"Erleben ein starkes Zusammenhalten der Belegschaft" Featured
- Written by Martin Szelgrad
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Wie geht es einem Verteilnetzbetreiber in der Krise? Gerhard Fida, Geschäftsführer der Wiener Netze und Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen Österreichs, zur aktuellen Lage. (Video)
Report: Wie geht es Ihnen und dem Wiener-Netze-Team mit der aktuellen Situation? Wie ist die Stimmung?
Gerhard Fida: Eigentlich geht es uns – den Umständen entsprechend – sehr gut. Wir haben äußerst anspruchsvolle Wochen hinter uns und alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um in dieser Krise das Funktionieren der Energieversorgung am Laufen zu halten. Wir haben Schutzausrüstung für unsere MitarbeiterInnen organisiert und auch Verhaltensregeln für die Arbeit auf Baustellen geschaffen – die Wiener Netze wickeln jedes Jahr über 4.000 Baustellen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ab. Hier haben wir den Vorteil, dass die Gesichtsvisiere auf den Schutzhelmen unserer Stromtechniker auch ein hervorragender Schutz gegen Tröpfchen-Ansteckung sind.
Wir erleben gerade in diesen Krisenzeiten ein starkes Zusammenhalten der Störungsdienste sowie unserer gesamten Belegschaft. In unserer Kernaufgabe als integrierter Netzbetreiber tun wir alles dafür, dass die Versorgungssicherheit mit Strom, Gas und Fernwärme gesichert ist – für Privatkunden ebenso wie für die Wirtschaft.
Report: Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um auch in Krisenzeiten einen ausfallssicheren Netzbetrieb zu gewährleisten?
Fida: Ein Krisenmanagement und das Einberufen eines Krisenstabs – das haben wir schon in der Vergangenheit regelmäßig geprobt. Wir kennen die unterschiedlichen Rollen bei Störungen im Energiebereich und haben detaillierte Anleitungen für Extremsituationen erarbeitet. »Abstand halten« wurde auch bei uns als Devise ausgegeben. In den Störungsdiensten, die rund um die Uhr arbeiten, wurden die Schichten getrennt und Teams in voneinander getrennte unabhängige Einheiten eingeteilt.
Was bislang weniger im Fokus war, ist ein Krisenmanagement, das quer über alle Unternehmensbereiche schnelle Maßnahmen treffen muss. Die gemeinsame Kantine wurde geschlossen, die Verpflegung umgestellt. Wir haben unsere Struktur in den Netzwarten und bei den Einsatzgruppen sofort auf die geänderten Rahmenbedingungen umgestellt. So wurden im Strombereich überhaupt die Mannschaften auf zwei verschiedene Lastverteiler aufgeteilt – und allenfalls mit Bereitschaftsdiensten bei etwaigen krankheitsbedingten Ausfällen vorgesorgt.
Bild: Gerhard Fida im Gespräch mit Martin Szelgrad, Report Verlag.
Und auch wenn es persönliche Besprechungen gibt, dann halten wir Abstand. Für herzliche Menschen – und auch mich als angelernten Wiener in der Teamarbeit hier – ist
das eine ungewohnte Situation. Wir alle aber haben in den letzten Wochen gelernt, damit umzugehen.
Report: In welcher Weise haben sich in den letzten Wochen die Lastströme im Netz aufgrund der Krise verändert? Bei Strom und bei Gas?
Fida: Der Energieverbrauch in unserem Versorgungsgebiet – also in Wien, in Teilen Niederösterreichs und des Burgenlandes – ist insgesamt um rund 15 % gesunken. Unternehmen produzieren vielfach nicht mehr oder in geringerem Ausmaß, die Gastronomie steht großteils still. Und das Verhalten der Menschen hat sich natürlich in den Haushalten geändert: Dort sehen wir einen höheren Verbrauch, bei Strom um 25 bis 30 %. Dass zu Mittag daheim gekocht wird, sieht man an den Stromverbrauchspitzen im Netz. Auch stehen die Menschen etwas später auf als sonst. Doch der höhere Stromverbrauch im privaten Umfeld gleicht den reduzierten Bedarf der Unternehmen nicht aus.
Der Gasverbrauch wiederum ist eher von der Außentemperatur abhängig, die im April stark schwankend war. Hier werden wir dann im Jahresvergleich Aussagen treffen können. Derzeit sind jedenfalls keine wesentlichen Änderungen gegenüber der sonstigen Netzlast sichtbar.
Über alle Netzbereiche hinweg können wir jedenfalls bestätigen: Die Menschen bleiben zuhause. Sie nehmen die Krisensituation ernst und schützen damit jene, die draußen arbeiten müssen.
Report: Gibt es bereits »Learnings« aus dieser Situation? Wo hat es auch Bedarf für Nachbesserungen beziehungsweise ungeplante Herausforderungen gegeben?
Fida: Ich glaube, wir alle haben viel gelernt – vor allem über die Verbreitung von Viren, Schutzmaßnahmen und das gestiegene Bedürfnis vieler, Lebensmittel auf Lager zu halten. Als Unternehmen haben wir gesehen, dass wir in einer Krise verstärkt auf digitale Kommunikation setzen müssen und das auch können. Das Interagieren über den Bildschirm war trotzdem auch für uns in diesem Maße und in dieser Breite neu. Schließlich wurden im gesamten Konzern innerhalb kürzester Zeit immens viele Homeoffice-Plätze geschaffen. Dabei haben wir auch gesehen: Man muss mit dem auskommen, was verfügbar ist.
Ich bin persönlich überzeugt, dass diese Krisensituation uns auch über einen längeren Zeitraum stärker über Nachhaltigkeit und weltweite Produktionsketten zum Nachdenken bringen wird. Was kann ich vielleicht auch lokal einkaufen? Wo werden Waren produziert – etwa kritische Produkte wie Schutzmasken?
Report: Was ist unter den Slogans #wirhaltenwienamlaufen und #wienfährtwiederhoch zu verstehen, die nun propagiert werden?
Fida: Jetzt ist die Zeit eines neuen Umgangs miteinander gekommen – mit Abstandhalten, Desinfektion und persönlicher Schutzausrüstung. Die Wiener Netze haben nach der radikalen Einschränkung des Baubetriebs im März nun gemeinsam mit den Bauunternehmen begonnen, zunächst wieder 150 systemrelevante und kundengetriebene Baustellen anzukurbeln. Sowohl die Bauarbeiter als auch unsere Fachkräfte haben entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen – bei Rohrlegungsarbeiten ebenso wie in der Verkabelung oder bei Freileitungsmontagen.
Wir haben die Lebensadern der Stadt – und sind auch weiterhin ein verlässlicher Partner beim Bezug einer Neuwohnung oder der Arbeit in einem Industrieobjekt. Mitunter hängt auch der Fortschritt größerer Baustellen wie etwa im Straßenbau vom Abschließen unserer Arbeiten ab. Hier wollen auch wir unseren Beitrag leisten. Uns ist bewusst, dass wir mit jährlich rund 300 Millionen Euro Investition in die Infrastruktur ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Stadt sind – und auch unsere Auftragnehmer Arbeitsplätze sichern müssen.