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Bis ins hohe Alter

\"GenerationArbeiten bis 70 ist für das Budget hilfreich und medizinisch vertretbar, wenn für ältere Arbeitnehmer entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Denn Pensionisten sind in der Regel nicht pflegebedürftig oder senil. Sie gründen Unternehmen, suchen sportliche Herausforderungen oder geben ihr Wissen weiter.

In Österreich und in Schweden erhitzten in den vergangenen Wochen Pläne zur Pensionsreform die Gemüter. Zwischen den Vorschlägen liegen jedoch Welten. Hierzulande setzte sich die Regierung das Ziel, das faktische – nicht das gesetzliche – Pensionsantrittsalter bis 2020 um 2,5 Jahre anzuheben. Schon das empfinden viele Österreicherinnen und Österreicher als Zumutung, obwohl ihr Erwerbsleben bereits mit durchschnittlich 58 Jahren endet.

In Schweden sorgte die Forderung von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt nach einer Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters auf 75 Jahre für ähnlich heftige Reaktionen. In einer Umfrage der Zeitung Aftonbladet lehnten 90 % der Befragten diesen Vorschlag ab. Im EU-Vergleich arbeiten die Schweden schon jetzt mit rund 40 Jahren im Schnitt am längsten. Mit durchschnittlich 64,3 Jahren gehen sie recht spät in Pension, nur die Isländer sind mit 64,8 Jahren noch länger berufstätig.

Doch die Österreicher gehen nicht nur sehr früh in Pension, gemessen an der hohen Zahl der krankheitsbedingten Frühpensionierungen sind sie auch sehr krank. Die Lebenserwartung stieg seit den 70er-Jahren um zehn Jahre, das durchschnittliche Pensionsantrittsalter sank in diesem Zeitraum um acht Jahre – obwohl heute körperlich weniger belastende Tätigkeiten verrichtet werden als noch wenige Jahrzehnte zuvor. Während in Schweden laut OECD-Daten 2010 fast drei Viertel der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig waren, liegt Österreich mit einer Quote von 43 % in dieser Altersgruppe deutlich unter dem OECD-Schnitt.

>> Zweite Karriere <<

Das Bewusstsein, den »wohlverdienten Ruhestand« möglichst lange genießen zu können, haben die Österreicher wie kaum ein anderes Volk verinnerlicht. Große Unternehmen und staatsnahe Betriebe verabschiedeten Hundertschaften an Mitarbeitern um die 50 mit Golden Handshakes und leisteten damit diesem Gefühl Vorschub. Auch im öffentlichen Dienst ist es übliche Praxis, Mitarbeiter im besten Alter zu entsorgen. Das kommt nur auf den ersten Blick kostengünstiger. Denn mit jedem Beschäftigten, der in den Ruhestand geht, verlässt auch wertvolles Wissen das Haus.

Beim Technologiekonzern Bosch, Hersteller von Gebrauchs- und Verpackungsgeräten sowie einer der größten Automobilzulieferer der Welt, folgt man deshalb anderen Wegen. Um die Erfahrung von Führungskräften und Fachleuten nicht zu verlieren, bietet ihnen die 1999 gegründete Tochtergesellschaft Bosch Management Support (BMS) die Möglichkeit einer »zweiten Karriere«. Rund 1.200 Manager und Techniker zwischen 60 und 75 Jahren sind in einer Datenbank erfasst und springen als Senior-Experten gegen ein Beratungshonorar bei Projekten rund um den Globus ein. Im Mutterkonzern sind die ehemaligen Kollegen, von denen jeder über rund 40 Jahre Erfahrung verfügt, hoch geschätzt. Wegen des großen Erfolgs in Deutschland wurde das Modell inzwischen auf Standorte in Nord- und Südamerika, Groß­britannien, Indien und Japan übertragen. 2010 waren 530 BMS-Experten bei 841 Aufträgen im Einsatz.

Die Bosch-Pensionisten sind überall dort gefragt, wo es kurzfristig zu personellen Engpässen kommt. Da sie nicht nur fachlich top sind, sondern auch mit den Unternehmensstrukturen und der Firmenkultur vertraut sind, ist ein reibungsloser Einstieg garantiert. »Wissen einfangen und nutzen, bevor es verloren geht«, lautet deshalb das Leitmotiv von BMS-Geschäftsführer Alfred Odendahl. Positiver Nebeneffekt: Von der Kompetenz in Führungs-, Motivations- und Fachfragen profitieren im Sinne eines generationenübergreifenden Austausches auch die nachfolgenden Jungmanager. Möglich ist das aber nur durch eine wertschätzende Unternehmenskultur, wie Odendahl betont: »Alter ist in unserem Unternehmen mit Erfahrung und damit positiv besetzt. Wo dies nicht der Fall ist, kann ein solcher Ansatz auch nicht funktionieren.«

>> Verpflichtende Weiterbildung <<

Einige Unternehmen, wie beispielsweise ABB, setzen auf altersgemischte Teams, um das Wissen über Generationen weiterzureichen. Ohne weitere Begleitung sind sogenannte »Tandems« mit älteren und jüngeren MitarbeiterInnen jedoch nicht ratsam, meinen Experten wie der Dresdner Organisationspsychologe Jürgen Wegge. Die Chancen der Zusammenarbeit – Austausch, Vielfalt, Kontakte – könnten nämlich durch Misstrauen, Neid und Konflikte aufgehoben werden.

Von Vorurteilen lösen mussten sich auch die MitarbeiterInnen der Erste Bank Österreich. Denn im Zuge eines groß angelegten »Lifetime«-Projektes stellte sich 2003/04 heraus, dass just die älteren KundenberaterInnen am erfolgreichsten sind. »Damals haben wir viele Maßnahmen ins Leben gerufen, die inzwischen bei uns Standard sind«, erklärt Personalchefin Sabine Mlnarsky-Bständig. Unabhängig vom Alter sind drei Tage Weiterbildung pro Jahr verpflichtend. Mit flexiblen Arbeitszeitmodellen – etwa geblockt drei oder vier Arbeitstage pro Woche – kommt die Bank individuellen Wünschen entgegen. Ein breites Angebot an Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheitsleistungen steht in der hauseigenen Betriebsordination allen Beschäftigten offen. Auch die Funktionen werden neu überdacht: »Je älter die Mitarbeiter, desto mehr sind komplexere Aufgaben gefragt. Monotone Tätigkeiten sind eher für jüngere Mitarbeiter geeignet«, sagt Mlnarsky. Trotz des hohen Durchschnittsalters von 42 Jahren sieht die Personalmanagerin gerade in den späteren Berufsjahren noch durchaus Veränderungsbereitschaft. Vor allem Frauen würden oft erst dann eine Ausbildung nachholen, wenn sie die Familienplanung abgeschlossen und den Kopf frei für eine weitere Karriere haben, meint Mlnarsky: »Deshalb haben unsere Nachwuchsprogramme keine Altersbeschränkung, denn mit Mitte 40 würden diese Frauen sonst rausfallen.«

Doch auch bei Männern sei ein »normaler Lebenszyklus« nicht mehr als ein Klischee, so Mlnarsky. 50-jährige »Jungväter«, die eine zweite Familie gründen und in Karenz gehen, oder Großväter, die Teilzeit arbeiten und sich um ihre Enkel kümmern, sind keine seltenen Ausnahmefälle. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter liegt in der Erste Bank Österreich bei 62 Jahren. Einige Mitarbeiter betreuen auch danach noch einzelne Kunden weiter. »Unser faktisches Hindernis sind die rechtlichen Rahmenbedingungen der Beschäftigungsverhältnisse«, sagt Sabine Mlnarsky. Viele ehemalige Bankangestellte engagieren sich deshalb ehrenamtlich in der Zweiten Sparkasse – einer Initiative der Erste Stiftung, die in Not geratenen Menschen kostenlos ein Bankkonto zur Verfügung stellt.

>> Strikte Grenzen <<

Auch bevor die Bosch Management Support GmbH an den Start gehen konnte, mussten etliche rechtliche Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden. Wie in Österreich enthält das deutsche Sozialversicherungsrecht unzählige Bestimmungen zu Krankenversicherungspflicht, Verdienstgrenzen und Antragsfristen, die geklärt werden mussten, um die Manager aus der Pension zurückholen zu können.

In Österreich sind diese Ruhensbestimmungen besonders restriktiv: Wenn das monatliche Zubrot die Zuverdienstgrenze übersteigt, zahlt man mitunter kräftig drauf. Diese Erfahrung machte Franz Suchy, als er sich als Testperson für den neuen Flughafen-Terminal Skylink meldete. Der 64-Jährige war früher in der Qualitätssicherung tätig, der kleine Nebenjob am Flughafen war deshalb ganz nach seinem Geschmack. Für 32 Euro Aufwands­entschädigung checkte er am Probe-Schalter ein, durchlief er die Sicherheitskontrolle und füllte gewissenhaft einen Fragebogen aus. Das böse Erwachen kam später, als ihm von der Pension exakt 50,89 Euro abgezogen wurden, weil er die Zuverdienstgrenze für Frühpensionisten um 3,11 Euro überschritten hatte. Wer aufgrund langer Versicherungszeit oder über die Korridorpension frühzeitig in den Ruhestand geht, darf nämlich monatlich maximal 376,26 Euro dazuverdienen, sofern der Job mindestens einen Monat lang ausgeübt wird. Andernfalls gilt eine Zuverdienstgrenze von 28,89 Euro pro Tag – und genau diese hatte Franz Suchy mit dem Gelegenheitsjob nicht eingehalten. »Es ist mir ein Anliegen, andere darüber zu informieren«, sagte der pensionierte Logistiker in der ORF-Sendung »Konkret«. Der Flughafen Wien hatte nämlich bewusst auch Senioren als Probekunden eingeladen, um auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe besser eingehen zu können. Die strengen Bestimmungen könnten nun andere Unternehmen davon abhalten, diesem positiven Beispiel zu folgen.  Dabei hatte Franz Suchy noch Glück im Unglück: Hätte er den ganzen Monat gearbeitet und nur um einen Cent mehr als 376,26 Euro verdient, wäre sogar die gesamte Pension in dem betreffenden Monat gestrichen worden. Diese Regelung gilt für Personen, die ihre ASVG-Pension vorzeitig (Frauen vor 60, Männer vor 65) antreten. Erst nach dem Erreichen des Regelpensionsalters dürfen Pensionisten unbegrenzt dazuverdienen. Nur für Beamte im Ruhestand gelten die Zuverdienstgrenzen pikanterweise nicht.

>> Fit bleiben <<

Unternehmensberater Leopold Stieger ist diese Ungerechtigkeit schon lange ein Dorn im Auge. Seit er die Geschäftsführung seiner »Gesellschaft für Personalentwicklung« an seine Söhne übergeben hat, widmet sich der 73-Jährige (siehe Interview) quasi »hauptberuflich« seinem Herzensthema, der Gestaltung der »dritten Lebensphase« nach der Pensionierung: »Viele glauben, an dieser Schallmauer ist Schluss. Aber wer ein Ziel hat und sich rechtzeitig ein Netzwerk aufbaut, ist nicht von einem Tag auf den anderen weg.« Eigeninitiative sei gefragt, denn Unternehmen hätten das Potenzial der rüstigen Senioren noch nicht erkannt, so Stieger. »Unsere Annahme zum Alter ist: Alle Fähigkeiten, die Junge auszeichnen, nehmen ab, nur die Wehwehchen werden mehr. Das stimmt nur zum Teil. Ältere Menschen sind vielleicht etwas langsamer, bringen aber mehr Wissen, Genauigkeit oder Gelassenheit mit.«

Geistige Betätigung hält jedenfalls fit. Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Zürich belegt, kann eine Frühpensionierung die Lebenserwartung stark verkürzen. Ein Forscherteam unter der Leitung des österreichischen Ökonomen Josef Zweimüller verglich die Sozialversicherungsdaten von 18.000 Männer und 3.000 Frauen aus der Steiermark, Ober- und Niederösterreich. Es handelt sich um Beschäftigte aus der Stahlindustrie, denen im Zuge der Krise in der Branche zwischen 1988 und 1993 die Möglichkeit zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben angeboten wurde. Als Vergleichsgruppe dienten Beschäftige aus Regionen, in denen es dieses Angebot nicht gab. Das überraschende Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, vor dem 67. Lebensjahr zu sterben, steigt bei Männern bereits um 13,4 % an, wenn sie nur ein Jahr früher in Pension geht. Ein Jahr vorzeitiger Ruhestand verkürzt die Lebenserwartung statistisch gesehen um  zwei Monate. Die­se Berechnung gilt jedoch nur für Männer, bei Frauen ergaben sich keine signifikanten Auffälligkeiten. Grund dafür ist nach Ansicht der Forscher vor allem der geänderte Lebenswandel. Obwohl die Frühpensionisten mehr Freizeit und vermutlich weniger Stress hatten, lebten sie ungesünder. So stiegen die Herzerkrankungen und die Erkrankungen infolge von Alkohol- und Tabakkonsum deutlich an. Auch die Zahl der tödlichen Autounfälle nahm zu. Vorerkrankungen wurden durch Rückgriff auf Krankenstandsdaten als Ursache ausgeschlossen. Andreas Kuhn, Co-Autor der Studie, ortet einen »ähnlichen Mechanismus wie bei der Arbeitslosigkeit«. Die Menschen definieren sich über ihre Arbeit. Wenn dieser Bereich wegfällt, gehen wichtige soziale Netzwerke verloren. Bei Frauen dürfte die Identifikation mit dem Beruf weniger stark ausgeprägt sein, da sie bedingt durch Phasen der Kindererziehung und Teilzeitarbeit meist schon früher Brüche in ihrer Erwerbsbiografie bewältigen mussten. Fazit: Menschen brauchen eine sinnvolle Beschäftigung, ob bezahlt oder unbezahlt.

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