»Bedingungen für die nächste Revolution«
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Harald Himmer, Generaldirektor Alcatel-Lucent, über den Wirtschaftsmotor Telekommunikation und die nächste große Technologiewelle – diesmal in den Energienetzen.
(+) plus: Wie geht es der Telekommunikationsbranche heute? Welchen Herausforderungen begegnen die Netzanbieter?
Harald Himmer: In der Telekommunikation haben wir es mit einer extrem dynamischen Branche zu tun. Die Serviceprovider werden jedes Jahr mit etwa einer Verdopplung des Bandbreitenbedarfs konfrontiert. Besonders im mobilen Bereich profitieren allerdings vor allem die Applikationsentwickler von neuen Geschäftsmodellen und Services für den Nutzer. Herausforderung für die Netzbetreiber ist in diesem Zusammenhang zweifellos der Einstieg in neue Dienste oder Wertschöpfungsketten im Bereich der Anwendungen, beispielsweise in Bereichen wie Smart Home, E-Health oder intelligente Transportsysteme.
Die Telekommunikationsbranche hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige entwickelt und kann unbestritten als Motor für Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes betrachtet werden. Der Einfluss der Informations- und Kommunikationstechnologien beschränkt sich dabei aber nicht nur auf den eigenen Bereich. Nahezu alle Wirtschaftssektoren und damit die gesamte Volkswirtschaft profitieren von den Effekten von IKT. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es Rahmenbedingungen gibt, die ein investitionsfreundliches Klima für den weiteren Glasfaserausbau schaffen und dass im Mobilfunk die Frequenzen aus der digitalen Dividende ehestmöglich versteigert und einer Nutzung zugeführt werden. Nur so kann die künftige Versorgung aller Bürger mit Breitband garantiert werden.
(+) plus: Wenn Sie einen persönlichen Rückblick auf die letzten 15 Jahre wagen: An welchen Themen und in welcher Position hatten Sie im Jahr 1997 gearbeitet?
Himmer: 1997 habe ich bei Alcatel Austria die Stabstelle für Marktforschung und Kundenentwicklung geleitet. Wir standen damals am Beginn der Liberalisierung des österreichischen Telekommunikationsmarkts, was eine komplett neue Marktdynamik begründet hat. Zahlreiche neue Netzbetreiber sowohl im Festnetz als auch im Mobilbereich sind am Markt aufgetaucht. Alcatel-Lucent hat hier von Beginn an nicht nur Produkte, sondern auch Services zur Planung und zum Ausrollen der Infrastruktur angeboten und entwickelt. Wir haben sehr früh die Bedeutung von Breitband und IP-basierten Systemen erkannt und daran zu arbeiten begonnen. Dadurch konnten wir in diesen Bereichen eine marktführende Position erringen und bis heute halten.
(+) plus: Ihre Prognose für das nächste Jahrzehnt: Wohin werden sich die Gesellschaft und Wirtschaft technologisch entwickeln?
Himmer: Ganz groß sehe ich die Trends zu noch mehr Userfreundlichkeit, zur Erhöhung der Security im Netzwerk, und in weiterer Zukunft zu Smart Homes oder sogar Smart Cities.
Wichtig ist, dass Anwendungen und Services einfach zu bedienen sind. Das erkennt man auch am durchschlagenden Erfolg der Apple-Strategie. Dadurch kann das Smartphone zum Tool für alle Lebenslagen werden. Die Sicherheit der Daten ist in diesem Zusammenhang jedoch essentiell. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit muss in Zukunft stark auf dieses Thema gerichtet werden. In der Energiebranche kommt es bereits jetzt zu einer Revolution der Netze hin zu Smart Grids.
(+) plus: Warum wird dort die Umrüstung in sogenannte »intelligente Netze« fix erwartet?
Himmer: Energienetze sind von zentraler Bedeutung für die Versorgung der Menschen mit Strom, Gas und Wärme. Die wichtigste Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen ist es, eine sichere und verlässliche Energieversorgung mit gleichbleibend hoher Qualität zu gewährleisten. Die Energienetze haben diese Aufgabe in den letzten Jahrzehnten sehr gut erfüllen können. Angesichts der Tatsache, dass die Netze regelmäßig gewartet werden müssen und gleichzeitig die Anforderungen steigen, ändern viele Versorger ihre Geschäftsmodelle und setzen vermehrt auf sogenannte »Smart Grids«, also intelligente Netze. Dabei rücken auch Kommunikationsnetze immer stärker in den Fokus, da sie das Smart Grid mit seinen Echtzeitanwendungen erst möglich machen.
Verbraucher sind es gewohnt, jederzeit so viel Strom zur Verfügung zu haben, wie sie gerade benötigen – besonders in Spitzenlastzeiten. Durch die Ökologisierung und den damit verbundenen zunehmenden Einsatz von erneuerbaren Energiequellen wie Windkraft- oder Solaranlagen nimmt jedoch die Volatilität mehr und mehr zu. Smart Grids haben das Potenzial, die Energieversorgung zu revolutionieren. Sie fördern durch den Ausgleich von Schwankungen bei der Einspeisung erneuerbarer Energiequellen und durch die Möglichkeit zur Dezentralisierung eine nachhaltige Energieversorgung.
(+) plus: Und was hat der Verbraucher davon?
Himmer: Auch für den Verbraucher ergeben sich durch die Einführung von intelligenten Energienetzen zahlreiche Vorteile. Volle Transparenz der Verbrauchsdaten und die Möglichkeit, tarifgesteuerte Modelle zu beziehen, sind nur zwei Beispiele. Darüber hinaus ermöglicht das Smart Grid die intelligente Steuerung des Verbrauchs durch beispielsweise Haushaltsgeräte, Industrieanlagen oder Elektromobile. Dadurch kann der Endkunde jederzeit direkt Einfluss auf seinen Energiehaushalt nehmen, Stichwort Smart Home. Jederzeit und überall kann der eigene Verbrauch überwacht und effizient geregelt werden. Ein Beispiel für eine intelligente Anwendung ist das Elektromobil. Tagsüber hängt es an der Steckdose und wird Teil des Smart Grids. Es dient als Zwischenspeicher für nicht benötigte Energie. Nachts kann es Energie ins Netz einspeisen. Das geht nur mit einer intelligenten Vernetzung, bei der alle Komponenten miteinander kommunizieren.
(+) plus: Wie sieht es mit den Rahmenbedingungen für den Ausbau der Energienetze in Europa und in Österreich aus Ihrer Sicht aus?
Himmer: Laut aktueller EU-Stromrichtlinie sollen bis 2020 circa 80 Prozent aller Haushalte mit Smart Meters, also intelligenten Zählern, ausgestattet werden. Diese sollen in einheitlicher Art Aufschluss über den Energieverbrauch liefern. Die Stromverteilnetzbetreiber werden in den nächsten Jahren mit der Umsetzung dieses Ansatzes beschäftigt sein, da es sich um große Infrastrukturprojekte handelt.
Neben der Notwendigkeit nach einheitlichen, länderübergreifenden Standards spielt hier auch das Thema der Fiberization mit hinein. Smart Grids und deren Anwendungen basieren auf einem robusten Kommunikationsnetz, das sicher, hochgradig skalierbar und hoch verfügbar ist. Das Netz muss eine große Menge von Echtzeitdaten sammeln und verarbeiten. Es ist die Grundlage für die Transformation aller Ebenen der Energienetze hin zu Smart Grids.
Es ist daher besonders wichtig, schnell Rahmenbedingungen für eine zügige Umsetzung der Smart Grids zu schaffen, die kooperative Modelle und die bestmögliche volkswirtschaftliche Nutzung von infrastrukturellen Synergieeffekten ermöglichen.
>> Zur Person:
Mag. Harald Himmer, 46, ist Generaldirektor der Alcatel-Lucent Austria AG. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und Tätigkeiten in der Werbewirtschaft begann der Wiener seine Karriere bei Alcatel 1992. Im Jahr 2002 erfolgte die Berufung zum Vertriebsdirektor, seit 2007 ist Himmer Generaldirektor.