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Zwischenrufe aus Übersee

Wie ein Europäer den Alltag an der US-amerikanischen Ostküste erlebt.

Mehr Mieter, weniger Eigentümer

Mehr Mieter, weniger Eigentümer

Nach 2009 ist nichts mehr, wie es war, aus einem Volk stolzer Hausbesitzer wird eine Nation von Mietern, und das nagt am Selbstverständnis des Mittelstands.

Der amerikanische Traum vom Eigenheim im Grünen ist ausgeträumt. Die Große Rezession seit 2009 hat tiefe Spuren im US-Immobilienmarkt hinterlassen und zu einer tektonischen Verschiebung geführt. Amerikaner werden Mieter, nicht nur die Jungen, quer durch alle Altersschichten hat sich ein jahrzehntelanger Trend umgekehrt. Nicht ganz freiwillig. Die Lesart, die Millennials hätten dem Eigentum den Rücken gekehrt und einen neuen Bezug zum Besitz entwickelt, erweist sich als trendige, aber falsche Interpretation. Die neue Welle hat weniger mit Zeitgeist als mit neuen Risikovorgaben bei den Geldinstituten zu tun.

Sie überreagieren völlig und setzen Kriterien fest, an denen selbst der ehemalige Chef der Notenbank Ben Bernanke verzweifelte. Launig erzählte er beim jährlichen Treffen der Währungshüter in Jackson Hole, dass sein Versuch, den Hypothekarkredit auf sein Ein-familienhaus zu erhöhen, kläglich gescheitert sei. Nachdem er als FED-Chef ausgeschieden ist, verdient er sein Geld als Freiberufler, sprich er hält Reden für Geld, um präzise zu sein: zwischen 200.000 und 400.000 USD pro Auftritt. Aber als Freiberufler fiel er in die Kategorie der unsicheren Kantonisten, und die Bank lehnte ab. Das Pendel schlägt gewaltig in die andere Richtung aus.

Die Altersgruppe zwischen 45 und 64 sorgt für die größten Zuwächse bei den Mietern. Zu dem Ergebnis kommt das Harvard Joint Center for Housing Studies (JCHS) und bestätigt, nur mehr 64,5 Prozent der Amerikaner besitzen das Haus, in dem sie wohnen. Die Banken haben die Daumenschrauben angelegt und zwingen den Mittelstand in neue Verhältnisse – und die sind alles andere als angenehm. Rund ein Viertel aller Mieter zahlt mehr als die Hälfte des Einkommens fürs Wohnen, die Hälfte aller Mieter zahlt mehr als 30 Prozent. Wohnen ist für weite Teile der Bevölkerung längst nicht mehr leistbar. Die Mietkrise trifft längst nicht mehr nur Haushalte mit niedrigstem
Einkommen, sie ist in der Mittelklasse angekommen. Selbst Familien mit einem Jahreseinkommen zwischen 45.000 und 75.000 USD gelten mittlerweile als akut belastet.

Die Gewinner der Verschiebung sind die auf Mietwohnungen spezialisierten Wohnbauträger. Sie erleben einen wahren Boom und verzeichnen seit 2010 im Schnitt Wachstumsraten von rund 15 Prozent jährlich.

Rund 1,2 Millionen Wohngebäude wurden 2015 neu gebaut. Auf dem Höhepunkt der Krise waren es gerade einmal 428.000 gewesen. Der Gesamtmarkt hat sich zwar auf Vorkrisenniveau erholt, setzt sich aber völlig anders zusammen, und das soll bis Ende des Jahrzehnts so weitergehen. Die Federal Reserve Bank of Kansas City prognostiziert, dass sich die Zahl der jährlich neu gebauten Mietobjekte im Mehrfamilien-bereich bis 2020 auf 550.000 Einheiten nahezu verdoppeln wird. Für Wohnbauträger ist das ein wahres Eldorado, für Mieter aber ein Albtraum, wie JCHS betont.

»Die Zahl der hochbelasteten Mieter ist auf Rekordniveau, der Anteil der Hauseigentümer sinkt dramatisch, und wir brauchen eine dringende Politikdebatte in den kommenden Jahren, um das Ziel sicheren, ansprechenden und leistbaren Wohnraums für alle zu erreichen«, schreiben die Experten von JCHS. Aber von einer Debatte über leistbares Wohnen fehlt jede Spur, der Mittelstand steht in den USA unter enormem Druck. Und das erklärt zum Teil, dass ein demokratischer Sozialist wie Bernie Sanders und ein narzisstischer Lügenbaron wie Donald Trump dominante Rollen in einem Präsidentschaftswahlkampf spielen.

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