Harte Winter
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Gras und Steine – mehr hatten Österreichs Skigebiete Anfang Dezember kaum zu bieten. Sehnsüchtig wurde der erste Schnee erwartet oder wenigstens kältere Temperaturen: Denn neben der ungewöhnlichen Trockenperiode im November sorgte die Inversionswetterlage auch noch für zähen Nebel in den Tälern und Frühlingsgefühle am Gipfel. Die Wärme machte so auch die künstliche Beschneiung der Hänge unmöglich. Auch renommierte Skiorte wie Sölden im Ötztal mussten ihre Eröffnungsevents verschieben.
Lediglich in den höher gelegenen Gebieten und in den Gletscherregionen zogen sich weiße Bänder durch die schmutzig-braune Landschaft. Die glitzernde Pracht ist jedoch teuer erkauft. In Ischgl, in 2.800 Metern Höhe gelegen, fand sich zwei Wochen vor dem geplanten Skiopening noch kein Flöckchen. Bei Temperaturen über null Grad kapituliert auch das ausgeklügelte Beschneiungssystem. Dass am 25. November knapp 100 der 238 Pistenkilometer freigegeben werden konnten, war schließlich nur durch einen finanziellen und technischen Kraftakt möglich. Die 869 Schneekanonen »verpulverten« 350.000 Kubikmeter Wasser – fast so viel, wie die vier Speicherseen fassen. Die Betriebskosten betragen somit schon zu Saisonbeginn rund eine Million Euro. Mehr als 21 Millionen Euro investierte Ischgl in den vergangen sechs Jahren in Beschneiungsanlagen. Nur sie können die beworbene »höchste Schneesicherheit« tatsächlich garantieren. Wie der trockenste Herbst seit 40 Jahren zeigte, werden die Zeitfenster für die künstliche Beschneiung immer kleiner. In den wenigen kalten Nächten müssen dann möglichst leistungsfähige Anlagen die Pisten weiß zaubern. Solche Summen sind für kleine, meist niedriger gelegene Gebiete unerschwinglich. Einige Skianlagen in Niederösterreich mussten deshalb bereits im Vorjahr den Betrieb einstellen.
>> Verlorene Generation <<
Die Frage nach der ökologischen und ökonomischen Sinnhaftigkeit stellt indessen kaum jemand. Die Skiurlauber erwarten perfekte Schneeverhältnisse, auch wenn sich die Tourismusbetriebe längst über die Wellness-Schiene ein zweites Standbein aufgebaut haben. Der Tourismus ist in Österreich nach wie vor ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Die damit zusammenhängenden Unternehmen – vom Skihersteller bis zur Hotellerie – erwirtschaften pro Jahr 42,8 Milliarden Euro und tragen etwa 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Jeder fünfte Erwerbstätige ist in der Branche beschäftigt.
Doch das Interesse am Skiurlaub ist zumindest unter den Österreichern schwindend. Die Skigebiete kämpfen um immer weniger Urlauber. Kleinere Orte ohne Anbindung an »Skischaukeln«, die mehrere Hänge und Täler vernetzen, sind gegen diese Konkurrenz fast chancenlos. Dazu kommt das latente Nachwuchsproblem: Von einem »Volkssport Nummer eins« könne man gar nicht mehr sprechen, meint Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung. Denn zwei Drittel der Österreicher fahren überhaupt nicht Ski, Tendenz steigend. Seit in den 90er-Jahren die verpflichtenden Schulskikurse abgeschafft wurden, kam dem Skisport eine ganze Generation abhanden. In der Altersgruppe der Unter-40-Jährigen hat ein Großteil das Skifahren gar nicht mehr erlernt. »Erst haben wir die heutigen, jungen Eltern verloren«, so Zellmann, »jetzt kommen deren Kinder in dieser Minusbilanz hinzu.« Den Urlaub spart man sich für den Sommer auf: 90 % der Österreicher machen keinen Winterurlaub. Skifahrer sind in der einstigen Skination längst eine Minderheit.
Das spiegelt sich auch in den Verkaufszahlen des Skihandels wider. Gingen Anfang der 90er noch weltweit rund acht Millionen Paar Alpin-Ski pro Saison über die Ladentische, sind es inzwischen nur noch 3,5 Millionen. Der Winterurlaub ist zudem vor allem für Familien kaum noch erschwinglich, denn der Aufwand für die Beschneiung schlägt sich deutlich in den Liftpreisen nieder. Skifahren entwickelt sich zum Luxussport. Die Beschneiung macht bereits ein Viertel der Liftkosten aus. Maschinenschnee ist teuer – die Produktion eines Kubikmeters kostet je nach Lage bis zu 4,50 Euro. In Lech schlägt sich die Beschneiung pro Saison mit sechs Millionen Euro zu Buche.
>> Sparsame Urlauber <<
Große Hoffnungen setzt die Branche deshalb auf Gäste aus Osteuropa. Während auch deutsche Urlauber zunehmend fern bleiben, haben vor allem Touristen aus Russland den Skisport für sich entdeckt. Im Fünfjahresvergleich stieg die Anzahl der rumänischen und russischen Skiurlauber mit 189 bzw. 178 % am stärksten, gefolgt von Gästen aus der Slowakei (plus 93 %) und Tschechien (plus 79 %). Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) prognostiziert für diese Saison trotz stabiler Nächtigungszahlen sinkende Umsätze. »Als Folge der schlechten Konjunktur wird im Urlaub weniger ausgegeben. Heuer werden die Umsätze um ein bis zwei Prozent zurückgehen«, sagt Egon Smeral, Tourismus-Experte des Wifo.
Hans Schenner, Obmann der Sparte Tourismus- und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Österreich, rechnet dennoch mit einem Nächtigungsplus von zwei Prozent. »Die letzte Krise ist ja leider erst drei Jahre aus und nun laufen wir wieder in eine – dem Tourismus ist nichts passiert«, verweist Schenner auf den geringfügigen Beschäftigungsrückgang von 0,4 Prozent in den Krisenjahren. Während in anderen Branchen Kündigungen und Kurzarbeit nötig waren, konnten sich die Hoteliers mit Preisnachlässen weitgehend über Wasser halten. »Wir sind der Rettungsschirm für die heimische Wirtschaft in der Krisenzeit geworden«, vermeldet Schennach deshalb stolz. Die rund 90.000 touristischen Betriebe würden in gewissem Sinn eine Standortgarantie gewähren, durch den Kauf heimischer Produkte die Landwirtschaft unterstützen und mit Investitionen von jährlich rund drei Milliarden Euro als Beschäftigungsmotor fungieren.
Nach dem vergangenen Rekordsommer sprüht die Branche vor Optimismus. Noch kommen 71 % der Skiurlauber aus dem Inland, aus Deutschland und den Niederlanden. Die großen Werbeaktivitäten sind aber längst auf andere Nationen fokussiert. Die Österreich Werbung – zu drei Viertel im Besitz des Bundes, ein Viertel gehört der Wirtschaftskammer – lässt heuer 14 Millionen Euro springen, um Gäste aus Zentraleuropa, aber auch aus den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) zum Winterurlaub in Österreich zu locken.
Der Trend geht zu immer kürzeren Aufenthalten. Die Touristiker forcieren deshalb eine möglichst rasche, wenn auch ökologisch bedenkliche Anreise – mit dem Flugzeug. In der Region Salzburger Land, wo erst im Sommer rund 100 Millionen Euro in neue Seilbahnen und Schneekanonen investiert wurden, freut man sich über die Zunahme der Charterflüge. Neu im Programm sind Direktflüge von Göteborg, Groningen, Liverpool und Luton nach Salzburg. Die Winterflugpläne aus dem Baltikum, Skandinavien und der Ukraine wurden ausgebaut, Flyniki peilt die Mozartstadt außerdem einmal wöchentlich von Moskau aus an.
>> Trübe Aussichten <<
War der akute Schneemangel zum Saisonstart für das gesamte Wintergeschäft noch kaum von Relevanz, bot das Bangen und Hoffen jedoch schon einen kleinen Vorgeschmack auf das, was uns laut Klimaforschung bald erwarten wird. Behalten die Wissenschafter recht, könnten etliche Skigebiete nämlich spätestens in zehn Jahren an ihre finanziellen und ökologischen Grenzen stoßen. Robert Steiger, Klimaforscher der Universität Innsbruck, analysierte die Auswirkungen des Klimawandels auf die 228 österreichischen Skigebiete. Demnach macht sich in Tirol und Salzburg erst eine Klimaerwärmung um zwei Grad signifikant bemerkbar, während in den östlichen Bundesländern bereits eine Erwärmung um 0,5 bis 1,5 Grad reicht, um die Anzahl der schneesicheren Skigebiete zu halbieren. Um eine 100-Tage-Skisaison zu ermöglichen, müsste ab zwei Grad die Kunstschneeproduktion verdoppelt werden, in Vorarlberg, Ober- und Niederösterreich bereits bei 1,5 Grad Erwärmung. Schon ab 2020 könnten selbst in Tirol nur 20 % der Skiregionen in den Weihnachtsferien gute Pistenverhältnisse anbieten, bis 2040 wird zu Neujahr nur noch die Hälfte der Anlagen in Betrieb sein. Bis 2050 müsste fast die Hälfte aller österreichischen Skigebiete die Schneeproduktion verdoppeln, so Steiger. Angesichts der steigenden Kosten bei sinkenden Gästezahlen kann sich der Aufwand kaum noch rechnen.
Appelle der Klimaforscher für eine Umkehr zu ressourcenschonenden Tourismuskonzepten verhallen dennoch ungehört. Stattdessen sucht man unablässig neue Wege, um wetterunabhängiges Skivergnügen zu garantieren. Neben der stetigen technischen Optimierung der Schneekanonen, die künftig auch bei höheren Temperaturen arbeiten sollen, sind dies auch aberwitzige Ideen wie die »Downhill Bubbles«, die Günther Aloys, Hotelier und (laut Eigendefinition) »Visionär« aus Ischgl, vor wenigen Jahren ersann. Vollständig überdachte Skipisten könnten den Skispaß auch in schneearmen Wintern ermöglichen und sogar bis in den Sommer hinein ausdehnen. Das auf Aluminiumprofilen montierte Dach ließe sich bei günstigen Witterungsbedingungen auch öffnen, Musik und Lichtprojektionen gaukeln im Inneren Bergidylle vor. »Die Menschen haben überhaupt keine Berührungsängste gegenüber solchen szenischen Welten«, meint Aloys. Mit dieser Lösung könne man »den anstehenden Folgen des Klimawandels trotzen«.