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Revolution 2.0

Von Rainer Sigl

Die Technologie- und Filmindus­trie hatte große Hoffnungen in die Verschlüsselungstechnologie für die neuen Standards HD-DVD und Blu-Ray gesetzt: Intel, Microsoft, Panasonic, Sony, Toshiba, Walt Disney und Warner Bros. hatten gemeinsam ein AACS (Advanced Access Content System) genanntes Digital-Rights-Management-System für Videodaten entwickelt, das bespielbare und vorbespielte optische Medien kopier- und veränderungssicher machen sollte. Der äußerst umfassende Kopierschutz sollte der Film- und Geräteindustrie einige Langzeitwünsche erfüllen. Mit der Einführung von AACS, so merkten kritische Konsumentenschützer allerdings an, würde zugleich die volle Kontrolle über auch im Eigentum von Privatleuten befindliche Aufnahme- und Wiedergabegeräte für Video im Namen des Kopierschutzes von den Multis übernommen; die Rechteinhaber könnten außerdem Einfluss darauf nehmen, wie lange eine Aufnahme abspielbar bleibt. Privat- oder Sicherheitskopien und selbst das Abspielen von Original-HD-DVDs unter dem freien Betriebssystem Linux werden durch die strikte Lizenzvergabe de facto unmöglich, und auch das bisher übliche normale Aufnehmen von freien TV-Sendungen kann auf lange Sicht durch die Technologie verhindert werden. Eine aus Konsumentensicht also durchaus fragwürdige Innovation, die sich mit der letzten Generation von HD-DVD- und Blu-Ray-Playern vom Konsumenten teuer bezahlt in den Wohnzimmern der Welt einnisten sollte.

Codeknacker. Bereits Anfang 2007 jedoch war den Hackern »muslix64« und »arnezami« das bis dahin Undenkbare gelungen: arnezami postete den »Processing Key« des DRM für HD-DVD, eine 32-stellige Hex-Zahlenfolge, die eine schwere Bresche in die als unknackbar bezeichnete Sicherheitsarchitektur des gesamten DRM-Systems schlägt. Diese erste Schlappe für die Copyrightschützer war jedoch nur der leise Auftakt zur Revolte des Web 2.0: Als in den folgenden Wochen Anwälte der Rechte­inhaber wiederholt Unterlassungsklagen gegen Webseiten und populäre Blogs einbrachten, die diesen Code aus 32 Zeichen veröffentlicht oder dazu verlinkt hatten, entwickelte sich der Kampf um den Code für die Konzerne zum PR-Desas­ter bisher nie dagewesenen Ausmaßes. Eine beliebige Zeichenfolge an sich, so die Argumentation vieler DRM- und Patentschutz-kritischer User, könne keinen schützenswerten intellektuellen Wert darstellen - und auch die zahlreichen durch AACS eingeführten Einschränkungen bisher selbstverständlicher Konsumentenrechte und das Problem der Zensur im Namen des Patentrechtes wurden nun verstärkt thematisiert.

Aufstand der User. Just am Tag der Arbeit, am 1. Mai, eskalierte die Situation dann vollends: digg.com, eine der populärsten Web-2.0-Communitys, auf der die User selbst interessante Links vorstellen können, begann auf anwaltliche Aufforderung, die von den eigenen Usern geposteten Storys zum Thema zu zensieren - und trat damit eine riesige digitale User-Revolte los. Innerhalb weniger Stunden wurden Tausende Links in immer neuen Abwandlungen gepostet und von digg wieder zensiert, in denen auf teils kreativste Weise der böse Code veröffentlicht wurde: als Aufdruck auf T-Shirts, als Collage aus verschiedenen Flickr-Fotos, als Rätsel, dessen Antworten just den AACS-Code ergaben, oder gar als auf YouTube zur Gitarre vorgetragenes Ständchen. Nach einigen Stunden des hoffnungslosen Kampfs gegen die eigene Community kapitulierte digg schließlich: In einem Blog-Eintrag kündigte Mitgründer Kevin Rose an, dass die von den Anwälten beanstandeten Storys mit dem AACS-Code fortan nicht mehr zensiert würden: »Wir erkennen an, dass die User es lieber sehen, dass digg kämpfend untergeht, anstatt sich der Zensur großer Firmen zu beugen.«Die erfolgreiche Revolte der digg-User und die inzwischen millionenfache Verbreitung des Codes im Internet ist eine schwere Schlappe für die Vertreter der Kopierschutztechnologie, die von Beginn an mit ungeeigneten Mitteln gegen die Masse der Internet-User - ironischerweise also großteils gegen die eigenen Kunden - vorgegangen war: »Diesen Code aus dem Internet zu zensieren, ist in etwa so erfolgversprechend, wie Pisse aus einem Swimmingpool zu schöpfen«, lautete etwa der hämische Kommentar eines amerikanischen Radiomoderators. Im Gegenteil: Gerade die strenge Verfolgung durch Konzernanwälte und Klagsdrohungen hatten den Widerstandsgeist der copyright-kritischen Internetcommunity noch weiter angeheizt - eine rechtliche Verfolgung der übeltäter scheint nun schon allein wegen der schieren Masse an Vergehen fast unmöglich. Die Schlacht um den Code scheint vorläufig verloren; der Kampf um DRM geht aber in die nächste Runde.

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