Die Luftnummern der Finanzalchemisten sind gründlich entzaubert. Das Desaster soll jetzt die »gute alte Industrie« mit »echten« Werten richten. So stellen sich das EU und USA vor. Aber was heißt das für die österreichische Industrie? Wo die heimischen Betriebe stehen, wo sie punkten, womit sie kämpfen. So schön haben sich die Marktradikalen das vorgestellt. Die Industrie ist nur ein Klotz am Bein der Volkswirtschaften, altvaterisch und von vorgestern. Und die moderaten Wachstumsaussichten hauen einen hartgesottenen Marktanalysten sowieso nicht vom Hocker. Die schöne neue Welt sieht da schon anders aus. Die Dienstleistungsgesellschaft schaltet den Turbo ein. Jeder schneidet jedem die Haare und wird Analyst, Style-Berater oder Hundepsychologe. Aber wenn der Rubel und die Boni so richtig rollen sollen, verkauft man sich gegenseitig Finanzprodukte. So fährt man Traumrenditen ein, zumindest bis das Perpetuum Mobile der Geldvermehrung ins Stocken gerät. Das passiert spätestens dann, wenn die letzte Ratingagentur geschnallt hat, dass ihre AAA-Bewertungen manchmal weniger wert sind als der Heizwert einer Kronen Zeitung. Dann kapieren auch die »Märkte« das Desaster – und weltweit dürfen die kleinen Steuerzahler Dutzende Billionen spenden, damit die Finanzmärkte und die nachgelagerten Volkswirtschaften nicht pronto implodieren. Wenn die Finanzwelt taumelt und die Staaten ausgeblutet sind, wackeln Kaufkraft, Zukunft, und Jobs. Dummerweise trifft das auch die Realwirtschaft, wo echte Unternehmen echte Werte statt Luftschlössern produzieren. Aber es liegt eine Kurskorrektur in der Luft. Nach Deindustrialisierung ist Reindustrialisierung das neue Zauberwort. Auffällig häufig ist es aus den USA zu hören. Das Nachrichtenportal International Money berichtet etwa von milliardenschweren US-Fondsmanagern, die eine »Trendumkehr« verorten. Selbst Boeing soll damit liebäugeln, viele seiner weltweiten Zulieferbetriebe wieder in die USA zu verlegen. »Weltweit« heißt in vielen Fällen wohl »aus China«. Schon im US-Präsidentschaftswahlkampf wurden die Töne gegen den neuen »Erzfeind« schrill.Groß war etwa der Aufschrei, als bekannt wurde, dass selbst die Begräbnisflaggen für die eigenen Soldatenhelden im Reich der Mitte produziert werden. Old Glory made in China! Bei den Chinesen sind die zahllosen Botschaften schon angekommen. Nüchtern stellte das regierungsnahe Portal china.org kürzlich fest, dass »die USA und die europäischen Länder mit der Reindustrialisierung längst begonnen haben, das Label ›Made in China‹ anzugreifen«. Dazu passt, dass die Heimkehrer – Industriebetriebe, die die Produktion oder Teile davon wieder rückverlagern – in der Wirtschaftspresse wie Helden gefeiert werden, neben Boeing etwa die Spielzeughersteller Meccano oder Steiff. Zwischen England und Deutschland atmen die Branchenverbände auf. Flankiert von einhelligen Studien wird die große Trendwende beschworen. Einen prominenten China-Heimkehrer hat übrigens auch Österreich vorzuweisen. Kapsch CarrierCom fertigt seine Eisenbahnkommunikationsprodukte seit letztem Jahr statt in Guangdong in Wien. So erfreulich die Stärkung der jeweils nationalen Wirtschaften und die Rückkehr von Arbeitsplätzen im Einzelfall auch sein mag, von Entwarnung kann nicht gesprochen werden. Im Oktober schlug etwa die EU-Kommission Alarm und forderte eine »dritte industrielle Revolution«. Seit Ausbruch der Finanzmarktkrise seien in der EU drei Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen und die Industrieproduktion liege immer noch um zehn Prozent unter dem Niveau von 2008. Der EU-Industriekommissar Antonio Tajani zeigte Reue und räumte Versäumnisse beim Bemühen um Europas angeschlagene Industrie ein. Jetzt soll ein Aktionsplan alles wieder richten.>> Zwischen Kampfansagen und Bauchweh Zum Erfolg verdammt