Menu
A+ A A-

Moderne Luftschlösser

Hermann Tilke ist der neue Wunderwuzzi unter den Rennstreckenplanern. Praktisch jede neue Formel-1-Rennstrecke trägt die Handschrift des deutschen Bauingenieurs. Ob Sepang, Shanghai oder Istanbul - alle entstammen sie der Feder Tilkes. Warum Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone einen derartigen Narren an dem 52jährigen Aachener gefressen hat, ist leicht erklärt. Zum einen stehen seine Entwürfe für ein Höchstmaß an Sicherheit, zum anderen trotzt er auch widrigsten Rahmenbedingungen. Etwa in Shanghai, wo in einem 5,3 Quadratkilometer großen Sumpfareal eine der modernsten und schnellsten Rennstrecken der Welt aus dem Boden gestampft wurde. Tilke errichtete den Shanghai International Circuit im wahrsten Sinne des Wortes auf Luft.
Zur Stabilisation des sumpfigen Untergrunds wurden 43.000 Betonpfähle bis in eine Tiefe von 80 Metern getrieben und mit meterdickem Styropor belegt. Dafür wurde die gesamte Styropor-Jahresproduktion des chinesischen Marktes aufgekauft. Insgesamt wurden 330.000 Kubikmeter Expandiertes Poly-Styrol verlegt, kurz EPS. An einigen Stellen ist die Styroporschicht bis zu 14 Meter hoch, aneinander gereiht würden die Styroporplatten eine Länge von 350 Kilometern ergeben. über dem Styropor liegt eine zwei Meter dicke Erdschicht, erst dann folgen der Asphalt, die Gebäude und Tribünen. Die anfängliche Skepsis ist verflogen, das Verfahren hat sich bewährt. Noch haben die Tribünen keinen Millimeter nachgegeben und ist kein Formel-1-Pilot im Sumpf versunken.

International wird Styropor schon lange im konstruktiven Ingenieurbau eingesetzt. Neben der Rennstrecke in Shanghai etwa im Straßen- und Eisenbahnbau in Skandiniavien, den Autobahnen rund um Salt Lake City und dem Dammbau in den Niederlanden. In österreich gilt das Verfahren immer noch als exotisch, sagt Clemens Demacsek, Geschäftsführer der Güteschutzgemeinschaft Polystyrol-Hartschaum. Daran ändert auch der EPS-Einsatz im Bereich der Gehwege der Wiener UNO-City nur wenig. Demacsek ist vom Potenzial des Styropors überzeugt und sieht in der Kombination von geringem Gewicht bei hoher Belastbarkeit das Styropor den idealen Problemlöser im Straßenbau. Bei einer Rohdichte von 20 kg/m³ soll Styropor einer Belastung von drei Tonnen pro Quadratmeter Stand halten und dabei nur 1/100 der herkömmlichen Bodenmaterialien wiegen. Da Styropor keinerlei Einfluss auf in der Nähe befindliche Gewässer ausübt, kann die Styropor-Bauweise auch in ökologisch sensiblen Bereichen problemlos eingesetzt werden. Auch wirtschaftlich macht der Einsatz von EPS Sinn. Schweres Baugerät wird nicht benötigt, weil die Styropor-Blöcke aufgrund ihres geringen Gewichts händisch verlegt werden. Die Arbeiten erfolgen rasch und zügig, die einzelnen Blocklagen sind sofort begehbar. Weitere Einsatzgebiete sieht Demacsek in der Stabilisierung von Böschungen und der Konstruktion von Felssturz- und Lawinengalerien in Hochgebirgstälern. Die Decken dieser Tunnel müssen nicht nur den statischenBelastungen aus Hang und überdeckung standhalten, sondern auch der dynamischen Belastung, wenn schwere Felsbrocken oder Lawinen mit großer Wucht aufprallen. Eine Styropor-überdeckung als Deformationsschicht soll in der Lage sein, den Schlagimpuls erheblich abzumindern, ohne selbst viel Gewicht einzubringen.

back to top