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10 Jahre danach: Die Narben bleiben, die Lehren nicht

10 Jahre danach: Die Narben bleiben, die Lehren nicht Foto: iStock

Der Crash des US-Immobilienmarkts gilt als Auslöser der globalen Finanzkrise. Davon ist heute auf den ersten Blick nicht mehr viel zu sehen. Die US-Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist niedrig wie lange nicht, und die Reallöhne steigen wieder. Der Immobilienmarkt hat sich kräftig erholt. Aber die alten Muster bleiben und damit auch die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholt.

Der Schock von 2008 sitzt immer noch tief und der Preis, den viele, vor allem ärmere Amerikaner bezahlt haben, ist enorm. Das beschreibt J.D Vance  in seinem Meisterwerk »Hillbilly-Elegie« auf eindringliche Weise. Mit dem Verlust der Jobs erodieren Gemeinschaften und Familien verlieren ihre innere Stabilität. Das bereitet den Boden auf für eine verheerende Seuche, die Drogensucht.

Die Hillbillies, die Weißen des Mittleren Westens, mit irischer und vielfach deutscher Abstammung, haben ihre Wurzeln und ihre Identität verloren. Sie werden als »White Trash« oder »Deplorables« beschimpft. Die Globalisierung hat sie zu Verlierern gemacht, aber sie sind nicht nur Opfer, sie sind auch (Un)Täter, die auf die Herausforderung nicht reagieren, indem sie ihre Stärken, ihren Gemeinschaftssinn, ihre sture Beharrlichkeit, ihren Pioniergeist wiederentdecken, sondern sich in Selbstmitleid und Selbstzerstörung ergehen. Davon erzählt J.D. Vance und macht emotional nachvollziehbar, was sich sonst an harten Zahlen ablesen lässt. Annie Lowrey schreibt in einem bemerkenswerten Artikel, veröffentlicht im Atlantic Magazine: »Das Land hat in vielfacher Weise ein Comeback geschafft, aber es ist auch ungleicher, es ist weniger dynamisch, weniger produktiv, ärmer und kränker ...«

Weniger Hypothekarkredite

Die Große Rezession hinterlässt viele Verlierer. Heute ist der durchschnittliche Amerikaner im Alter zwischen 45 und 54 mit 134.600 US-Dollar verschuldet. Der Schuldenstand der privaten Haushalte liegt laut Federal Reserve Bank of New York per 2. Quartal 2018 bei 13,29 Billionen US-Dollar und ist damit höher als im 4. Quartal 2008, am Höhepunkt der Finanzkrise. Damals standen die privaten Haushalte mit 12,67 Billionen in der Kreide.

Der Anteil der Hypothekarkredite an den Gesamtschulden ist jedoch deutlich zurückgegangen. Heute schulden Amerikaner auf ihre Häuser 9,43 Billionen, 2008 waren es 9,96 Billionen.

Das ist allerdings nur vordergründig eine gute Nachricht. Der Gesamtschuldenstand ist gestiegen, es sind nur viele Finanzschwächere aus dem Immobilienmarkt gedrängt worden. Jetzt machen sie Schulden, um die Miete zahlen zu können, ohne die Chance, Eigentum zu erwerben.  Das führt noch mehr in die Sackgasse und verstärkt zwangsläufig die Gefahr der Altersarmut.

Immobilien waren eine wesentliche Säule der Vermögensbildung, selbst in der Krise, wie eine Datenanalyse der Washington Post zeigt:  In den zehn reichsten Wohngegenden stiegen die Immobilienpreise zwischen 2004 und 2015 um 20 Prozent – trotz großer Rezession. Aber auch außerhalb der wohlhabenden Gegenden legten Hauspreise um insgesamt 13 Prozent zu.

Viele, auch aus dem Mittelstand sind nun durch striktere Kreditvergaben, strengere Bonitätsbewertungen abgeschnitten von dem, was lange Zeit den amerikanischen Traum ausgemacht hat. Die Schulden bleiben, der Vermögensaufbau fällt weg.

Das trifft vor allem auch die afroamerikanische Bevölkerung, wie die American Civil Liberties Union beschreibt: »Vor der Finanzkrise zeigten ökonomische Trends, dass sich die tiefe Vermögenskluft zwischen weißen und schwarzen Familien schloss. Jetzt erzähl die Erholung zwei verschiedene Geschichten: eine für Weiße und eine für Schwarze. Während sich die einen besser erholt haben, kämpfen die anderen immer noch darum, Verlorenes aufzuholen. Das ist nicht nur jetzt ein Problem, es ist ein düsteres Vorzeichen für die Zukunft.«

Einseitige Erholung

Während Banken gerettet, und notleidende Industrien gestützt und der Markt mit Geld geflutet wurde, sind finanziell Schwache aus ihren Häusern vertrieben worden – und die USA zahlen dafür mit Armut, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit breiter Teile der Bevölkerung.
Die Erholung ist bisher eine einseitige Sache und die Rechnungen der Misere seit 2008 sind längst nicht alle getilgt. Schon warnen Experten, dass sich die Geschichte wiederholen wird.

Nach der Krise ist vor der Krise, befindet Wirtschaftswissenschafter Alan S. Binder von der Princeton University:

»Wenn die Zeiten gut sind, vergisst man die Lehren der Vergangenheit und sagt: Diesmal ist alles anders. Die finanziellen Exzesse werden noch exzessiver und die Blase wächst – und macht noch verwundbarer und anfälliger für Schocks und noch mehr Schaden, wenn der Einbruch kommt. Und wenn er da ist, tun alle so als wäre es eine Überraschung und das Stimmungsbarometer kippt ins Gegenteil: keiner will mehr riskieren, Pessimismus herrscht und die Wirtschaft leidet.«

Dann hat man wirklich ein Problem.

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