Unternehmen in Österreich: Not macht erfinderisch
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Während manche Branchen völlig zum Stillstand gekommen sind, suchen einige Unternehmen mitten in der Krise nach einem Ausweg und nützen die Gunst der Stunde – mit großem Aufwand, Kreativität und Engagement. Medizintechniker zeigen sich skeptisch.
Die Coronakrise hat zu sprunghafter Nachfrage in einigen Bereichen geführt. Neben Klopapier und Nudeln stehen derzeit nur Atemmasken, Desinfektionsmittel, Beatmungsgeräte und Testreagenzien ähnlich hoch im Kurs. Obwohl Hersteller medizintechnischer Produkte unter Hochdruck produzieren, ist der Weltmarkt praktisch leergekauft. Die Nerven liegen blank: Mehrere Staaten beschuldigen einander, Lieferungen aus China, die für andere Destinationen bestimmt waren, abgezweigt und im eigenen Land verteilt zu haben.
Etliche Unternehmen, deren Kerngeschäft in den letzten Wochen weitgehend zum Erliegen gekommen ist, machten inzwischen aus ihrer Not eine Tugend und stellten ihre Produktion um. In Vorarlberg bündelten, koordiniert von der Servicegesellschaft WISTO (Wirtschaftsstandort Vorarlberg GmbH) und der Smart Textiles Plattform, gleich mehrere Firmen ihre Kräfte, um dringend benötigte Atemschutzmasken herzustellen. So liefert die Bludenzer Firma Getzner das Baumwollgewebe und die Grabher Group übernimmt die Hydrophobierung der Stoffe mittels Plasmatechnologie, um das Eindringen von Flüssigkeiten zu verhindern.
Wolford sorgt für elastische Filter-Gestricke und die Umformung zu Masken. Hämmerle verfügt über die technologischen Voraussetzungen, um mehrlagige Bestandteile hochautomatisiert herzustellen. Bandex steuert elastische und nicht-elastische Bänder bei. Neben den führenden Textilbetrieben im Ländle sind auch rund 80 Änderungsschneidereien eingebunden. Hilfe kommt aber nicht nur aus der Textilindustrie: Von Ölz Meisterbäcker stammen die Verschlussclips, Kapsch implementierte in nur eineinhalb Tagen eine Logistik- und Prozesskontrolllösung.
Bild oben: Die Herstellung von Beatmungsgeräten ist wesentlich komplexer, als einige Maschinenbau- und Automobilunternehmen dachten.
Diese Mund-Nasen-Schnellmasken sind nicht zertifiziert und entsprechen keinen Normen, sind aber durch eine zusätzliche Vlieseinlage hochwertiger als Einwegmasken und mehrfach industriewaschbar. Mit einem eingenähten Metallbügel kann die Maske individuell angepasst werden. Rund 25.000 Stück pro Tag werden derzeit hergestellt. Ein Kontingent von bis zu 500.000 Stück sei möglich, sagt der Textilunternehmer Günter Grabher, der die Taskforce bereits Anfang März ins Leben rief: »Schon damals hat sich abgezeichnet, dass Schutzmasken Mangelware werden.«
Für Atemschutzmasken der FFP-Schutzklassen für Personal im infektiösen Bereich brauchte es eine längere Vorlaufzeit. Tecnoplast adaptierte seine Produktion und entwickelte Kunststoff-Atemventile und Verschlussteile. Jetzt fehlt es nur noch an Näherinnen und Nähern, die die Einzelteile zu fertigen Masken verarbeiten.
Zweites Standbein
Die Vielzahl der involvierten Firmen zeigt, wie komplex der Aufbau dieses scheinbar simplen Produkts ist. Dass gerade die krisengebeutelte Textilindustrie mit ihrem Know-how in diesen Wochen und Monaten einen entscheidenden Beitrag leisten kann, ist für die Beteiligten auch eine gewisse Genugtuung. Seit langem galt die Branche als Sorgenkind der heimischen Wirtschaft, nur wenige Betriebe siedelten ihre Produktion nicht nach Asien ab – ein Umstand, der sich nun bezahlt macht. Schon vor einigen Jahren richtete die Branche ihren Fokus von Modetextilien auf technische Textilprodukte mit smarten Gimmicks, wie etwa Tarnanzüge, die die Farbe wechseln können, oder Betteinlagen, die bei Nässe ein Signal senden.
Nicht überall lässt sich die Produktionsanlage auf derzeit gefragte Artikel umstellen. Unternehmen, denen der Großteil ihres Umsatzes weggebrochen ist, nehmen den nicht unerheblichen Aufwand dennoch in Kauf und schafften sogar eigens Maschinen dafür an. In verwandten Branchen fällt der Umstieg noch relativ leicht – statt Dessous oder Matratzen werden Masken genäht, statt Spirituosen füllt man Desinfektionsmittel ab.
Nach Abstimmung mit den zuständigen Behörden baut Christian Schmid, Geschäftsführer der Edelbrennerei Erben in Brixen, seit Anfang April mit der Produktion von Desinfektionsmitteln ein zweites Standbein auf. Wo sonst 300 bis 400 Tonnen Obst jährlich zu hochwertigem Schnaps verarbeitet werden, fließen nun pro Monat mehr als 50.000 Liter Desinfektionsmittel in Flaschen und Kanister, die vor allem von Krankenhäusern und Apotheken angefragt werden. Basis für Desinfektionsmittel ist Ethanol, ein 96-prozentiger Alkohol, der ebenfalls bereits Mangelware ist. Die Brennerei kann ihn jedoch in der großen Kolonnenbrennerei aus Altbrot selbst herstellen. Die neue Einnahmequelle ist umso wichtiger, da Hotellerie und Gastronomie als Abnehmer der Edelbrände ausfallen.
Bild oben: In der Brennerei Erben in Brixen fließt neben Edelbränden nun auch Desinfektionsmittel aus dem Kessel (li.). In Vorarlberg erzeugt ein Konsortium aus Textilunternehmen gemeinsam Atemschutzmasken.
In der Ottakringer Brauerei läuft die Bierproduktion zwar wie gewohnt, zusätzlich hat das alteingesessene Wiener Unternehmen aber die Produktion von Flächendesinfektionsmittel aufgestockt. Dieses wird im eigenen Gärkeller zur Reinigung von Oberflächen eingesetzt – die überschüssigen Mengen werden gratis zur Verfügung gestellt. »Zusammenhalt und Unterstützung sind in diesen schwierigen Zeiten wichtiger denn je«, sagt Ottakringer-Geschäftsführer Matthias Ortner. »Wir spenden das Desinfektionsmittel im Fünf-Liter-Kanister all jenen Betrieben und öffentlichen Einrichtungen bei uns im Bezirk, die es benötigen.«
Aufwand unterschätzt
Diffiziler ist die Situation bei Beatmungsgeräten. »In der Medizintechnik wird kein Spielzeug hergestellt. Da gibt es komplizierte regulatorische Vorgaben, die erfüllt sein müssen«, verweist Niklas Kuczaty, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik beim Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), auf die Grenzen einer kurzfristigen Produktionsumstellung.
Auf Ersuchen des deutschen Gesundheitsministeriums hatte sich der Verband an die Mitgliedsunternehmen gewandt, um potenzielle Lieferanten für medizintechnische Produkte ausfindig zu machen. Die Resonanz war groß, beschränkte sich jedoch weitgehend auf die Produktion von Schutzausrüstung oder die Bereitschaft, Firmenkontakte nach China für deren Beschaffung zur Verfügung zu stellen.
Zur Initiative einiger Automobilkonzerne zeigt sich Kuczaty kritisch: »Es ist nicht realistisch, dass VW morgen Beatmungsgeräte herstellt.« Mittels 3D-Druck sei es zwar möglich, einzelne Komponenten rasch zu liefern, diese Teile müssten dann jedoch erst neu zertifiziert werden. Gerade bei Beatmungsgeräten müsse höchste Qualität garantiert sein: »Wenn das ausfällt, ist der Patient tot.«
Als der Staubsaugerspezialist Dyson ein binnen zehn Tagen entwickeltes mobiles Beatmungsgerät präsentierte, zollten auch viele Skeptiker Anerkennung. Die britische Regierung orderte umgehend 100.000 Stück. Die nötigen Sicherheitstests sind freilich noch ausständig und – was kaum publik wurde – Dyson stützte sich auf die Expertise einer Medizintechnik-Firma in Cambrigde. Die Werbewirkung der Nachricht war dennoch unbezahlbar.
Darauf hofft auch Elon Musk, der nach anfänglicher Banalisierung des gefährlichen Virus vollmundig ankündigte, auch Tesla werde auf die Herstellung von Beatmungsgeräten umsatteln – eine Notmaßnahme, denn seine Autoproduktion wurde von den kalifornischen Behörden als nicht essenziell eingestuft und zu einer Zwangsschließung verpflichtet.
Zunächst importierte der Tesla-CEO im Eiltempo chinesische Beatmungsgeräte, die jedoch für Covid-19-Patienten auf Intensivstationen nicht geeignet sind, und räumte zugleich ein, die Entwicklung eigener Geräte werde acht bis zehn Wochen in Anspruch nehmen. Musk konnte dafür den Medizintechnikhersteller Medtronic ins Boot holen – doch auch dessen Sprecher schickte voraus, es brauche dafür »mehr als ein technisch versiertes Team und den Wunsch, solche Geräte herzustellen«. In einem YouTube-Video präsentierte Musk Mitte April, etwa vier Wochen nach seiner Ankündigung, einen Prototypen, den seine Techniker vorwiegend aus Tesla-Teilen gebaut haben sollen.
Ob die Beatmungsgeräte ein Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen, ist unklar, immerhin entsprang die Erfinderfreude der US-Unternehmen dem dringenden Wunsch von Präsident Trump. Bis die Geräte tatsächlich in medizinischen Einrichtungen zum Einsatz kommen, dürfte jedoch noch einige Zeit verstreichen.
Auch ein Konsortium mehrerer Unternehmen aus Maschinenbau und Luftfahrt sowie sieben Formel-1-Teams stiegen in die Entwicklung von Beatmungsgeräten ein. Die Mercedes-Motorenfabrik in Brixworth wurde kurzerhand umfunktioniert. Red-Bull-Motorsport-Chef Helmut Marko äußerte sich zuversichtlich, die Formel 1 könne »innerhalb kürzester Zeit auf größte technische Herausforderungen reagieren«.
Das erste Modell namens BlueSky erwies sich jedoch als unbrauchbar – Erkrankte könnten damit zwar beatmet werden, bei Covid-19 seien die Anforderungen aber komplexer, erklärten Mediziner nach ersten Tests. Die Lunge fülle sich bei Corona-Patienten schneller mit Flüssigkeit als bei vergleichbaren Krankheiten. Die Geräte müssten deshalb immer wieder in einen anderen Modus geschaltet werden, für regelmäßige Wechsel ist BlueSky aber nicht ausgelegt.
Hundertjährige Erfahrung
Spezialisten wie die Lübecker Drägerwerk AG sehen das Engagement branchenfremder Unternehmen recht gelassen (siehe Interview). Das erste Beatmungsgerät der Welt wurde 1907 von Heinrich Dräger erfunden – das Familienunternehmen vertraut somit auf die mehr als hundertjährige Erfahrung mit diesem komplexen Thema, das hygienische Standards, unterschiedliche Materialien und ausgeklügelte Technologien umfasst.
Die über Jahrzehnte aufgebaute Expertise gibt kein Hersteller leichtfertig aus der Hand. Selbst mit Blaupausen für Einzelteile, die auf 3D-Druckern billig produziert werden könnten, ist man vorsichtig. Die hochtechnisierten Geräte sind durch Patente geschützt, man würde das eigene Kerngeschäft über die Krise hinaus für die weitere Zukunft torpedieren. Galt die Warnung vor Plagiaten bisher üblicherweise für Asien, käme potenzielle Konkurrenz auf diese Weise ungestraft ins Haus.
Offener zeigt man sich gegenüber technologischem Input. Der Chiphersteller Infineon erhielt von einem führenden Produzenten von Beatmungsgeräten einen Großauftrag zur Lieferung von Leistungshalbleitern. Insgesamt wurden 38 Millionen Teile bestellt, die zur Steuerung von Elektromotoren eingesetzt werden. Helmut Gassel, Chief Marketing Officer bei der deutschen Konzernmutter, ist sich der Schlüsselrolle des Unternehmens in der gegenwärtigen Situation bewusst: »Momentan beobachten wir eine Verlagerung hin zu medizinischen Geräten. Zahlreiche Hersteller erweitern oder ändern ihren Produktionsschwerpunkt und benötigen von uns die erforderlichen Komponenten, um schnell auf die besondere Nachfrage reagieren zu können.«
Forschung aus Österreich
Großer Bedarf besteht auch bei Test-Kits, um eine Erkrankung an Covid-19 schneller abklären zu können. Die Steigerung der Testkapazitäten wird ja vor allem durch die mangelnde Verfügbarkeit an Reagenzien eingeschränkt. Die einzigen zugelassenen PCR-Tests stammen vom Weltmarktführer Roche. Der Medizintechnikspezialist Siemens Healthineers entwickelte
einen molekulardiagnostischen Test, das Zulassungsverfahren bei der WHO und der US-Behörde FDA läuft. Gedacht ist der Test für große Labors, etwa in Krankenhäusern, wo bis zu 1.000 Proben pro Tag getestet werden könnten. Der Test kann auf Geräten jedes beliebigen Herstellers durchgeführt werden und liefert innerhalb von drei Stunden ein Ergebnis.
Einen anderen Ansatz verfolgen Forscher rund um den in New York tätigen Virologen Florian Krammer, der ein Verfahren vorstellte, mit dem sich Antikörper im Blut nachweisen lassen, auch wenn die betreffende Person keine oder nur milde Krankheitssymptome gezeigt hatte. Das ermöglicht wertvolle Rückschlüsse auf die Höhe der Dunkelziffer. An der Universität für Bodenkultur und vier medizinischen Universitätsinstituten arbeiten bereits Teams an der Etablierung des Immuntests.
Auf der Suche nach einem wirksamen Medikament gegen Covid-19 könnte ebenfalls österreichischen Wissenschaftern der Durchbruch gelungen sein. Das Biotech-Unternehmen Apeiron Biologics, gegründet vom Genetiker Josef Penninger, stützt sich auf einen Wirkstoff, der 2002 zur Bekämpfung des SARS-Virus entwickelt wurde und zur Behandlung akuter Lungenschäden und Atemnot geeignet ist. Das Präparat wird derzeit an 200 besonders schwer erkrankten Personen in Österreich, Deutschland und Dänemark getestet. Sollten die Ergebnisse die Forschungen bestätigen, könnte das Medikament schon ab Sommer verfügbar sein.