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Zwischenrufe aus Übersee

Wie ein Europäer den Alltag an der US-amerikanischen Ostküste erlebt.

Die Schöne und das Biest

Was in den USA im Moment passiert, ist rätselhaft. Die Suche nach Antworten im Yankee Doodle.

Michelle Obama, Ted Cruz, Jeff Bezos, Bill Bradley, James Stewart und Dutzende mehr hängen hier, in Schwarzweiß, gerahmt im einheitlichen Format. Die Wände des Yankee Doodle, der Bierbar des Nassau Inn, in der Generationen von Studenten der Eliteuniversität Princeton den Lernstress vergessen haben, sind voll mit Porträts berühmter Abgänger. Einer hängt hier nicht: Donald J. Trump, der 45. Präsident der USA. Trotzdem ist er allgegenwärtig.

»Er ist nicht mein Präsident«, sagt eine etwas angegraute Abgängerin, die ihrer Bar auch lange nach den  Unizeiten treu geblieben ist.  Barack Obama hingegen sei ganz ihrer gewesen.  »Hat er den Friedensnobelpreis verdient?«, frage ich und bremse sie damit in ihrer Euphorie. »Allein 2016 hat er rund 26.000 Bomben abwerfen lassen, in Syrien, in Pakistan, in Jemen, in Libyen, in Afghanistan, im Irak«, lege ich nach. »Er hat den Dohnenkrieg dramatisch ausgeweitet und selbst amerikanische Staatsbürger ermorden lassen.«

Mit weit aufgerissenen Augen schaut mich die hochgebildete Lady an und es platzt aus ihr heraus: »Sind Sie Trump-Anhänger?« Jetzt ist klar, ich bin zu weit gegangen. Das Gespräch, das freundlich begonnen hat, ist dabei zu kippen. Ein falsches  Geständnis würde mir zu einer unfreiwilligen Bierdusche verhelfen, ein Satz Ohrfeigen nicht ausgeschlossen. Also bleibe ich bei der Wahrheit.

»Nein, bin ich nicht. Von Geburt bin ich Österreicher und von Beruf Journalist, beides verpflichtet mich zu gewisser Neutralität.«

Die Karte sticht. Wir bestellen noch ein Yuengling, das älteste Bier der USA, prosten uns zu. Meine Fragen hat sie allesamt nicht beantwortet und ich beschließe, ihr das nicht durchgehen zu lassen.

Kaum wiegt sie sich in Sicherheit, lege ich nach und wandere wieder auf einem schmalen Grat. »Amerikaner verdienen heute nicht mehr als vor 15 Jahren. Leute, die zweimal Obama gewählt haben, wählten diesmal Trump. War das die Rache  für eineinhalb Jahrzehnte der realen Einkommensverluste? Haben sie einen Krätzensack wie Trump gewählt, um dem Establishment eins auszuwischen?«

Ich bilde mir ein, das ist eine legitime, wenngleich eine  nicht ganz einfach zu beantwortende Frage. Aber wenn man sie  hier in der Bar der geistigen Elite der USA nicht stellen darf, wo sonst?

»Sie haben ihn gar nicht gewählt!« So einfach sei das, meint die Lady. »Die Mehrheit, um genau zu sein rund drei Millionen mehr, haben Hillary gewählt.« Nach dem dritten Bier setzt die Realitätsverweigerung voll ein und ich sehe ein, es hat keinen Sinn mehr, darüber zu reden, dass das Wahlsystem genau so eben nicht funktioniert. Es geht um die Wahlmänner, die in jedem Bundesstaat vergeben werden.

Nur einen letzten Seitenhieb kann ich mir nicht verkneifen: »Obama wurde genau nach denselben Regeln zum Präsidenten. Warum waren sie bei Obama voll in Ordnung und jetzt nicht mehr?« Ich kriege einen eisigen Blick und sehe ein, ich habe mein Glück heute schon überstrapaziert. Selbst die gescheitesten Leute haben keine Antworten für mich, nicht einmal nach dem dritten Bier. Ade, Yankee Doodle!

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