sind jedoch ökonometrische Simulationen, die der Regierung die Grundlage für die Entwicklung politischer Strategien liefern. Denn nicht nur das zu erwartende Wirtschaftswachstum, auch die Veränderung der Verbraucherpreise, der Arbeitslosenrate und des privaten Konsums sind für die Budgeterstellung und allfällige Steuerpläne entscheidend. Ein Lotteriespiel? Präzise Aussagen sind wohl nur für die Vergangenheit möglich, auch Ökonomen sind keine Hellseher. Die Politik hat dennoch keine Wahl: Fundiertere Analysen gibt es nicht.
Die Klage des deutschen Wirtschaftsforschers Bert Rürup, eine Prognose sei aufgrund veralteter Datensätze »zuweilen eher ein Blick zurück als nach vorn«, teilt Wifo-Ökonom Marterbauer nicht: »Wir haben den Vorteil, dass wir die Daten für das BIP selbst im eigenen Haus erstellen und nicht, wie in anderen Ländern üblich, von außen bekommen.«
Neue Modelle
Von etablierten Ökonomen eher belächelt, versuchen dennoch einzelne Wissenschafter, neue Modelle zu entwerfen, die verlässlichere Antworten liefern. Diese sollen »mikrofundierter« sein, also das manchmal irrationale Verhalten der Menschen berücksichtigen, etwa deren Panik infolge einer Krise. Doch auch der belgische Ökonom Paul De Grauwe, der im Herbst einen entsprechenden Ansatz präsentierte, gestand ein, dass die verhaltensökonomische Forschung bisher nur vage Annahmen, aber keine fundierten Erkenntnisse geliefert habe.
Während der Trend dahin geht, immer mehr Daten einzubeziehen, verfolgt der Franzose Didier Sornette, Professor an der ETH Zürich, eine völlig andere Strategie. Der studierte Geophysiker arbeitet an einem Modell, das sich nur auf die Analyse von Marktdaten stützt. Ähnlich wie bei einem Erdbeben, das sich durch bestimmte Vorzeichen ankündigt, ließe sich auch das Platzen einer Finanzblase durch richtige Deutung der Kursbewegungen voraussagen.
Tatsächlich konnte Sornette bereits mehrmals punkten, indem drei Titel wie prognostiziert spektakulär abstürzten. So fiel der Goldpreis innerhalb des angegebenen Zeitrahmens um elf Prozent. Der brasilianische Aktienindex Bovespa brach nur wenige Tage später als vorhergesagt ein, der Anleihenindex von Merrill Lynch verlor schon davor an Wert. Im Jänner 1999 sagte er die Erholung des japanischen Nikkei-Index voraus, auch vor dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes warnte er, allerdings ohne Zeitangabe. Seine Prognose eines Aktiencrashs für die Jahre 2003 und 2004 bewahrheitete sich aber nicht – laut Sornette, weil die US-Notenbank rechtzeitig gegengesteuert hatte.
Lernprozess
Neue Vorhersagen sollen das Modell nun weiter untermauern. Fachkollegen attestieren Sornette nur bloßes Glück, was den Wissenschafter nicht daran hindert, seine Berechnungen auf andere Bereiche auszudehnen. Auf Basis der Verkaufszahlen des Online-Handels Amazon untersuchte er, welche Bücher das Potenzial zum Bestseller haben. Auch die Popularität von YouTube-Videos erfolge nicht zufällig, so der Allround-Forscher, sondern nach einem Muster.
Unabhängig von zähneknirschender Selbstkritik und jenen, die es ohnehin gewusst haben wollen, sowie anderen, denen nicht geglaubt wurde – die Finanzkrise bedeutet für die Wirtschaftswissenschaft insgesamt eine Zäsur. »Wir haben eine gewisse Demut erkannt«, sagt IHS-Ökonom Ulrich Schuh. »Die Modelle funktionieren, aber es gibt keine endgültige Wahrheit.« Jahrelang habe man empirisch getestet, »damit keine Überraschungen möglich sind«. Nun stellte sich heraus, »dass dem nicht so ist«. Auch die große Fülle an Daten reiche nicht aus.
Der Wirtschaftsforscher vergleicht den Finanzcrash mit Naturkatastrophen: »Wann und wie dramatisch ein derartiges Ereignis stattfinden wird, ist auch nicht genau vorhersehbar.« Forschung sei deshalb auch immer ein Lernprozess. Letztlich hatten die Staaten aufgrund der Erfahrungen in den 1930er-Jahren rechtzeitig Maßnahmen ergriffen und dadurch die Auswirkungen der Krise minimiert, auch wenn die mittel- bis langfristigen Folgen noch nicht absehbar seien. Aber genau diese Unvorhersehbarkeit, so Schuh, »macht die Wirtschaftswissenschaft spannend«.
>> Wifo und IHS – das Duell der Ökonomen
> Vier Mal jährlich geben die beiden renommiertesten Wirtschaftsforscher des Landes in einer gemeinsamen Pressekonferenz ihre Konjunkturprognose ab. Einig sind sich der 61-jährige Karl Aiginger, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), und der 69-jährige Bernhard Felderer, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), dabei selten. Manchmal nicht einmal darin, ob es mit der Wirtschaft bergab oder bergauf geht. Auch persönlich verbindet die beiden Kapazitäten wenig – sie pflegen ein betont sachliches, höflich-korrektes Verhältnis, für übermäßige Sympathie ist kein Platz.
> Das Wifo wurde 1927 von Friedrich August Hayek und Ludwig von Mises gegründet und ist ein privater, gemeinnütziger Verein ohne Gewinnorientierung. Aiginger leitet das Institut seit 2005, insgesamt sind dort rund 100 fixe und 30 freie Mitarbeiter beschäftigt. Das Jahresbudget von zwölf Millionen Euro wird zu 40 Prozent selbst erwirtschaftet, der Bund steuert 25 Prozent bei, Sozialpartner und Nationalbank jeweils 15 Prozent. Der Rest kommt von kleineren Sponsoren.
> Das IHS ist ebenfalls eine private Non-Profit-Einrichtung und wird seit 19 Jahren von Felderer geleitet. 1963 von den Exil-Österreichern Paul F. Lazarsfeld und Oskar Morgenstern gegründet, widmet sich das Institut nicht nur der Forschung, sondern mit mehrjährigen Postgraduate-Lehrgängen auch der Ausbildung. 60 Wissenschafter und rund 40 Studenten forschen in den Bereichen Ökonomie, Politikwissenschaft und Soziologie, dazu kommen 26 Angestellte im administrativen Bereich. Das Jahresbudget beträgt 8,6 Millionen Euro, rund 40 Prozent davon werden u.a. durch Publikationen und Studien für Auftraggeber wie etwa die Weltbank oder die Europäische Kommission erwirtschaftet. 2,7 Millionen Euro kommen vom Bund, 1,4 Millionen Euro von der Nationalbank. Kleinere Geldgeber sind die Stadt Wien und andere Institutionen.