Frauen auf dem Chefsessel sind eine Seltenheit. Anders in Familienbetrieben: Jedes sechste Unternehmen wird von einer Frau geleitet. Mit dem Generationenwechsel hält ein neuer Führungsstil Einzug.Von Angela Heissenberger Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war die Führung eines Unternehmens reine Männersache. In Familienbetrieben galt das ungeschriebene Gesetz, wonach der erstgeborene Sohn die Leitung zu übernehmen hatte – ungeachtet seiner Eignung oder anderweitiger Ambitionen. Die Töchter wurden bestenfalls mit einer Abfindung abgespeist.Dieses Bild hat sich gründlich gewandelt: Während Frauen im Topmanagement noch immer stark unterrepräsentiert sind, haben sie in Familienbetrieben längst die Chefsessel erobert. Patriarchale Strukturen gehören zunehmend der Vergangenheit an. Väter legen das Firmenerbe immer öfter in die Hände ihrer Töchter. Gerade die als konservativ verschrieenen Familienunternehmen mit Hang zu Traditionen präsentieren sich damit als besonders fortschrittlich. Steigende Präsenz Laut Schätzungen der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) stehen bis 2019 etwa 55.200 Klein- und Mittelbetriebe zur Übergabe an. Die Hälfte aller Unternehmensnachfolgen findet im Familienkreis statt. 1996 betrug der Frauenanteil unter den Nachfolgern nur 31 Prozent, 2006 waren es bereits 43 Prozent. Tendenz steigend.In 25 Prozent der Familienbetriebe im deutschsprachigen Raum stehen Frauen an der Spitze. Bei 16 Prozent halten sie die Geschäftsführung allein, bei neun Prozent leitet ein gemischtes Team. Das ergab eine aktuelle Studie der Intes Akademie für Familienunternehmen in Bonn und des Frankfurter Personalberaters Heiner Thorborg. Befragt wurden 253 Familienbetriebe in Deutschland, Österreich und der Schweiz. »Es ist erfreulich, dass Frauen in Familienunternehmen zunehmend zu Toppositionen vordringen«, sagt Intes-Partner Peter May. Die überwiegende Mehrheit der weiblichen Führungskräfte zog erst nach 1995 in die Geschäftsführung ein. Mehr als die Hälfte der Befragten erwartet schon in den nächsten Jahren eine steigende Präsenz von Frauen in Toppositionen.In mittelgroßen Firmen haben Frauen die besten Karrierechancen. Fast jeder dritte Betrieb mit einem Umsatz zwischen zehn und 50 Millionen Euro wird von einer Frau geführt. Die Zahl der Frauen in der Chefetage nimmt jedoch mit der Unternehmensgröße markant ab. In Familienunternehmen mit mehr als 250 Millionen Euro Umsatz sind Frauen ähnlich unterrepräsentiert wie bei börsennotierten Konzernen. Unter den Dax-30-Unternehmen beispielsweise schaffte es keine einzige Frau an die Spitze.Nur zweite Wahl Die »gläserne Decke« hat Löcher bekommen. Die Geschlechterfrage stand bei der Betriebsnachfolge jedoch selten im Vordergrund. 79 Prozent der Befragten machten die Übergabe an die nächste Generation an anderen Kriterien fest. Nur 14 Prozent bevorzugen einen Sohn, immerhin sieben Prozent wollen bewusst ihre Tochter als Nachfolgerin sehen. Trotzdem kommen Frauen oft erst dann zum Zug, wenn ihre Brüder und Cousins auf den Chefposten verzichten oder keine männlichen Nachkommen vorhanden sind. »Auch in Familienunternehmen besteht weiterhin die Notwendigkeit, für das Thema Frauen in Führungspositionen zu sensibilisieren«, meint Studienautor Klaus Schweinsberg von Intes. Viele Familienbetriebe hätten bei der Besetzung von leitenden Funktionen größere Probleme als Konzerne. Die frühe Förderung von weiblichen Familienmitgliedern mache sich deshalb bezahlt.Dass Töchter dennoch oft die zweite Wahl für die Unternehmensnachfolge bilden, liegt an den unzureichenden Rahmenbedingungen, mit denen auch andere Frauen im Topmanagement konfrontiert sind. Mangelnde Kinderbetreuungsangebote und grundsätzliche Zweifel an der Kompetenz weiblicher Führungskräfte machen Frauen noch immer das Leben schwer.Charlotte Eblinger trat 2005 neben ihrem Vater in die Geschäftsleitung der Personalberatung Eblinger & Partner ein – und wurde an seiner Seite anfangs nicht immer ernst genommen. Nach einem über mehrere Jahre laufenden Übergabeprozess übernahm sie inzwischen gemeinsam mit ihrem Bruder Florens die Geschäftsführung. Viel Konfliktpotenzial konnte durch begleitendes Coaching schon im Vorfeld bereinigt werden.Nicht immer verläuft die Nachfolge so gut vorbereitet und strukturiert. Julia Fandler, Geschäftsführerin der Fandler Ölmühle, trat bereits mit 21 Jahren ins Unternehmen ein. Der Tod ihres Vaters zwölf Jahre später kam dennoch verfrüht. Werte wie Respekt und Anerkennung, die schon ihrem Vater sehr wichtig waren, führt sie konsequent weiter: Nachhaltigkeit, der ökologische Fußabdruck und flexible Arbeitszeiten für Mütter und Väter im Betrieb sind Julia Fandler ein großes Anliegen.Ein Sprung ins kalte Wasser war die Übernahme des Betriebes für Susanne Stein-Dichtl. Zwar hatte sie sich schon während des Jus-Studiums mit dem Gedanken angefreundet, den familieneigenen Manz-Verlag zu führen. Als ihr Vater plötzlich starb, musste sie jedoch bereits mit 27 das Ruder in die Hand nehmen. Ihr Bruder, der ebenfalls daran interessiert war, hatte zu diesem Zeitpunkt sein Studium noch nicht abgeschlossen – sonst wäre vermutlich er erste Wahl gewesen. Stein-Dichtl wurde zu Beginn bei Geschäftsverhandlungen einige Male für die Assistentin des Geschäftsführer gehalten: «Aber das war den anderen meist peinlicher als mir.«Voller Einsatz Bettina Daser, die als Soziologin an der Universität Frankfurt eine Studie zum Thema Nachfolgerinnen verfasste, betrachtet die Situation durchaus zwiespältig: »Töchter kommen meist nur dann zum Zug, wenn es keine Alternative gibt oder wenn die Bindung zum Vater besonders stark ist.« Vordergründig werde zwar nach Leistung und Qualifikation entschieden, »die Geschlechterfrage kommt dann durch die Hintertür ins Spiel«, so Daser.Vorbehalte gegen Frauen auf dem Chefsessel entbehren jeder Grundlage. Dass Frauen ebenso erfolgreich eine Firma leiten können, ist durch zahlreiche Erhebungen hinlänglich belegt. Mehr noch: Gerade wegen der oft durchklingenden Geringschätzung zeigen Frauen überdurchschnittliche Leistungen, wenn sie eine Chance bekommen. Von Marie-Luise Dietrich, Chefin der Pfanner Getränke GmbH, wurde immer »voller Einsatz, kein halbherziges Engagement« erwartet: »Heute bin ich überzeugt, dass auch mein feiner Spürsinn für Harmonie und Balance ein wichtiger Faktor in diesen Prozessen war«.Durch flache Hierarchien und größere Gestaltungsspielräume können die Erbinnen dem Betrieb leichter ihren Stempel aufdrücken, als dies in großen Konzernen möglich wäre. Nicht selten bringt die Nachfolge durch Töchter frischen Wind und eine menschlichere Unternehmenskultur mit sich – für Firmen, die sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren wollen, durchaus ein Vorteil.Unternehmensberater Schweinsberg ist trotz vieler Stolpersteine zuversichtlich, dass Familienunternehmen durch die starke Frauenpräsenz einen deutlichen Vorsprung erringen können. »Frauen ziehen Frauen nach – ob als Familienmitglied oder nicht«, meint Schweinsberg.Doch ein Aspekt stimmt nachdenklich: 45 Prozent der in der Intes-Studie befragten Familienunternehmer erachten den aktuellen Frauenanteil in Führungspositionen als ausreichend.