Die USA zu verstehen, ist nicht leicht. Ein Besuch in Lancaster County hilft zu begreifen, woher dieses Land kommt.
Wer verstehen will, woher die USA kommen, muss nach Lancaster County in Pennsylvania reisen. Hier ist Ur-Amerika, nicht nur wegen der Amish, die mit ihren Kutschen, dem schwarzen Gewand, den Strohhüten und ihrer jedem Fortschritt entsagenden Lebensweise eine exotische Attraktion geworden sind. Auf ganz engem Raum haben sich hier im 18. Jahrhundert Religionsflüchtlinge aus Mitteleuropa niedergelassen. In Ephrata kann man das Kloster besichtigen, in dem die Singles rund um Johann Conrad Beissel gelebt haben. Der deutsche Einzelgänger wurde zum Guru wider Willen, weil er derart charismatisch davon erzählte, dass die zweite Ankunft Christi und der Jüngste Tag nah seien. Seine Jünger gaben alles auf, die Liebe, die Ehe und und sogar ein weiches Bett. Auf kargen Bänken mit einem Holzscheit als Polster schliefen sie, nur wenige Stunden jede Nacht, weil ab zwei Uhr morgens gemeinsam gebetet und auf die Ankunft Christi gewartet wurde.
So viel Kargheit ertrug man nur in der festen Überzeugung, dass sie bald vorbei sei. 1732 gründete Beissel seine zölibatäre, asketische Gemeinschaft, die erst am 27. Juli 2008 ihr zu erwartendes Ende fand, als Marie Kachel Bucher, die letzte Nachfahrin der Glaubensbrüder, starb.
In Lititz, wenige Kilometer von Ephrata entfernt, ließen sich zur selben Zeit, Mitte des 18 Jahrhunderts, mährische Hussiten nieder und schotteten ihre Siedlung gegen Andersgläubige ab. Gäste waren willkommen, allerdings nur zur Miete.
Musik, Kunst, Brezel und Schokolade brachten die Jünger von Lititz hervor, und das erklärt auch, warum 2003 der Ort zur »coolsten Gemeinde der USA« gewählt wurde. Brezeln machen ist eine Kunst. Die kann man dort erlernen, wo Julius Sturgis 1861 angefangen hat, die besonders knusprige Variante der Bier-Brezel zu fertigen.
In der alten Backstube, wo früher Julius und seine vielen Kinder Hand anlegten, können heute Touristen ihr Geschick beweisen und lernen, wie man aus der Vergangenheit eine Zukunft macht. Sturgis-Brezeln werden heute im benachbarten Reading gebacken, einem Ort, der von Richard und Thomas Penn, den Söhnen des großen William Penn angelegt und dann an deutsche Immigranten aus Süddeutschland verkauft wurde. Zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges wurde hier mehr Eisen gefertigt, als in England und die Kanonen für George Washingtons Truppen gebaut.
Lancaster County ist die Wiege der USA, in der religiöse Fanatiker friedlich nebeneinander lebten und dann an einem gemeinsamen Ziel arbeiteten: die ungebliebten Kolonialherren loszuwerden. Es ist ein Ort, an dem heute noch Siedler in schwarzen Einspännern unterwegs sind, in Häusern ohne Strom wohnen und so tun, als sei die Zeit vor 200 Jahren stehengeblieben – und keiner denkt sich was dabei. Sie gehören zum Straßenbild wie McDonald’s und Starbucks.
Jeder mag glauben, was er will. Solange er friedlich bleibt und seine Steuern zahlt, ist er willkommen. So hat William Penn Einwanderer aus Europa angelockt, und sie bestimmen bis heute die amerikanische DNA.
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