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Jeder kann etwas besonderes

Markus Hengstschläger, Institutsvorstand für Medizinische Genetik in Wien: "Es macht keinen Sinn, wenn jeder alles durchschnittlich gut kann, denn das besondere Talent eines Menschen hat man damit auch egalisiert. Wir müssen Menschen erlauben, elitär im Sinne von »anders« zu sein." Markus Hengstschläger, Institutsvorstand für Medizinische Genetik in Wien: "Es macht keinen Sinn, wenn jeder alles durchschnittlich gut kann, denn das besondere Talent eines Menschen hat man damit auch egalisiert. Wir müssen Menschen erlauben, elitär im Sinne von »anders« zu sein."

Die Wirtschaft braucht Innovationen – doch woher nehmen? In Österreich verkümmern viele Talente, weil wir uns auf Schwächen konzentrieren, statt besondere Fähigkeiten zu fördern, meint Markus Hengstschläger. Warum wir in die Durchschnittlichkeitsfalle tappen, obwohl jeder Talente hat, erzählt der Genetiker im Report(+)Plus-Interview.

(+) Plus: Was läuft im österreichischen Bildungssystem falsch?

Markus Hengstschläger: Wenn wir in einem kleinen Land wie Öster­reich Erfolg haben wollen, brauchen wir Innovationen. Diese Innovationen entstehen durch Individualität. In Österreich erscheint es aber vielen Menschen bequemer, sich an der Mehrheit, am Durchschnitt zu orientieren. Der Durchschnitt ist das Instrument zur Gleichmacherei, eine evolutive Sackgasse. Österreich hat nichts anderes als das »Humankapital«. Wir müssen uns individuell aufstellen, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

(+) Plus: Warum zieht es uns in die Durchschnittlichkeit? Ist die Spitze weniger erstrebenswert?

Hengstschläger: Jeder kann irgendetwas gut. Daher ist jeder Elite, nur eben jeder in einem anderen Bereich. Egal ob Sportler, Musiker, Wissenschafter, Manager, Kfz-Mechaniker oder Koch – es macht keinen Sinn, wenn jeder alles durchschnittlich gut kann, denn das besondere Talent eines Menschen hat man damit auch egalisiert. Wir müssen Menschen erlauben, elitär im Sinne von »anders« zu sein.

(+) Plus: Mit dem Begriff »Elite« tut man sich in Österreich besonders schwer. Mit welchen Reaktionen auf Ihre These waren Sie konfrontiert?

Hengstschläger: Der Begriff wird in Österreich einfach nicht diskutiert. Ich habe den Begriff positiv besetzt und neu definiert. Wichtig ist, dass man Talente nicht wertet, indem man zum Beispiel sagt: »Wenn ich so Fußball spielen könnte wie Lionel Messi, das wäre ein wirkliches Talent.« Die Frage ist aber: Trägt Lionel Messi, wenn er ein Tor schießt, mehr zur Lösung unserer Zukunftsprobleme bei als jeder andere, der in seinem Beruf hart arbeitet? Ich glaube sogar, dass die meisten Menschen, die wir für große Talente halten, recht wenig zu Innovationen beitragen.

(+) Plus: Lineare Karriereverläufe werden immer seltener. Muss man Abstecher in Kauf nehmen, bis man sein besonderes Talent gefunden hat?

Hengstschläger: Es gibt natürlich Grundstandards. Wer nicht lesen und schreiben kann und keine Fremdsprache spricht, kann in keinem Job mehr bestehen. Über diese Standards hinaus kann jeder in seinem Bereich Spitzenleistungen zustandebringen, indem er aktiven Verzicht auf die Beschäftigung mit anderen Dingen zulässt. In Österreich nehmen wir in Kauf, dass jemand sein Talent nicht voll nützt, damit er in allen anderen Bereichen ein bisschen besser wird.

(+) Plus: Umgelegt auf die Wirtschaft – wie können sich Unternehmen von der Masse abheben?

Hengstschläger: Wir brauchen die Innovation des Individuums, also Ideen. Wir brauchen Mitarbeiter, die bereit sind, einen neuen Weg zu gehen und Produkte oder Dienstleistungen zu kreieren, die es vorher noch nicht gegeben hat. Dahin führt nur ein Weg: Die Wirtschaft braucht mehr Forschung und Bildung. Ich verstehe nicht, dass ein so reiches Land wie Österreich so wenig in diesen Bereich investiert. Hätten wir diese top ausgebildeten Menschen und kreativen Geister, würde auch in der Wirtschaft wieder viel mehr weitergehen.

(+) Plus: Könnte dieser geistige Input von den Universitäten kommen?

Hengstschläger: Die österreichischen Universitäten leisten sehr viel, vor allem
die Grundlagenforschung ist aber im europäischen Vergleich unterfinanziert. Warum das so ist, kann mir niemand erklären. Gerade in einem Land, dessen Zukunft von Forschung und Bildung abhängt, ist das unverständlich.

(+) Plus: Die meisten Universitäten sind Massenbetriebe. Ist dort überhaupt Platz für individuelle Förderung?

Hengstschläger: Wir haben leider in bestimmten Bereichen viele Interessierte und in anderen viel zu wenige. Das ist auf den Universitäten genauso wie in der Wirtschaft. Es gibt drei oder vier Lehrberufe, die will jeder machen, und alle anderen Branchen suchen qualifizierte Mitarbeiter. Unser Problem ist nicht der Massenbetrieb, sondern dass man in Österreich immer mit der Mehrheit geht. Wenn jemand eine total ausgefallene Studienrichtung wählt, schlagen alle die Hände über den Kopf und sagen: »Nein, mach doch lieber was G'scheites.« Die individuelle Talentförderung darf aber nicht erst an der Universität ansetzen, sondern muss im frühkindlichen Alter beginnen. Jeder kann etwas Besonderes. Es gibt Menschen, die haben soziale Kompetenzen, andere können gut organisieren, der nächste ist ein Computerspezialist oder ein Genie im Kundenkontakt. Ich lasse hier keine Wertung zu – ein Handwerker ist genauso ein großes Talent wie Marcel Hirscher und umgekehrt.

(+) Plus: Gibt es nicht innerhalb dieser Gruppen auch noch Differenzierungen? In der Gruppe der Skirennläufer ist momentan Marcel Hirscher der Beste, es gibt aber noch viele andere talentierte Skifahrer, die es nicht ganz an die Spitze schaffen.

Hengstschläger: Talente sind nichts wert, wenn man sie nicht durch harte Arbeit entdeckt – es heißt also Üben, Üben, Üben. Den Unterschied zwischen zwei Menschen, die im selben Bereich talentiert sind, macht Motivation und Eigenleistung aus. Niemand ist auf seine Gene reduzierbar. Aber jeder hat seine Anlagen und was er daraus macht, bleibt jedem selbst überlassen. Auch unter den Genetikern gibt es Fleißige und weniger Fleißige, ebenso wie unter Kfz-Mechanikern, Friseurinnen und Skifahrern. Will man Menschen das harte Arbeiten schmackhaft machen, geschieht das in Österreich zu 99 Prozent mit Drohungen. Um zu Leistung zu motivieren, gibt es aber in Wahrheit nur ein wirksames Mittel: Lob. Das kann vom Chef kommen, das kann sich aber auch im Ergebnis zeigen, wenn ein Produkt am Markt reüssiert, ein Patient gesund wird oder der Kunde zufrieden ist. Wenn es keine Anerkennung gibt, können Sie Menschen die schönsten Büros einrichten und mit den besten Geräten ausstatten, aber es wird an den Leistungen nichts ändern.

(+) Plus: Wird Leistung generell zu wenig geschätzt?

Hengstschläger: Österreich hat eine Neidkultur. Wenn in Amerika jemand etwas Tolles macht, werden ihn alle rundherum dafür loben. Alle werden sich brüsten, ihn zu kennen, ihn aber auch fragen: »Wie hast du das geschafft? Ich will auch so super werden.« In Österreich werden alle sagen: »So gut ist das gar nicht, das hätte ich auch gekonnt.« Wenn ein junger Mensch etwas gut kann, gilt er als Streber und Außenseiter. Es gibt Anerkennung, wenn man in der Mitte steht und dem Durchschnitt entspricht.

Zur Person:
Markus Hengstschläger, geboren 1968 in Oberösterreich, promovierte mit 24 Jahren am Vienna Biocenter und erhielt ein Forschungsstipendium der Yale University, USA. Mit 29 wurde er außerordentlicher Professor, sechs Jahre später Universitätsprofessor für Medizinische Genetik in Wien, wo er als Institutsvorstand forscht, lehrt und Patienten betreut. Hengstschläger ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommision und Mitglied des Rats für Forschung und Entwicklung. Er ist Autor zahlreicher Publikationen, sein jüngster Bestseller »Die Durchschnittsfalle: Gene – Talente – Chancen« erschien 2012 im Ecowin Verlag.

Last modified onFreitag, 11 April 2014 13:09
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