Menu
A+ A A-

Psycho-Chefs

\"ImNicht jeder ist gleich ein Hannibal Lecter – aber sozial unverträgliche Verhaltensweisen sind laut einer US-Studie an vielen Führungskräften zu beobachten. Denn je skrupelloser, desto schneller und steiler führt die Karriere nach oben.

Charmant wie George Clooney, verlogen wie Pinocchio, betrügerisch wie Bernard Madoff, selbstherrlich wie Josef Stalin, aufbrausend wie Adolf Hitler und untreu wie Giacomo Casanova – so vielschichtig charakterisiert der kanadische Kriminalpsychologe Robert D. Hare von der Columbia Universität einen typischen Psychopathen. Gemeinsam mit dem Psychologen Paul Babiak legte Hare in dem Buch »Menschenschinder oder Manager« bereits 2007 ein verstörendes Psychogramm von Führungskräften vor. In einer weiteren Studie verfeinerten die beiden Wissenschafter ihre Thesen erneut.

Psychopathen zeigen ähnliche Persönlichkeitsmerkmale wie Serienkiller. Sie handeln ebenso skrupellos und manipulativ, sind dabei aber meist so schlau, nicht ins Ungesetzliche abzurutschen. Reue oder Mitgefühl kennen sie nicht. Dass sich gerade im Top-Business etliche Manager mit auffälligen Persönlichkeitsmerkmalen tummeln, ist nach Meinung der Forscher kein Zufall. Hier gibt es alles, was Psychopathen am meisten schätzen: Macht, Geld und Kontrolle über andere Menschen. Ihr rüdes Durchsetzungsvermögen hilft ihnen auf der Karriereleiter meist rasch nach oben, wird es doch gerne als Führungsstärke interpretiert. Personen, für die Empathie bloß ein Fremdwort ist, haben auch mit der Entlassung von Mitarbeitern kein Problem.

>> Checkliste zur Psychopathie <<

So manchen Mitarbeitern, die täglich unter den Launen ihres unberechenbaren Chefs leiden, werden einige Verhaltensweisen bekannt vorkommen. Und viele mögen insgeheim schon länger den Verdacht hegen, es mit einem Verrückten zu tun zu haben. Tatsächlich ist der Anteil psychisch auffälliger Personen in Führungspositionen signifikant höher als in der Durchschnittsbevölkerung. Hare und Babiak befragten entsprechend der »Checkliste zur Psychopathie« 203 Führungskräfte aus sieben US-Konzernen. Narzisstische Eigenschaften, Lügen und mangelndes Verantwortungsbewusstsein zählen ebenso zu den Kriterien wie sprunghaftes, manisches Verhalten und Impulsivität. Die befragten Manager erreichten durchwegs höhere Werte als die allgemeine Vergleichsgruppe aus der Bevölkerung. Während sich im Bevölkerungssample nur etwa ein Prozent potenzielle Psychopathen fanden, diagnostizierten die Forscher unter den Führungskräften knapp sechs Prozent. Dennoch galten diese Manager als Kommunikationstalente und wurden ob ihrer Kreativität und Strategien von der Konzernleitung geschätzt.

Das pathologische Verhaltensprofil korreliert überraschend stark mit jenen Eigenschaften, die in der Chefetage besonders gefragt sind. Extremer Ehrgeiz und übersteigerte Zuverlässigkeit sind durchaus gern gesehen, auch wenn es fallweise in Zwanghaftigkeit und den Wunsch nach Kontrolle über andere ausartet. Dazu kommt ein Hang zur Theatralik, gepaart mit einer ordentlichen Portion Narzissmus – die eigene Person wird stets in den Mittelpunkt gerückt, der persönliche Anteil an gemeinsamen Arbeiten stark hervorgehoben. Das Durchhaltevermögen ist dagegen gering ausgeprägt: In psychopathischen Chefs sprudelt eine Ideenquelle, die permanent neue Projekte zutage fördert. Beim Auftauchen kleinster Probleme erlahmt das Interesse jedoch schlagartig, die weitere Umsetzung des nur grob skizzierten Unterfangens wird den Untergebenen überlassen – der brillante Denker ist längst zu neuen Aufgaben aufgebrochen.

Das enthusiastische, selbstbewusste Auftreten wirkt zunächst mitreißend, hinter dieser Maske entfalten Psychopathen aber ihre negativen Eigenschaften: Sie empfinden Spaß daran, Mitarbeiter zu schikanieren, rasten wegen Kleinigkeiten hysterisch aus, manipulieren Kollegen und verfallen schließlich in Größenwahn.

>> Narzisstische Züge <<

Nach Einschätzung von Hare und Babiak ist beinahe jeder zehnte Spitzenmanager in den USA ein Psychopath. Möglicherweise sind Persönlichkeiten, die krankhaft manipulieren und täuschen, in den USA tatsächlich häufiger als in Europa. Der Schweizer Psychologe Gerhard Dammann, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen und ebenfalls Autor eines Buches über Psychopathen in Chefetagen, plädiert für eine exaktere Unterscheidung. Viele auffällige Manager weisen lediglich stark ausgeprägte narzisstische Züge auf: »Narzissten sind in der Regel keine Psychopathen. Die Grenze vom gestörten zum durchaus produktiven und erfolgreichen Narzissten ist fließend.«  
Legendär war etwa das Auftreten des zunächst als Paradesanierer gefeierten Spaniers José Ignacio Lopez, der bei Opel, General Motors und später bei der Volkswagen AG alle Strukturen über den Haufen warf. »Lopez verströmt die Besessenheit eines Sektenführers, der eine Weltreligion will«, schrieb der Spiegel 1993. Er scharte eine kleine Gruppe treu ergebener Mitarbeiter – seine »Krieger« –  um sich, die ihn in Anlehnung an fernöstliche oder indianische Riten ehrfürchtig »Inaki« nannten. Mit holprigem Englisch schwor der studierte Techniker sein Fußvolk auf immer straffere Kostenlimits ein und pflegte einen skurrilen Heldenkult. So mussten die Mitarbeiter ihre Armbanduhr am – zumindest für Rechtshänder etwas unpraktischen – rechten Handgelenk tragen, um sie durch diese Unannehmlichkeit stets daran zu erinnern, dass die Unternehmensziele noch nicht erreicht seien. Berüchtigt war Lopez auch wegen der skrupellosen Methoden, mit denen er die Zulieferer in die Knie zwang. Bei der ersten Lieferantentagung für GM erklärte Lopez alle bereits beschlossenen Verträge wieder für offen und spielte die Konkurrenten mit leeren Versprechungen gegeneinander aus. Dieser Schachzug brachte zwar eine Milliarde Dollar Ersparnis, GM verlor jedoch durch den Vertragsbruch seine besten Lieferanten. Bei VW mussten infolge vereinfachter Montageleistungen letztlich später die Kunden durch umfangreiche Reparaturen für Produktionsmängel bezahlen.

In höheren Sphären sah sich auch der frühere Chef der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel. Hatte er in den 90er-Jahren noch erfolgreich das Unternehmen aus dem Dornröschenschlaf geweckt, dürfte der Spross einer Unternehmerfamilie im Laufe der Zeit den Bezug zur Realität verloren haben. In seinem Büro posierte Zumwinkel – intern »Großer Vorsitzender« genannt – gerne neben einem Ölbild des preußischen Postreformers Heinrich von Stephan, das er eigens aus dem Postmuseum geliehen hatte. 2009 wurde der Manager wegen Steuerhinterziehung von einer Million Euro zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Vor Gericht lief der 65-Jährige noch einmal zu Höchstform auf, dozierte wie vor einer Schulklasse über seine eindrucksvolle Karriere und fand, angesichts der Errungenschaften für die Post seien seine Steuersünden wohl lässlich.

>> Glaubwürdiges Auftreten <<

Schon in den 1930er-Jahren wertete der Psychiater Hervey Cleckley Daten über die Patienten einer Nervenheilanstalt im US-Bundesstaat Georgia aus und stieß auf interessante Parallelen. Alle Insassen wiesen die gleichen 16 Eigenschaften auf, waren charmant und intelligent, zeigten aber gleichzeitig starke egoistische Züge, Gefühlskälte und Verantwortungslosigkeit. Nicht zwingend mündet die pathologische Prägung in die Kriminalität, andererseits ist rund ein Viertel aller Strafgefangenen psychisch auffällig. Ein Psychopath begeht im Schnitt bis zu seinem 40. Lebensjahr vier Gewalttaten. »Nicht alle Psychopathen sitzen im Gefängnis«, erklärt Kriminalexperte Robert Hare lakonisch, »manche sitzen auch in der Vorstandsetage.«

Erstaunlich ist das Tempo, das psychopathische Manager auf ihren Raubzügen vorlegen – aber auch, wie leicht sich auch kompetente Geschäftspartner von selbstherrlichem Gehabe blenden lassen. Der deutsche Bauunternehmer Jürgen Schneider machte sich in den 1980er-Jahren mit der Restaurierung historischer Immobilien in bester Innenstadtlage einen Namen. Allein in Leipzig investierte er in 15 denkmalgeschützte Gebäude. Am Höhepunkt seiner Karriere regierte er ein milliardenschweres Imperium aus mehr als 150 Immobilien. Dass die Prestigeprojekte kaum rentabel zu vermarkten waren, störte nicht einmal die Banken, die sich von Schneiders Enthusiasmus anstecken ließen und großzügig Kredite gewährten. So fiel den Mitarbeitern der Deutschen Bank nicht auf, dass die in den Unterlagen angegebene Nutzfläche bei einigen Projekten deutlich geringer war – mitunter fehlten gleich mehrere Stockwerke mit Tausenden Quadratmetern. Immer größere Kredite waren nötig, um die enormen Verluste aufzufangen. Der stets akkurat gekleidete Herr mit der sonoren Stimme wirkte absolut seriös und glaubwürdig, die Scheinrechnungen, Verträge mit gefälschten Unterschriften und frisierten Immobilienpläne wurden nie überprüft.

1994 stürzte der Konzern zusammen. Hilmar Kopper, damaliger Sprecher der Deutschen Bank, die mit Forderungen von rund 1,2 Milliarden DM als Hauptgläubiger auftrat, bezeichnete die offenen Rechnungen diverser kleiner Handwerksbetriebe in Höhe von 50 Millionen DM als »Peanuts«. Im späteren Strafprozess wurde der Bank eine Mitschuld wegen leichtfertiger Kreditvergabe nachgewiesen, der Imageschaden für die Bank war zu diesem Zeitpunkt bereits beträchtlich. Der Bauunternehmer war längst mit seiner Frau untergetaucht – in einem Brief hatte er zuvor seine Zahlungsunfähigkeit angekündigt und sich selbst noch schnell 245 Millionen Mark auf ein Schweizer Konto überwiesen. Im Mai 1995 wurde das Ehepaar in Florida festgenommen. Trotz der hohen Schadenssumme von 6,7 Milliarden DM erhielt Schneider die relativ milde Strafe von sechs Jahren und neun Monaten und wurde nach zwei Jahren Haft entlassen. Noch während des Prozesses hielt er sich zugute, dass er das Bild vieler deutscher Städte durch seine Bauprojekte geprägt habe. Das schlechte Gewissen dürfte ihn dennoch ein wenig plagen: Die Erlöse seiner mittlerweile drei Bücher fließen in einen Hilfsfonds für die seinerzeit geschädigten Handwerker.

>> Destruktives Verhaltensprofil <<

Leicht gemacht wurde es auch André Rettberg. 1999 noch von 22 Wirtschaftsjournalisten im Magazin News zum »Manager des Jahres« gekürt, trieb der gefeierte Starsanierer die Buch- und Papierhandelskette Libro nach dem erfolgreichen Börsengang durch überzogene Expansionspolitik in den Ruin. Die Insolvenz war die damals drittgrößte in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. 2002 floh der gebürtige Niederländer ins Ausland und tauchte 16 Monate unter. Im Juni 2011, rund zehn Jahre nach der Insolvenz, wurde »Mr. Libro« im Hauptprozess zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wegen betrügerischer Krida ist bereits seit 2008 rechtskräftig, seine Strafe hat Rettberg bis heute nicht angetreten. Vor Gericht bekannte der gelernte Buchhändler freimütig, keine Bilanzen lesen zu können und auch von Buchhaltung keine Ahnung zu haben. Er sei lediglich der »strategische Visionär« gewesen.  Zumindest als Marketing-Genie hatte Rettberg bereits unter Libro-Alteigentümer Billa beeindruckt. Erhard Schaschl, früherer Chef des Wienerberger-Konzerns und Ex-Libro-Aufsichtsrat, sagte im Prozess als Zeuge aus, er hätte die Aktien bedenkenlos seiner Schwiegermutter empfohlen.

Auch die involvierten Geldinstitute und Investmentbanken hegten anlässlich des Börsengangs keine Zweifel. Vielleicht liegt das aber daran, dass in der Finanzwelt andere Gesetze gelten. Im Rahmen einer MBA-Arbeit an der Universität St. Gallen untersuchten Pascal Scherrer und Thomas Noll, Forensiker des Schweizer Gefängnisses Pöschwies bei Zürich, das Verhalten von 27 professionellen Aktienhändlern anhand eines Computerspiels. Die Ergebnisse wurden mit einer Studie an 24 Psychopathen in deutschen Hochsicherheitskliniken sowie einer Kontrollgruppe von 24 »normalen« Personen verglichen. Das Ergebnis fiel auch für die Experten überraschend aus: Die Händler verhielten sich noch egoistischer und risikobereiter als die Psychopathen, erzielten aber dennoch eine schlechtere Performance. Von 40 Spielzügen der Trader, die bei Schweizer Banken oder Hedgefonds mit Aktien, Derivaten oder Devisen handeln, waren im Durchschnitt mehr als zwölf unkooperativ. Die Gruppe der Psychopathen setzte nur 4,4 unkooperative Züge, die Kontrollgruppe 0,2. »Wenn man den relativen Gewinn nur dadurch maximiert, dass man den absoluten Gewinn des Spielpartners reduziert, hat das etwas sehr Destruktives«, sagt Studienautor Thomas Noll. »Es ist, als malträtiere man das teure Auto des Nachbarn mit einem Baseballschläger, um selber das schönste Auto im Quartier zu haben.«

Nach Meinung der Experten gibt es eine Entkoppelung zwischen den Kontrollmechanismen und dem Alltagsverhalten von Bankangestellten. Es werde zunehmend normal, sich in einem Graubereich zu bewegen. Als hätte es nie einen Bankencrash gegeben, wird um die Wette gezockt. Der britische Ökonom Simon Johnson, Professor am MIT und früherer Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), nennt Josef Ackermann den »gefährlichsten Banker der Welt«, weil er weiterhin auf einer Eigenkapitalrendite von 20 bis 25 Prozent bestehe. »Ein so hoher Gewinn ist nur möglich, weil er genau weiß, dass die Deutsche Bank ein Systemrisiko darstellt und daher von den Steuerzahlern gerettet würde, falls ein Konkurs droht. Also wird auf Gewinn spekuliert – was dann auch die Boni der Manager maximiert.«

 

>> Managertypen:

1. Der Ausbeuter: Geistreich und eloquent präsentiert er fremde Ideen als seine eigenen, spinnt Intrigen und spielt seine Mitmenschen gegeneinander aus. Seine geheuchelte Anteilnahme ist eiskalte Berechnung. Vor verbindlichen Entscheidungen scheut er so lange zurück, bis sie ein anderer übernimmt – was ihn nicht daran hindert, sich später ungeniert mit den Ergebnissen zu schmücken.

2. Der Choleriker: Willkürlich und aus geringstem Anlass entladen sich Wuttiraden über den Mitarbeitern. Der brüllende Chef verliert jede Kontrolle über seine Aggressionen und wird zum unberechenbaren Machtfaktor – einmal kumpelhafter Gönner, dann wieder strenger Big Boss. So unvermittelt die Ausbrüche kommen, so schnell sind sie vorbei. Schlechtes Gewissen kennt er nicht.

3. Der Rastlose: Er ist ein Mann der großen Ideen, mit Kleinkram – wie der Umsetzung seiner Visionen – gibt er sich nicht ab. Seinen Mitarbeitern bleibt es überlassen, die Flut an kreativen Ergüssen in geordnete Bahnen zu lenken. Von der Belegschaft fordert er Einsatz rund um die Uhr, Kritik am Arbeitsumfang oder gar an den Projekten wird nicht geduldet. Er sieht sich als Querdenker, der sich nichts und niemandem unterordnen muss.

4. Der Egomane: Narzisstisch und allürenhaft sieht er das Büro als seine Bühne. An Fehlern und Problemen sind immer andere schuld, denn seine Grandiosität macht ihn praktisch unantastbar. Mitgefühl oder Verständnis kennt er nicht, an Mitarbeitern und Geschäftspartnern fällt ihm nur deren Unvermögen auf. Gespielt wird nach seinen Regeln, Kritik ist ein Fremdwort.

5. Der Sadist: Er ist ein Machtmensch und stolz darauf. Das lässt er seine Mitarbeiter spüren, Tag für Tag. Erhöhtes Arbeitspensum und Wochenenddienste hält er für notwendige erzieherische Maßnahmen. Der Hang zu militärischem Drill ist unverkennbar. Sadistische Chefs hassen langes Herumgerede und bevorzugen kurze, prägnante Berichte. Duckmäuser werden gnadenlos niedergemacht; respektvolles, aber selbstbewusstes Auftreten lohnt sich dagegen.

back to top