Thema: Basel III
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Die neuen Richtlinien für Banken bringen wesentliche Veränderungen für den europäischen Finanzmarkt. Die Grundzüge des Reformwerks sind beschlossen, doch die Kritik verstummt nicht. Wer wird belastet, wer profitiert?
Mit seiner harschen Kritik sprach Erste-Bank-Chef Andreas Treichl vor allem den österreichischen Unternehmern aus der Seele. Seine Bankerkollegen hielten sich mit Kommentaren zurück – hinter den Kulissen klang aber durch, dass Treichl der Branche keinen guten Dienst erwiesen habe. Der polemische Rundumschlag gegen Politiker einmal beiseite gelassen, sorgten die Aussagen Treichls zu den strengeren Bankkapitalvorschriften auch aus sachlicher Sicht für Stirnrunzeln unter Fachleuten.
Konkret hatte der Erste-Bank-Chef beklagt, dass ein Kredit für ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen vielfach höher mit Eigenkapital unterlegt werden müsse als etwa griechische Anleihen, obwohl die Sicherheit im letzteren Fall kaum gewährleistet sei. Der Finanzexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Franz Hahn, wies die Äußerungen als »schlichtweg falsch« zurück. Kredite an Unternehmen wären grundsätzlich riskanter als Staatsanleihen, aber für »Ramschanleihen« notleidender Staaten wie Griechenland, Irland oder Portugal würden ebenso hohe Anforderungen gelten. Das Lamentieren der österreichischen Banken über Basel III sei »hochgradig provinziell«. Immerhin war das Abkommen von den europäischen Notenbankern und Finanzmarktaufsichten als Konsequenz aus der Finanzkrise vereinbart worden.
Auch Stefan Pichler, Professor für Banking and Finance an der Wiener Wirtschaftsuniversität, kann den Unmut der Banker über die neuen Richtlinien nicht nachvollziehen. Es handle sich dabei lediglich um Mindestanforderungen. Gehe eine Bank bewusst ein höheres Risiko ein, müsse eben entsprechend mehr Eigenkapital zurückgelegt werden. Eine Kreditklemme für Klein- und Mittelbetriebe sei, so Helmut Ettl, Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA), jedenfalls nicht zu befürchten. Kredite bis zu einer Million Euro würden sogar begünstigt, da statt der üblichen 8 Prozent im Schnitt nur 6 Prozent an Eigenmitteln vorgehalten notwendig sind.
Risikoabsicherung
Die Causa zeigt jedoch, dass der europäische Konsens über restriktivere Kapitalmarktvorschriften in einzelnen EU-Mitgliedsländern massive Missverständnisse und Verstimmungen evoziert. Grundsätzlich baut Basel III die bereits in Basel II fixierte Bewertung der Kreditausfallsrisiken nur weiter aus. Jede Bank muss ihre Geschäfte, entsprechend dem damit verbundenen Risiko, mit Eigenkapital unterlegen. Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny sieht in Treichls Kritik immerhin einen »wahren Kern«. Der im Prinzip richtige Ansatz der Risikoabsicherung führe in der Krise zu Problemen, denn dann würden Firmen abgewertet, das Risiko steige automatisch und die Banken müssten für einen Kredit an das Unternehmen mehr Kapital aufwenden oder den Kredit zurückfahren.
Laut den derzeit noch gültigen Basel-II-Regeln müssen Anleihen von Euro-Staaten (mit Ausnahme der oben genannten Schuldenländer) ebenso wie Kredite an Länder und Gemeinden nicht mit Eigenkapital unterlegt werden. Darlehen an Gebietskörperschaften, etwa an Krankenkassen, sind mit rund einem Prozent Eigenkapital abzusichern. Für Kredite an Klein- und Mittelbetriebe mit guter Bonität muss die Bank zwischen drei und acht Prozent Eigenkapital vorbehalten – abhängig vom Ranking und erbrachten Sicherheiten.
Basel III, das in Grundzügen bereits Ende des Vorjahres beschlossen wurde und 2013 in Kraft treten soll, sieht im Wesentlichen eine Verschärfung dieser Eigenkapitalrichtlinien vor, um die Finanzwelt künftig besser vor Krisen zu schützen. So muss etwa die Kernkapitalquote (»Eiserne Reserve«) von 4 auf 6 Prozent erhöht werden, dazu kommt noch ein Risikopuffer von 2,5 Prozent. 7 Prozent Kernkapitalquote gelten allgemein als Richtwert für eine gesunde Bankbilanz. Die Nationalbank schätzt die damit verbundenen Kosten der österreichischen Banken auf bis zu 19 Milliarden Euro, die FMA rechnet mit zehn Milliarden Euro an zusätzlichem Kapital. Das sei »durchaus machbar«, meint FMA-Vorstand Ettl, immerhin habe der Bankensektor seit 2003 40 Milliarden Euro an Kernkapital aufgebaut.
Feilschen um Quoten
In den Basler Ausschüssen verhandeln die 27 wichtigsten Notenbanken und Finanzaufsichten der Welt – also keiner der von Erste-Chef Treichl als »blöd« qualifizierten Politiker. Österreich ist dort nicht vertreten, kann aber über die EU die Stimme erheben. Denn in der EU-Kommission werden die geplanten Änderungen noch heftig diskutiert, geht es doch nun darum, die Regeln, auf die man sich auf globaler Ebene bereits einigen konnte, in EU-Recht zu formulieren. Hier kommt die Politik ins Spiel, und zwar nicht ganz friktionsfrei.
Der 500 Seiten starke Gesetzesvorschlag von Binnenmarktkommissar Michel Barnier sieht eine Verordnung vor – bei dieser Rechtsform hätten die Mitgliedsländer aber keinen eigenen Gestaltungsfreiraum. Der bisherige Erlass als Richtlinie gewährte den Staaten einen gewissen Spielraum zur Umsetzung. Gegen europaweit einheitliche Standards begehren nun die Mitgliedsländer Bulgarien, Estland, Litauen, Schweden, Großbritannien, Spanien und Slowakei auf. Diese Länder verfügen derzeit über strengere Eigenkapitalregeln. Eine Vereinheitlichung – und damit eine Einigung auf niedrigere Quoten – würde »der Finanzstabilität in Europa und der Glaubwürdigkeit der EU schaden«, so die Finanzminister der sieben Staaten. Auch die großzügigen Übergangsfristen sind ihnen ein Dorn im Auge, ohne diese hätten die USA der Vereinbarung aber wohl nicht zugestimmt. Wettbewerbsverzerrungen scheinen jedoch kaum vermeidbar, schon die Basel-II-Vorschriften werden von den USA nicht zur Gänze eingehalten. Die Großbank UBS drohte indessen recht unverhohlen, den Unternehmenssitz aus der Schweiz abzusiedeln, um den strengen Auflagen zu entgehen.
Mit den langsam durchsickernden Details wächst die Empörung. Einem Bericht der Financial Times zufolge sieht die EU Sonderregeln vor, die es europäischen Banken erlauben, Kapital bei ihren Versicherungstöchtern höher zu bewerten. Davon könnten besonders Banken mit einer großen Versicherungssparte wie Société Générale, BNP Paribas oder die Lloyds Banking Group profitieren.
Basel III soll jedoch nicht nur neue Eigenkapitalquoten festsetzen, sondern eine Definition liefern, was neben Stammaktien und einbehaltenen Gewinnen überhaupt als Eigenkapital gelten kann. Nur »hartes« Eigenkapital soll künftig die Kreditvergaben der Banken sichern, die Kapitalinstrumente müssen einem strengen Kriterienkatalog entsprechen. Hybridkapital, wie beispielsweise Genussscheine oder stille Einlagen, sollen demnach bei den Kapitalanforderungen gar nicht mehr berücksichtigt werden, da sie weder dem Eigen- noch dem Fremdkapital klar zurechenbar sind. Allein in deutschen Bankinstituten summieren sich die stillen Einlagen auf 50 Milliarden Euro. Offen ist auch noch, ob Beteiligungen von Landesbanken an der Konzernmutter angerechnet werden. Die – auch in Österreich sehr beliebten – windigen Firmenkonstruktionen via Jersey, bei denen das Kapital einer Minderheitsbeteiligung an Spezialgesellschaften zur Gänze ausgewiesen werden konnte, gehören jedenfalls der Vergangenheit an.
Zyklisches Modell
Das Regelwerk, so monieren internationale Ökonomen, habe im Krisenfall allerdings schon bei Basel II nicht funktioniert. »Die geplanten Regeln zur Kapitalunterlegung werden das Problem am Ende verschärfen, anstatt es zu lösen«, kritisiert etwa Rafael Repullo vom Zentrum für Monetär- und Finanzstudien Madrid (CEMFI) in einer aktuellen Studie. Banken würden nämlich in guten Zeiten den Kapitalbedarf zusätzlich senken und müssten ihn in schlechten Zeiten weiter erhöhen. Als Maßstab, was als gute oder schlechte Zeiten zu verstehen sei, sieht das Basler Komitee für Bankaufsicht künftig das Verhältnis von Kreditvolumen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) vor. Sinkt das Kreditvolumen unter den langfristigen Durchschnitt, können die Puffer abgebaut werden.
Der Teufel liegt aber im Detail: Das Kreditvolumen reagiere zeitverzögert auf die Konjunktur, meint Repullo. Auch wenn sich die Wirtschaft bereits auf dem Weg in die Rezession befindet und die Banken die Zahl der Neukredite deutlich zurückfahren, bleibt das Kreditvolumen noch lange überdurchschnittlich. Im Aufschwung dagegen bewege sich das Kreditvolumen noch lange Zeit unter dem Durchschnitt, obwohl die Banken trotz dünner Kapitaldecke vermehrt Kredite vergeben und dafür neue Risiken eingehen.
Insgesamt habe sich, so Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny, im Basel-Ausschuss das »angelsächsische System« durchgesetzt. In den USA finanzieren sich Unternehmen mehrheitlich über Kapital, in Europa über Kredite. Unternehmensanleihen werden aber auch in Österreich immer beliebter. Europa sei gespalten, die Deutsche Bank beispielsweise erwirtschafte 70 Prozent ihrer Gewinne über Investmentbanking. Insofern sei die Kritik von Erste-Bank-Chef Treichl gerechtfertigt, da Kommerzbanken »vergleichsweise stärker getroffen« werden als Investmentbanken. Trotzdem zeigt sich Nowotny dankbar für Treichls »fruchtbaren« Ausbruch – er habe eine Diskussion in Gang gesetzt. Der Begriff Basel III sei nun Allgemeingut geworden.
>> Lexikon:
>>Von Basel I zu Basel III. Im Basler Akkord (später Basel I) einigten sich die G10-Länder 1988 auf eine angemessene Eigenkapitalausstattung und die Schaffung einheitlicher internationaler Wettbewerbsbedingungen, um das Insolvenzrisiko der Banken zu verringern. Diese Regeln sind seit den 90er-Jahren Standard und in mehr als 100 Ländern anerkannt, die Einhaltung überwachen die nationalen Bankaufsichten.
Im Juni 2004 beschloss der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht Eigenkapitalrichtlinien, die die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Finanzsystems weiter stärken sollten. In den meisten europäischen Ländern trat die Vereinbarung 2007 in Kraft, US-Präsident Barack Obama versprach die Umsetzung bis 2011. Ziel des Basel-II-Abkommens war, Kreditgeschäfte entsprechend der Bonität der Kunden durch eigene Mittel abzusichern, um ausgefallene Kredite besser abzufedern. Auch die Stärkung der Finanzmarktaufsicht und höhere Markttransparenz sind bereits festgeschrieben.
2008/2009 zeigte die größte Finanzkrise seit der Depression 1929, dass die Richtlinien einen Crash nicht verhindern konnten. Reflexartig ertönte der Ruf nach Restriktionen für die Banken. Die im ersten Schock noch recht strengen Vorgaben wurden im Zuge der Verhandlungen – und angesichts der raschen Erholung der Finanzmärkte – jedoch zusehends schlaffer. Die G20, die 20 größten Industrienationen der Welt, und die EU-Kommission einigten sich Ende 2010 auf ein gemeinsames Regelwerk, das von den Staaten bis 2013 in nationales bzw. EU-Recht umgesetzt werden muss.
Kernpunkt von Basel III ist die Risikovorsorge der Banken in wirtschaftlich guten Zeiten, um in Krisenperioden genügend Liquidität zur Verfügung zu haben. Genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister: Rasch steigende Eigenkapitalanforderungen belasten die Banken in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusätzlich, während es in guten Phasen eher zu Erleichterungen kommt. Grundsätzlich soll die Verschuldungsgrenze »Leverage Ratio« (Verhältnis von Kernkapital zu Bilanzvolumen und außerbilanziellen Forderungen) als einfache Maßzahl die Mängel interner Risikomessungen kompensieren. Erweiterte Rechenschaftspflichten der Banken sorgen für mehr Transparenz.