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»Plötzlich reißen die Netze ab«

\"LeopoldUnternehmensberater Leopold Stieger über den Lebensabschnitt Pension, Senioren als Wirtschaftsfaktor – und warum man keinen Arzt braucht, wenn man eine Vision hat.

(+) plus: Warum gehen so viele Menschen früher in Pension?

Leopold Stieger: Wenn ein älterer Mensch Freude an der Arbeit hat, drängt er nicht in die Frühpension. Früher ging man mit 65 Jahren in Pension und war dann relativ bald pflegebedürftig. Jetzt liegt der Durchschnitt bei 58 Jahren, obwohl die Lebenserwartung viel höher ist. Für meinen Großvater wäre es nicht möglich gewesen, drei Jahre früher ohne wesentliche Abstriche in Pension zu gehen. Heute gibt es alle Verführungen zur Frühpension. Der Naturwissenschafter Kurt Kotrschal, Biologe an der Uni Wien, sagt: All diese Verleitungen zur Frühpension sind Anleitungen zum Selbstmord.

(+) plus: Baut man ohne Beschäftigung geistig ab?

Stieger:Es ist die fehlende Herausforderung. Mein Vater hat in der Pension noch mehrere Jahre die Buchhaltung in seiner Pfarre weitergeführt. Als später auf EDV umgestellt wurde und er diesen Job verlor, sagte ich: »Sei doch froh, du hast in deinem Leben so viel gearbeitet, genieße doch deinen wohlverdienten Ruhestand.« Ich bin bald 73 und könnte eigentlich den ganzen Tag auf der Terrasse liegen. Vor einem Jahr ungefähr hat mich ein Freund meines Sohnes gefragt: »Musst du wirklich noch so viel arbeiten?« Da hab ich mir gedacht, es hat sich von einer Generation zur nächsten nichts geändert.

Unsere Plattform hat das Ziel, Menschen aufzurütteln, nicht gedankenlos in den Ruhestand zu gehen. Man muss vor dem Übergang eine klare Vision haben, was man noch erreichen will – zum Beispiel die beste Imkerzucht des Waldviertels aufzubauen. Dann hat man keine Zeit, krank zu werden oder müßig herumzuliegen.

(+) plus: Warum ist es so wichtig, sich zu vernetzen?

Stieger: Mit der Pensionierung wird alles anders. Plötzlich reißen die Netze ab. Sie denken, die Beziehungen zu anderen Kollegen, die regelmäßigen Treffen, das geht weiter. Aber es ist aus. Zu Feiern werden Sie anfangs vielleicht noch eingeladen, aber nächstes Jahr sicher nicht mehr. Das geht ganz rapide. Wir haben vor sechs Jahren mit der Plattform begonnen und inzwischen mehr als tausend Newsletter-Bezieher. Ich dachte, nach einem Jahr ist die Plattform eine blühende Wiese. Aber es ist eine Sisyphusarbeit. Wenn ich das Projekt vorstelle, heißt es immer: Interessant, nur für uns ist das im Moment nichts.

(+) plus: Ist das Thema so tabuisiert?

Stieger: Man sieht beim Übergang in diese letzte Lebensphase schon den Grabstein. Das wird weggeschoben, man will noch genießen. Aber je höher jemand in der Hierarchie war, desto eher fällt er in ein »schwarzes Loch«. Ein Vorstandsdirektor, ein Vertriebschef hatte keine Zeit, an seine Zukunft zu denken. Früher hat er das Telefon gar nicht mehr ausgehalten, weil so viele Anrufe kamen. Jetzt ruft kein Mensch mehr an.

(+) plus: Als Arbeitskräfte werden ältere Menschen nicht wahrgenommen, aber als Konsumenten doch sehr wohl?

Stieger: Mit vielen Fehlern. Ich war einmal zu einer Podiumsdiskussion mit Banken- und Versicherungsexperten eingeladen. Da meldete sich ein 35-jähriger Marketingvertreter und erklärte: »Die Senioren haben das meiste Geld, deshalb müssen wir für diese Zielgruppe Produkte anbieten. Aber lustig ist es mit den alten Leuten nicht.« Da wird der Kaffee sauer. Das funktioniert so nicht. Die Firmen müssten eigene Mitarbeiter, die kurz vor oder nach der Pension stehen, nach Produktideen fragen. Menschen sind heute bis 80 fit. Es gibt 80-Jährige, die eine GmbH gründen, einen Marathon laufen, ein Opernhaus planen. Nur der Österreicher geht mit 58 in Pension und hat selbst das Gefühl, ich bin nichts mehr wert. Wer sein Leben selbst in die Hand nimmt, wird drei Dinge nützen können: die Ausbildung, die berufliche Erfahrung sowie Träume, die nicht erfüllbar waren. Jetzt wäre Zeit, diese Träume vielleicht doch zu realisieren.

(+) plus: Wann sollte man beginnen, sich auf die Pension vorzubereiten?

Stieger: Spätestens ein bis drei Jahre vor der Pensionierung muss ich einen Prozess starten – und zwar gemeinsam mit anderen. Das animiert und bringt neue Ideen. Allein ist das weniger gut lösbar.

Von den Firmen kommt wenig. Ich berate viele Unternehmen zum Thema »Den Übergang meistern«. Es gibt fertig ausgearbeitete Projekte, die sofort starten könnten. Die merken ja jetzt schon, dass sie nicht genügend Fachkräfte bekommen. Aber es geschieht nichts. Die Unternehmen müssen sich künftig drei Fragen stellen: Wie können wir ältere Mitarbeiter ermutigen, länger bei uns zu bleiben? Welche Stärken können sie bei uns sinnvoll nützen? Welche Methoden gibt es, sie zu entlohnen? Wir wollen in den Köpfen ein anderes Bild vom Alter erzeugen. Eines, das der Realität entspricht.

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