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"Österreich ist im Rückstand, holt aber auf"

Michael ­Zettel: Der Country Manager von Accenture sieht Riesenchancen für Unternehmen durch die ­Digitalisierung. Michael ­Zettel: Der Country Manager von Accenture sieht Riesenchancen für Unternehmen durch die ­Digitalisierung. Foto: Accenture

Automatisierung, Digitalisierung und Blockchain: Michael Zettel, Country Manager Accenture, sieht großartige Dinge auf Unternehmen und unsere ­Gesellschaft zukommen.

Report: Wie sieht das Geschäft von ­Accenture in Österreich aus?

Michael Zettel:
Unsere Kunden sind die Top-50-Unternehmen in Österreich, die wir mit lokaler Kompetenz und weltweit verfügbaren Ressourcen unterstützen können. Zielsetzung ist, die österreichischen Top-Unternehmen zu digitalen Vorreitern zu machen. Wir haben uns in den letzten Jahren stark entwickelt. Wenn man die Gründungsgeschichte des Wiener Büros betrachtet, war Accenture zunächst auf den Bankenbereich fokussiert. Wir haben die großen Post-Merger-Integrationen in Österreich begleitet: Es waren große Zusammenführungen, die wir dann auch IT-technisch umsetzen konnten – beispielsweise bei Erste Bank und Sparkassen oder bei Bank Austria und Creditanstalt sowie der späteren Zusammenführung mit der UniCredit. Bawag und P.S.K. war ebenfalls eines unserer großen Projekte. Accenture hat sich in Österreich in den letzten Jahren dann in andere Branchen weiterentwickelt, sodass wir heute ein sehr breites Geschäftsportfolio haben.

Report: Was bedeutet digitale Vorreiterschaft? Diese ist wahrscheinlich bei jedem Unternehmen anders gestaltet.

Zettel:
Um die Digitalisierung greifbar zu machen, diskutieren wir dies mit unseren Kunden in drei Dimensionen. Digitalisierung nach außen dargestellt behandelt neue Produkte, neue Services und das Kundenerlebnis. Digitalisierung nach innen sind alle Vorgänge rund um den Mitarbeiter. Wie kann ein Unternehmen effizienter geführt werden? Wie kann ich einen Mitarbeiter bestmöglich befähigen, seine Aufgaben zu erfüllen? Die dritte Dimension betrifft dann Geschäftsmodelle in Richtung Disruption, also auch große Marktveränderungen.

Report: Können Sie ein Beispiel geben? Wie gut sind die heimischen Banken dazu aufgestellt?

Zettel:
Accenture führt jährlich eine Studie durch, in der wir den Digitalisierungsgrad von Unternehmen messen. Im europäischen Vergleich ist Österreich hinsichtlich der Digitalisierung grosso modo im Rückstand, hat aber in den letzten Jahren aufgeholt. Vor allem aber ist das Thema in den Vorstandsetagen angekommen. Flaggschiff-Beispiele gibt es in jeder Branche. Die Erste Bank ist sicherlich ein Vorzeigeunternehmen, nicht nur durch »George«. Die Österreichische Post bewegt sich wiederum mit ihrem Marktplatz Shöpping.at in die Richtung neuer Geschäftsmodelle und hat auch in der Digitalisierung nach innen schon einiges unternommen. »E-Brief« wäre ein anderes Beispiel der Post.

Die ÖBB unterstützen wir bei so spannenden Themen wie dem Ticketshop. Das Ticketing-System hat zum Ziel, möglichst viele Tickets über Onlinekanäle zu verkaufen und dabei natürlich auch die Kundenzufriedenheit zu steigern. Das Projekt ist ein schönes Beispiel für die Steigerung von User-Experience bei einer Dienstleistung. Die Ablöse des alten Ticketshops durch den neuen, bei gleicher Funktionalität, hat dazu geführt, dass das Vertriebsziel für Onlineverkäufe um drei Jahre schneller erreicht wurde. Bereits 2016 passierten mehr als 20 % der Ticketkäufe online, und nicht erst 2020, wie angepeilt.

Report: Müssen sich Finanzdienstleister Sorgen wegen FinTechs machen? Ein Start-up hat zwar nicht die Kundenbasis eines etablierten Unternehmens, allerdings einen frischeren Zugang in seinem Marktauftreten.

Zettel:
Mit FinTechs und den Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigen sich definitiv alle Banken in Österreich und weltweit. Es wird FinTechs geben, welche eine massive Bedrohung darstellen. Wobei sich das ja nicht auf Start-ups beschränkt. Auch Technologieriesen – die so genannten »Gafas« Google, Apple, Facebook, Amazon – werden auf jeden Fall einen massiven Einfluss auf den Zahlungsverkehr haben.

Für Banken stellt sich die entscheidende Frage des Verhältnisses zu diesen Plattformen und ihren Kundenbeziehungen generell – ob es dann überhaupt noch eine direkte Beziehung zu den Kunden gibt.

Auch mit der relativ jungen Technologie Blockchain experimentieren Banken nicht nur, sondern überlegen sehr konkret, wie diese produktiv genutzt werden kann – beispielsweise im Interbanken-Zahlungsverkehr oder für den Austausch mit den Zentralbanken. Wir gehen davon aus, dass Blockchain einen massiven Einfluss auf die Bankenindus-trie haben wird.

Report: Was ist der große Vorteil bei Blockchain?

Zettel: Das ist zum heutigen Stand eine gute Frage, denn Blockchain ist erst dabei, »enterprise ready« zu werden. Wir arbeiten beispielsweise mit Unternehmen daran, etwa auch das Löschen aus einer Blockchain bewusst zuzulassen. Es gibt Szenarien, wo dies zwingend gebraucht wird. Das Potenzial von Blockchain ist deshalb so groß, weil es viele Transaktionen transparent und für andere einsehbar macht. Damit könnten auch Buchführungstätigkeiten revolutioniert werden, da die Rolle der Intermediären komplett entfällt. Im Prinzip braucht kein Unternehmen mehr eine eigene Buchführung, wenn Rechnungen und Transaktionen über eine Blockchain abgewickelt werden – denn es kann jederzeit die Buchführung aus dem System gezogen werden.

Bei »smart contracts« sehen wir Auswirkungen auf den Versicherungsbereich. Diese Verträge werden transparent über Blockchain geschlossen und automatisiert wirksam, wenn bestimmte Parameter erfüllt sind. Weiters sehen wir massive Auswirkungen auf den öffentlichen Sektor, etwa im Bereich der Register, die heute zentral gehalten werden müssen. Das muss in Zukunft nicht mehr sein. Es gibt erste Staaten wie Chile, die mit öffentlichen, dem Grundbuch ähnlichen Landregistern experimentieren. Nicht zuletzt wird dies auch den Energiebereich treffen.

Diese Technologie wird massiven Einfluss nehmen. Das Potenzial ist riesig, auch wenn es heute noch einige Kinderkrankheiten gibt. Es ist aber keine reine Effizienzfrage. Es wird Anwendungen geben, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können.

Report: Automatisierung ist ein weiterer Begriff, der den Hype um die Digitalisierung mit ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft und Gesellschaft noch ablösen wird. Ist Accenture eines dieser Automatisierungsunternehmen für die Optimierung von Prozessen?

Zettel:
Definitiv ja, doch sehen wir die Automatisierung nicht so negativ konnotiert, wie es oft in den Medien dargestellt wird. Es gibt immer noch viele Ineffizienzen auch in modernen Unternehmen. Das Abspeichern von Dateien in Ordnern zum Beispiel ist ein Konzept aus den Siebziger Jahren. In vielen Bereichen beschäftigt man sich immer noch weit mehr mit der Aufbereitung als mit der Analyse von Information oder der Entscheidungsfindung. Gerade in Büroumgebungen, auch in unserer eigenen, können noch viele Effizienzpotenziale gehoben werden.

Nehmen Sie eine moderne Arztpraxis her und dort das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine. Natürlich sind Maschinen in einer Mustererkennung und in der Interpretation von Bilddiagnosen besser. Niemand wird aber dem Mediziner die Kompetenz der Letztentscheidung absprechen. Damit bleibt dem Arzt mehr Zeit für den Patienten. Das Zwischenmenschliche, die Empathie wird immer vom Menschen besetzt sein. Maschinen liefern die Unterstützung bei Standardarbeiten und bei administrativen Tätigkeiten.

Report: In der Automatisierung steckt auch Konfliktpotenzial, da nicht alle von diesem Technologietrend profitieren. Was machen die Menschen, die von IT-Systemen ersetzt werden?

Zettel: Wir haben hier eine radikal andere Sicht. Die Digitalisierung ist kein Jobkiller. Wir glauben, dass durch Technologie mehr Jobs entstehen werden. Accenture hat dazu auch eine Studie mit dem World Economic Forum durchgeführt. Ja, es kommt zu einem Rückgang von Arbeitsplätzen in bestimmten Branchen und Berufen – in Summe aber wird es mehr Arbeit geben. Die Aufgaben verlagern sich, die Wertschöpfung nimmt zu. Für diesen Wandel muss man natürlich die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Hier gibt es nur ein Stichwort: Bildung.

Es wird zu einer Renaissance von Berufen mit humanistischen Charakter, Kreativberufen und auch handwerklichen Arbeiten kommen. Auch im Pflegebereich benötigen wir künftig mehr Menschen. Und wir werden sicherlich wieder mehr Zeit für einander haben.


Person & Unternehmen
Michael Zettel ist seit 2011 Geschäftsführer für den Bereich öffentlicher Sektor und Gesundheit bei Accenture. Seit Juni 2016 hat er die Gesamtverantwortung für das Österreichgeschäft. Accenture ist ein Berater und Outsourcing-Dienstleister mit den Säulen ­Strategy, Digital, Technology und Operations. In Österreich hat das Unternehmen ein Kompetenzzentrum für Big Data und Analytics für die deutschsprachige Region und den weltweiten Markt. Weltweit hat Accenture 400.000 Mitarbeiter. Man setzt auf lokale Stärke und ein globales Marktverständnis und Ressourcen.

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