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»Müssen das Auto unter Kontrolle bringen«

Report: Sie gelten als großer Kritiker der aktuellen Verkehrspolitik. Was läuft Ihrer Ansicht nach falsch?
Hermann Knoflacher: Das ganze System der Verkehrsplanung basiert auf Annahmen. Das beginnt schon bei der idealen Breite einer Fahrspur. Wissenschaftliche Erkenntnisse fließen kaum ein. Es handelt sich um eine Zunft, die sehr stark ideologisch geprägt ist. Die Politiker schaffen Probleme, die sie vorgeben zu lösen. Es ist, wie wenn jemand öl ins Feuer gießt, um es zu löschen. ähnlich klug ist es, einen Stau mit zusätzlichen Fahrstreifen zu behandeln.

Jetzt ist es aber so, dass die Autos vorhanden sind. Und diese Autos brauchen eine Infrastruktur, um von Punkt A nach Punkt B zu kommen.
Es kommt darauf an, wo diese Punkte sind. Wenn Punkt A mein Wohnzimmer ist, Punkt B mein Badezimmer und dazwischen liegen fünf Kilometer, dann brauche ich ein Hochgeschwindigkeitssystem in meiner Wohnung. Das ist absurd, aber genau das passiert im modernen Städtebau. Was in den eigenen vier Wänden als undenkbar gilt, wird in der Verkehrspolitik als Fortschritt verkauft. Statt zum Greißler ums Eck fährt man ins Shoppingcenter am Stadtrand, die Sozialkontakte finden nicht mehr im Umfeld des eigenen Zuhauses statt und der Urlaub wird am anderen Ende der Welt verbracht. Das kostet eine Menge Geld, macht die Menschen aber nicht zwangsläufig glücklicher.

Ist es nicht illusorisch, in einer Großstadt sämtliche Punkte B in unmittelbarer Nähe zu haben?
Es kommt auf die richtige Dosierung an. Schon Paracelsus hat gesagt, dass alles Gift ist, es kommt nur auf die Dosis an. Die Dosis, die heute verabreicht wird, ist absolut tödlich. Außerdem gibt es ja ein öffentliches Verkehrssystem.

Ist das öffentliche Verkehrssystem in Wien ausreichend, um den Individualverkehr einzudämmen?
Das öffentliche Verkehrsnetz in Wien funktioniert ganz gut. In den inneren Bezirken ist man heute mit dem Auto schneller unterwegs als vor 30 Jahren, weil weniger fahren - ganz einfach dadurch, dass wir Parkplätze weggenommen haben. Dem öffentlichen Verkehr wurde klarer Vorrang eingeräumt, ebenso dem Radverkehr und den Fußgängerzonen. Damit haben wir heute deutlich mehr Mobilität in der Stadt.

Wo sehen Sie dann die Wurzel des übels?
Die Wurzel ist das fehlende Verständnis der Leute, die sich mit dem Problem beschäftigen. Dass in der Verkehrspolitik einiges falsch läuft, kann man ja sehen. Denken Sie an die sterbenden Innenstädte oder den Abzug der Bevölkerung aus den Städten. In den fünfziger und sechziger Jahren sind die Dörfer zerfallen, auch das ging Hand in Hand mit der Mobilität. Viele Fehler, die in der Vergangenheit passiert sind, passieren heute auch noch.

Welche Fehler sind das?
Zum Beispiel die Wiener Außenring-Schnellstraße. Diese Schaffung von überkapazitäten hat genau den gegenteiligen Effekt. Damit lassen sich die Leute in einem Stau einfangen, der sie ja selber sind. Diese Falle ist dadurch entstanden, dass zu viele Verkehrsflächen angeboten werden. Ein mehr an Straßen bedeutet immer auch ein Mehr an Staus. Dort, wo wenig Verkehrsflächen angeboten werden, gibt es auch keine Staus. Wir haben rund 70 Prozent überkapazitäten. Das heißt, wir könnten rund die Hälfte der Straßen abreißen.

Die Politik wählt den umgekehrten Weg. Bis 2010 sollen elf Milliarden in den Ausbau der Schienen- und Straßeninfrastruktur investiert werden ...
Das ist überhaupt ein Wahnsinn. Nehmen Sie nur den Koralmtunnel als Beispiel. Der verfügt über ein Gesamtpotenzial von 1000 bis 1200 Fahrten täglich. Wir würden aber 41.000 Fahrten täglich brauchen, um die Investitionen wirtschaftlich vertreten zu können. Außerdem wird österreich bei Fertigstellung des Tunnels längst umfahren sein. Hier ist die Verkehrspolitik eindeutig von der Tunnelbauindustrie beherrscht.

Welche Investitionen würden Ihrer Ansicht nach Sinn machen?
Der Schienenausbau muss in die Fläche gehen. Eine Konzentration auf die Hauptstrecken ist zu wenig, auch die Nebenstrecken müssen ausgebaut werden. Die Intervalle der Zugverbindungen müssen auch in entlegenen Gegenden deutlich verbessert werden. Zudem muss der Bus als Zubringer und nicht als Konkurrenz betrachtet werden. Parallel dazu muss die Parkraumbewirtschaftung verstärkt werden und auch die Raumordnung muss einem neuen Verkehrskonzept folgen. Es darf nicht sein, dass sich immer mehr Gewerbebetriebe abseits der Schiene ansiedeln. In erster Linie geht es aber darum, das Auto unter Kontrolle zu bringen. Es geht um eine Angebotsverknappung. Solange Straßen gebaut werden, werden die Leute darauf fahren. Je mehr Straßen es gibt, desto mehr Verkehr gibt es.

Wo kann man den Hebel noch ansetzen?
Ansetzen muss man dort, wo es am besten wirkt. Das ist bei den Parkplätzen. Jeder, der vor seiner Haustüre einen Parkplatz hat, wird von der öffentlichen Hand mit 300 bis 400 Euro pro Monat subventioniert. Wenn man diese Subventionen streicht, ist das Problem sofort gelöst. Gleichzeitig muss man den Leuten aber Parkmöglichkeiten am Stadtrand oder in Garagen anbieten. Die logische Folge wäre eine Hinwendung zum öffentlichen Verkehr und eine Rückkehr der Wirtschaft in die Innenstädte. Was wir jetzt sehen ist ja eine enorme Wettbewerbsverzerrung. Während die Einkaufszentren am Stadtrand Gratisparkplätze zur Verfügung stellen, haben die Innenstadtgeschäfte mit Parkgebühren zu kämpfen.

Sie verfolgen sehr visionäre Ansätze. Glauben Sie tatsächlich, dass sich diese Konzepte in naher Zukunft verwirklichen lassen?
Jetzt reden Sie wie ein Politiker. Als ich das Radwegekonzept für Wien entworfen habe, hat es ähnliche Reaktionen gegeben. Wenn Sie jetzt durch Wien gehen, werden Sie sehen, es funktioniert. Auch mein Vorschlag, die Gehsteige vorzuziehen, damit die Leute leichter in die öffis einsteigen können, wurde mit Entsetzen aufgenommen: »Man kann doch den Autos keine Fahrspur wegnehmen.« Das war im Jahr 1975, heute ist es Realität.

Dennoch kann ich mir vorstellen, dass Ihre Ideen auf viel Widerstand treffen.
Das ist nicht unbedingt schlecht. Dann weiß man, dass man vorne ist, denn nur an der Spitze gibt es Gegenwind. Mein Vorteil ist, dass ich nur Ideen äußere, die wissenschaftlich abgesichert sind. Ich kann es mir gar nicht leisten, Ideen zu haben, die auf ideologischen überlegungen oder persönlichen Befindlichkeiten basieren. Bei meinen Kritikern ist das anders. Deren Argumente und Ideen sind sehr oft ideologisch motiviert.

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