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Abschied mit Anstand

\"upKündigungen auszusprechen gehört zu den unangenehmsten Aufgaben in einem Unternehmen. Nur wenige Führungskräfte sind darauf vorbereitet. Ein professioneller Trennungsprozess bewahrt aber vor hohen Kosten und Imageverlust in der Öffentlichkeit.


Ryan Bingham überbringt die Botschaft höflich, aber bestimmt, und findet sogar aufmunternde Worte. »Ihre Position existiert einfach nicht mehr. Sie dagegen sind noch da, Sie sind die Zukunft. Darauf müssen Sie sich jetzt konzentrieren«, sagt er zu den Menschen, die er soeben gekündigt hat. Sein Mitgefühl hält sich trotzdem in Grenzen, denn Bingham ist professioneller Rausschmeißer. Er unterstützt große Unternehmen beim Personalabbau, dem sogenannten »Downsizing«, und entlässt Mitarbeiter wie am Fließband – routiniert und emotionslos.
Nun ist Ryan Bingham bloß eine Filmfigur, die in dem Blockbuster »Up in the Air« von George Clooney verkörpert wird und nach Hollywood-Manier stark überzeichnet ist. Zwecks größerer Glaubwürdigkeit wurden seine »Opfer« durchwegs von Laien gespielt, die auch in Wirklichkeit gerade ihren Job verloren hatten. Und nicht jeder Personalchef kann in Aussehen und Auftreten mit dem smarten Filmstar mithalten. Entlassungsprofis, die vor allem für internationale Konzerne die unangenehmen Aufgaben übernehmen, gibt es aber tatsächlich.

>> Kündigung per E-Mail <<

Während es an Seminaren und Fachliteratur zu Recruiting oder Organisationsentwicklung nicht mangelt, ist der Umgang mit Kündigungen ein Tabuthema, das auch von Führungskräften so lange wie möglich gemieden wird. Das Angebot von »Vollstreckern« (siehe Buchtipp) oder »Übergangsberatern«, wie sie in der Consulting-Branche beschönigend heißen, findet deshalb reichlich Abnehmer.

Laurenz Andrzejewski, der sich mit seiner Unternehmensberatung management 1x1 auf Trennungsprozesse spezialisiert hat, wirft den Firmen vor, sich damit aus der Verantwortung zu stehlen. Sein Buch »Trennungs-Kultur und Mitarbeiterbindung« liegt inzwischen in der dritten Auflage vor und gilt als Standardwerk zum Thema Kündigung. Seit 1989 begleitet er Unternehmen in Wandlungsprozessen und schult Führungskräfte und Personalverantwortliche in der Planung und Durchführung von Trennungsphasen.

Wie unprofessionell die Kündigungen vollzogen werden, findet Andrzejewski »erschreckend«: Leitfäden oder Checklisten existieren zwar für die Einstellung von Personal und für Mitarbeitergespräche, doch für die Entlassung gibt es meist keine einheitliche Vorgehensweise. Abteilungsleiter, oft selbst von der Entscheidung überrascht und bewegt, arbeiten Namenslisten ab und übermitteln den betroffenen Mitarbeitern die Botschaft am Telefon, auf dem Gang, per E-Mail, am Geburtstag oder Freitagnachmittag kurz vor Dienstschluss. Mit den teilweise heftigen Reaktionen von Tränen bis zu offener Aggression wissen die überforderten Führungskräfte kaum umzugehen – umso belastender empfinden sie diese undankbare Rolle.  

>> Feuer am Dach <<

Wie Andrzejewski hat sich auch Unternehmensberaterin Astrid Ewald auf die konstruktive Gestaltung von Trennungsprozessen spezialisiert. Große Unternehmen wie die VA Tech und die Bawag begleitete sie bei Change-Projekten, die jeweils mit Kündigungen einhergingen. »Oft werde ich gerufen, wenn schon Feuer am Dach ist«, kritisiert auch sie die weitgehende Verdrängung des Themas. 2003 gestaltete sie für die Österreichischen Post AG eine Workshop-Reihe, in die sämtliche Top-Führungskräfte eingebunden wurden. Für den ehemaligen Staatsbetrieb, in dem sich die Mitarbeiter noch vielfach mit dem Nimbus unkündbarer Beamten sahen, bedeutete der breite Personalabbau einen doppelten Tabubruch. Als Philips Austria 2001 mehrere Produktionsstätten schloss und innerhalb eines Dreivierteljahres 1.200 Mitarbeiter entlassen werden sollten, entwarf Ewald einen umfassenden Sozialplan und ein Newplacement-Programm. Bereits vier Monate nach dem letzten Produktionstag hatten mehr als 70 % der betroffenen Mitarbeiter einen neuen Job oder eine andere positive Perspektive gefunden. Die Fluktuationsrate in den bestehenden Philips-Werken blieb auf niedrigem Niveau.
Personalabbau wird insbesondere in Krisenzeiten zum Prüfstein für jedes Unternehmen. Der Blick auf rasche Kostenreduktion ist dabei allzu kurzsichtig. »Nur wenn Trennungen human und fair, das heißt mit Wertschätzung und Respekt für die Gehenden ablaufen, sind sie im betriebswirtschaftlichen Sinne ökonomisch«, sagt Trennungsexperte Andrzejewski. Unkoordinierte Kündigungen ziehen häufig arbeitsrechtliche Konflikte nach sich, ausgelöst durch unbedachte Äußerungen oder unklare Formulierungen. Noch gravierender sind jedoch die verdeckten Kosten: Die Entlassung von Mitarbeitern löst in der Belegschaft immer Irritationen, das sogenannte »Survivor-Syndrom«, aus. Der Fokus sollte deshalb immer auf beide Gruppen – die Gehenden und die Verbleibenden – gerichtet sein. Die verbleibenden Kollegen beobachten sehr genau, wie sich das Management gegenüber den Gekündigten verhält. Immerhin haben einige nicht nur bloß Kollegen, sondern enge Vertraute oder gar Freunde verloren. Mit neuen Arbeitsstrukturen können sich nicht alle anfreunden, das Betriebsklima leidet. Die Folge sind massive Einbußen in der Produktivität durch Demotivation sowie in besonders drastischen Fällen eine Austrittswelle. Dem Unternehmen kommen dann mehr Mitarbeiter als geplant abhanden, und noch dazu die besten.  

>> Imageschaden <<

Mitarbeiter fungieren aber auch als Meinungsbildner. Der Imageschaden in der Öffentlichkeit kann beträchtlich ausfallen. Scheidende Angestellte sind weiterhin potenzielle Kunden – gemäß dem Motto »Man trifft sich im Leben immer zweimal« vielleicht sogar als Entscheidungsträger bei der Konkurrenz. Zudem leidet die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber, wenn Geschichten über unsensible oder menschenverachtende Vorgänge die Runde machen.

Wie eine aktuelle Studie des Online-Karriereportals Monster Worldwide ergab, erwägt immerhin jeder fünfte unselbstständig Erwerbstätige in Österreich einen Jobwechsel. Ein Drittel davon denkt zumindest wöchentlich daran, hat also innerlich bereits gekündigt. Die Unzufriedenheit mit dem Job tragen die Beschäftigten auch nach außen: Nur 27 % der rund 538 Befragten würden ihren Arbeitsplatz ganz sicher weiterempfehlen. Fast zwei Drittel der wechselbereiten Mitarbeiter würden eine solche Empfehlung aber keinesfalls oder eher nicht abgeben. »Unternehmen sollten daher den professionellen Umgang mit Jobwechslern in ihre Unternehmenskultur implementieren«, empfiehlt Barbara Riedl-Wiesinger, Country Manager & Sales Director bei Monster Worldwide Austria. »Es ist wichtig, an einer Trennungskultur zu arbeiten, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist.«

Bedarf ortet Trainerin Astrid Ewald auch in kleinen und mittleren Unternehmen mit familiärer Firmenkultur: »In Unternehmen, in denen Menschlichkeit ganz hoch oben steht, ist es umso schwieriger, weil Kündigungen völlig im Gegensatz zu den vertretenen Werten stehen. Mit Kritik und Trennung wird nicht bewusst umgegangen.« Wer Trennung und Abschied als normale Unternehmensprozesse begreift, könne dagegen auch gekündigten Mitarbeitern respektvoll in die Augen sehen. Monster-Chefin Riedl-Wiesinger plädiert generell für mehr Sachlichkeit: »Immerhin ist es keine Ehe, die beendet wird, sondern ein Arbeitsverhältnis.«


> Trennungsfehler:

- Überhastete und ungeplante Vorgehensweise
- Mangelhafte Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Aspekte
- Fehlende Vorbereitung der Personalverantwortlichen (Loyalitätsprobleme)
- Unzureichende Kommunikationspolitik (Gerüchteküche)
- Unklare Übermittlung der Trennungsbotschaft
- Fehlende Würdigung, Wertschätzung und Dank an die gekündigten Mitarbeiter
- Fehlende Beachtung der Ängste und Bedürfnisse der verbleibenden Mitarbeiter

Quelle: Laurenz Andrzejewski: Trennungs-Kultur und Mitarbeiterbindung. Kündigungen fair und nachhaltig gestalten. Verlag Luchterhand, Köln 2008

> Trennungsprozess:

Laurenz Andrzejewski, Experte für Trennungsmanagement, gliedert den Trennungsprozess in vier Phasen:
1. Outplacement-Phase:
> Unternehmerische Entscheidung, Festlegung des Projekttitels
> Verhandlung von Interessensausgleich und Sozialplan
> Minutiöse Vorbereitung der Trennungsgespräche
> Mitarbeiterauswahl (Qualifizierung oder Trennung)
2. Trennungsphase:
> Gespräche über Versetzung, Veränderung, einvernehmliche Lösung
> Klare Botschaft: Trennung/Kündigung
> Gespräche über Bindung und Teambildung mit den Verbleibenden
3. Newplacement-Phase:
> Karriere-Coaching für die Gehenden
> Neuorganisation und Teambildung der Verbleibenden
> Bindung und Revitalisierung des (neuen) Teams
4. Evaluationsphase:
> Kritische Würdigung des Personalabbaus
> Kritische Betrachtung der Projektabwicklung
> Ableitung von Erkenntnissen zur Trennungskultur

>> Jobwechsler-Studie 2012:

Jeder fünfte Arbeitnehmer in Österreich überlegte in den letzten Monaten, den Arbeitsplatz zu wechseln. Ein Drittel davon denkt zumindest einmal wöchentlich daran, knapp zwei Drittel etwas seltener. »Eine Gruppe der wechselaffinen Arbeitnehmer steht schon kurz vor dem Absprung«, erläutert Barbara Riedl-Wiesinger, Country Manager von Monster Worldwide Austria.

Das Karriereportal ließ vom IMAS-Institut in einer Face-to-Face-Befragung unter insgesamt 1.000 Österreichern, 538 davon unselbstständig erwerbstätig, die Arbeitszufriedenheit erheben. Österreich präsentiert sich dabei auf den ersten Blick als Insel der Seligen. Die Gesamtzufriedenheit zeigt seit nahezu 25 Jahren »ein fast wolkenloses Bild«, so Studienleiter Paul Eiselsberg. Zwei Fünftel der Arbeiter und Angestellten sind mit ihrer beruflichen Situation uneingeschränkt zufrieden, knapp jeder Zweite ist es zumindest einigermaßen. Vor allem Menschen mit höherer Bildung denken kaum an eine Veränderung.

Zu denken geben aber die Details der Studie: Als Hauptmotiv für einen möglichen Jobwechsel wurde mit Abstand am häufigsten das Gehalt genannt (49 %). Erst weit dahinter folgen fehlende Aufstiegsmöglichkeiten (29 %) und Perspektiven (21 %), schlechtes Betriebsklima (22 %) oder mangelnde Wertschätzung (19%). Weiterbildung, Mobbing und gefährliche Tätigkeiten rangieren unter den Motiven ganz unten. »Es spielen immer mehrere Gründe zusammen«, relativiert Eiselsberg, ein zu niedriges Gehalt sei jedoch häufig der ausschlaggebende Faktor. Monster-Chefin Riedl-Wiesinger führt dies darauf zurück, »dass in Österreich schon seit Jahren bei den unselbstständig Erwerbstätigen keine Reallohnzuwächse festzustellen sind«. Potenzial zeigt sich auch in der Loyalität der Mitarbeiter zum Unternehmen: 19 % der Arbeitnehmer würden ihren Betrieb eher nicht weiterempfehlen. Im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte eine denkbar schlechte Position, meint Riedl-Wiesinger: »Die Unternehmen müssen sich auf dem Arbeitsmarkt stärker als Marke profilieren.«

 

>> Buchtipp:

Unliebsame Mitarbeiter entlassen, die eigentlich unkündbar sind, Angestellte heimlich mit Wanzen und Kameras überwachen oder das ramponierte Image durch geschickte PR wieder aufpolieren? Eine wachsende Riege an Dienstleistern erledigt diese und andere Drecksarbeiten, mit denen sich in den Führungsetagen großer Konzerne niemand die Finger schmutzig machen will. Die deutschen Journalisten Christian Esser und Alena Schröder recherchierten penibel in einer Branche abseits des Rampenlichts, in der ausgebuffte Sicherheitsexperten und skrupellose Anwälte die Grenze zur Illegalität ausloten – was Unternehmen wie die Deutsche Bahn, Telekom oder Lidl keineswegs davon abhält, die diskreten Dienste in Anspruch zu nehmen. Einige der Profis lassen in Interviews hinter die Kulissen blicken und fördern durchaus Überraschendes zutage, wie etwa eine IKEA-Personalmanagerin als Teilnehmerin des Seminars »Die Kündigung störender Arbeitnehmer«.

Christian Esser/Alena Schröder:  Die Vollstrecker. Wer für Unternehmen die Probleme löst. Verlag C. Bertelsmann, München 2012

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