Menu
A+ A A-

„Das eigentliche Wesen des Internet of Things“

„Das eigentliche Wesen des Internet of Things“ Foto: TU Graz

Die Pilotfabrik als Digitalisierungs-Inkubator für Produktionsbetriebe: Univ.-Prof. Rudolf Pichler, Projektleiter der Smart Factory der TU Graz, und Alexander Szameitat, Bereichsleiter Softwareentwicklung beim ERP-Anbieter proALPHA Austria, über Aspekte und Entwicklungen von Industrie 4.0 in Österreich.

Report: Was wollen Sie mit der Smart Factory bewirken? Was hat sich eineinhalb Jahre nach dem Startschuss in Graz dazu getan?

Rudolf Pichler:
Europa und damit auch der Wirtschaftsstandort Österreich werden sich in unserer globalisierten Welt nur mit höherwertigen Produkten und Dienstleistungen von Billiglohnländern in Asien positiv differenzieren können. Damit müssen wir mehrere Faktoren ansprechen. Wie können wir maximal individualisiert produzieren?

Welche nachhaltigen Materialien werden verbaut? Unter welchen Umwelt- und Arbeitsbedingungen passiert dies – und mit welchem Anspruch auf Qualität und „Smartness“? Mit Industrie 4.0 und dem Internet of Thing können Produkte „aufgeschlaut“, also smart, gestaltet werden. Mit der fertigungsorientierten Lernfabrik der TU Graz wollen wir dieses Potenzial in einer engen Verbindung von Forschung und Partnern aus der Wirtschaft testen. Wir haben aber auch den klaren Auftrag, die Ergebnisse nachvollziehbar zu zeigen und zu den potentiellen Anwendern zu bringen.

Bild: Rudolf Pichler ist Projektleiter der Smart Factory der TU Graz.

Alexander Szameitat:
proALPHA liefert für die Smart Factory die ERP-Software und unterstützt bei der Integration. Ziel ist, die gesamten Waren- und Werteflüsse von der Bestellung über die Produktion bis zur Auslieferung der Rechnung an den Kunden abzubilden. Mit unserem Produktkonfigurator können Unternehmen auf Tablets individualisierte Produkte nach ihren Wünschen designen, bekommen sofort einen Liefertermin gemeldet, der die aktuelle Planungssituation berücksichtigt und lösen dann die Produktion dieses Auftrags aus. Die ERP-Software wird ebenso modular genützt, wie die Fabrik der Zukunft funktionieren wird.

Report: Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich einer tiefgehenden Integration von ERP und Systemen in der Produktion, etwa zur Maschinensteuerung? Wird es künftig engere Verschränkungen geben?

Alexander Szameitat:
Wir sehen ja bereits die Ansätze für die Integration der klassischen Unternehmenssteuerung über ERP mit Lösungen etwa im Bereich Logistik und MES-Systeme (Anm. „Manufacturing Execution Systems“). Diese Verknüpfung ist auch bei der Smart Factory eine der wesentlichen Aufgaben und Ziele. Eine zeitnahe Rückmeldung aus dem Shopfloor ermöglicht es im ERP unternehmerische Entscheidungen auf Basis der aktuellen IST-Situation zu treffen statt auf Vergangenheitsdaten.



Bild: Alexander Szameitat ist Bereichsleiter Softwareentwicklung bei dem ERP-Anbieter proALPHA Austria.

Rudolf Pichler: Gemeinsam mit Industriepartnern wie proALPHA wollen wir nicht nur Insellösungen demonstrieren, sondern das Zusammenspiel der gesamten Produktionskette in noch höherer Intensität abbilden. Das beginnt bei der Planung und dem Eingang einer Bestellung oder eines Auftrags, geht über die individuelle Produktion bis zur Auslieferung an den Kunden. Freilich steht die Industrie in dieser tiefgehenden, hoch getakteten Vernetzung noch am Anfang. Die tatsächlich durchgehende Abbildung dieser Prozesse ohne Medienbruch ist in der Regel noch kaum umgesetzt.

In der Smart Factory gehen wir als Forschungseinrichtung bewusst den Weg, Software, Roboter- und Steuerungssysteme unterschiedlichster Hersteller anzuschaffen, um die mögliche Vernetzung auch dieser verschiedenartigen Systeme zeigen zu können – eine Sache, die ein Unternehmen bis dato nicht machen würde, in Zukunft aber wird tun können. Das macht Unternehmen freier in der Beschaffung und wir zeigen auch Wege, dass sie von einer oder nur wenigen Benutzeroberflächen programmiert und gesteuert werden können, damit auch der Schulungsbedarf für die Operatoren klein bleibt.

So kommen in der Smart Factory in Graz die Maschinensteuerungen Mitsubishi und Sinumerik, die Maschinenprotokolle MT-Connect und OPC-UA und Roboter der Hersteller Stäubli, Fanuc, Kuka und UR zum Einsatz. Für die Datensammlung und -auswertung werden „MindSphere von Siemens und „Hadoop“ von T-Systems installiert. Zur vollständigen Umsetzung des Internet of Things wird auf Ebene des Office Floor die Middleware PDM Webconnector von T-Systems implementiert, um eine lückenlose Kommunikation zwischen ERP-, PLM- und ME-System zu ermöglichen.

All diese Besonderheiten wollen wir aber nicht nur in unseren theoretischen Beschreibungen belassen, sondern im Rahmen einer echten Produktion - einer „Touch World“ für die Besucher der Smartfactory – sicht- und begreifbar machen. Lassen sie sich überraschen.

Report: Welche Prozesse zeigen Sie in Graz nun genau?

Rudolf Pichler: Demonstriert wird diese vernetzte Fertigung der Zukunft anhand der vollständigen Produktion eines sogenannten „Well-Getriebes“. Die Besucher können in einem ersten Schritt aus 18 verschiedenen Modellvarianten ihre individuell gewünschte Variante konfigurieren. Das Getriebe selbst besteht aus 22 Teilen, die sodann in Losgröße 1 gefertigt und maschinell als auch manuell assembliert werden. Die verschiedenen Fertigungsstufen werden in einem agilen Konzept mit mobilen Arbeitsstationen umgesetzt.

Aktuell haben wir dazu folgende Maschinen im Einsatz: Drei CNC-Werkzeugmaschinen für Drehen und Fräsen, und einen Be- und Entlade-Roboter, die ortsfix sind. Der Präzisionsroboter mit eigener Werkzeugspindel, zwei Collaborative Roboter, vier traditionelle Handhabungs-Roboter, zwei Pressen und viele Vorrichtungen sind alle mobil und sind somit wichtige Elemente des agilen Gesamtkonzepts.

Mit diesem Baukastensystem soll gezeigt werden, wie eine Fabrik schnell auf Marktveränderungen reagieren kann. Dazu gehört von Beginn an auch das Tagging der Werkstück-Rohlinge mit RFID-Funkchips. So können die Rohlinge den Arbeitsstationen mitteilen, wie sie konkret zu bearbeiten sind. Die Daten dahinter sind dann nicht nur für den laufenden Verarbeitungsprozess, sondern auch für den Qualitätsnachweis bei Gewährleistungsfragen und für die Dokumentation der gesamten Produktionskette nützlich.

Report: Welche weiteren Schritte sind hierzu geplant?

Rudolf Pichler: Produkte werden selten mit allen ihren Bestandteilen an einem einzigen Ort gefertigt. In einem weiteren Schritt wollen wir deshalb die Vernetzung auch über den einzelnen Standort hinaus zeigen. In Zusammenarbeit mit der Smart Factory der TU Wien und weiteren möglichen Partnern wie beispielsweise der FH Wels sollen für Demozwecke geografisch verteilte Wertschöpfungsketten in die Praxis umgesetzt werden. Die Idee ist, dass ein Kunde ein Getriebe konfiguriert und die Bestandteile bei Bedarf dann auch in Wien, Kapfenberg, München oder anderswo gefertigt und von dort aus angeliefert werden – je nachdem wo die Spezialisten sind, und auch welche Maschinen gerade verfügbar sind.

Disruptive Technologien wie IoT, die mobile Vernetzung in weiterer Folge mit 5G sowie leistungsstarke Datenanalysen werden in der Produktion der Zukunft noch große Veränderungen bringen. Tagesaktuelle Marktpreise bestimmen so zum Beispiel dynamisch, an welchen Maschinen der Welt die benötigten Teile und Stückzahlen am besten produziert werden sollen. Wir erwarten, dass die starre Planung in der produzierenden Industrie für „Configure-to-Order (CTO)“- und auch „Engineer-to-Order (ETO)“-Produkte zurückgehen wird. Das erfordert folglich auch ein reibungsloses, automatisiertes Zusammenspiel unterschiedlichster Hard- und Softwaresysteme.

Report: Wie sehr beschäftigen sich die Unternehmen bereits mit Cloud-Lösungen im Bereich ERP? Ist dieses Thema im Markt angekommen?

Alexander Szameitat:
Definitiv ja, das Thema ist da – allerdings setzt die Mehrheit weiterhin auf On-Premises-Lösungen. Die ERP-Lösung als Herzstück des Unternehmens läuft bei den meisten – gut 98 % unserer Kunden – noch auf eigenen Servern. Man betrachtet die Daten in diesen Bereich als besonders sensibel, entsprechend zögerlich ist man bei der Auslagerung in eine Cloud-Lösung.

Wir bieten natürlich mit unserer Software ebenfalls die vielen Vorteile, die Cloud-Lösungen bieten, wie etwa Flexibilität in der Erweiterbarkeit, einen modularen Aufbau der benötigten Ressourcen und die primären Argumente für eine Cloud: Hochverfügbarkeit sowie große Datensicherheit. Letzteres ist gerade für kleinere Unternehmen zu einem wesentlichen Entscheidungsgrund für die Cloud geworden – in der Regel ist Unternehmenssoftware im Rechenzentrum eines Partners oder IT-Dienstleisters sicherheitstechnisch wesentlich besser abgesichert und sie wird auch regelmäßiger von Fachexperten serviciert.

In einer vernetzten Welt ist die Synchronität aller beteiligten Systeme essentiell und damit steigen die Ansprüche an Verfügbarkeit aktuell stark. Auf der anderen Seite wissen wird auch, dass für ERP-Kunden auch Beständigkeit und Stabilität von Geschäftsprozessen zählen. Unser Kernprodukt proALPHA ERP wird seit 1992 entwickelt und enthält mehrere Millionen Codezeilen. 15 Jahre ist durchschnittlich die Nutzungsdauer einer ERP-Software in Unternehmen, allein die Einführung kann zwischen drei Monaten und zwei Jahren dauern. So schnell wechselt man da nicht – auch nicht in die Cloud.

Rudolf Pichler:
Nicht zu vergessen ist auch die mit Cloud-Lösungen mögliche Skalierung der Anforderungen als eine der Erfolgsfaktoren dieser Technologie. Lizenzkosten, der Aufwand für Implementierungen und laufende Wartungen gehen mit solchen Lösungen spürbar zurück.

Report: Eine jüngere Anforderung an Business-Software ist die Datenschutz-Grundverordnung. Ist proALPHA ERP nun DSGVO-konform gestaltet? Haben Sie die nötigen Anpassungen dazu abgeschlossen?

Alexander Szameitat: Wir haben mit einigem Aufwand die Anforderungen an die ERP-Software zur Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten umgesetzt. Unternehmen können nun bei Auskunftsbegehren alle Daten zu einer Person aus dem System auflisten und – wenn das zum Beispiel nach Ablauf einer bestimmten Jahresfrist nötig ist – Personendaten auch anonymisieren oder löschen. Wir nehmen das Thema Datenschutz sehr ernst und haben alles dazu unternommen, dass unsere Lösung entsprechend konform gestaltet ist.


Über die Smart Factory

Das Projekt „smartfactory@tugraz“ wurde als Lernfabrik für agile und datensichere Fertigung 2017 gestartet. In der Modellfabrik werden industriefähige Anlagen der mechanischen Fertigung und Montage über modernste Informationstechnologie zu einem Cyberphysikalischen Produktionssystem verbunden. 2,6 Millionen Euro investiert die TU Graz in die Errichtung, für die technische Infrastruktur steuert der Bund 2 Millionen Euro bei, weitere 1,8 Millionen Euro kommen von den Projektpartnern aus der Wirtschaft. Die „smartfactory@tugraz“ ist für alle Industriebetriebe zugänglich.
www.smartfactory.tugraz.at


Über proALPHA

Der ERP-Hersteller mit Hauptsitz in Deutschland hat weltweit rund 1.000 MitarbeiterInnen, davon 60 in Österreich an vier Standorten. Das Unternehmen berät, implementiert und serviciert sein Kernprodukt proALPHA ERP mit der eigenen Mannschaft. Mittelständische Kunden finden sich etwa im Maschinen- und Anlagenbau, der Elektronik- und Hightech-Industrie, Metallverarbeitung, Kunststoffindustrie, Großhandel sowie bei Automobilzulieferern.
www.proalpha.com/at

Last modified onFreitag, 12 April 2019 13:36
back to top