Offen für Neues
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Von Karin Legat
Ich möchte einen neuen Lebensabschnitt beginnen, selbstbestimmt leben. Ich wünsche mir eine vertraute Umgebung. Ich brauche Sicherheit, um mich wohlzufühlen. Ich möchte auch Zeit mit jüngeren Menschen verbringen und meine Erlebnisse und Erfahrungen mit ihnen teilen.« Mit diesen Erwartungen blicken viele Pensionisten auf ihren dritten Lebensabschnitt und suchen Alternativen zu betreuten Wohnformen wie Pensionistenwohnheim, Pflegeheim und Single-Wohnung. In vielen europäischen Städten entstehen bereits seit einiger Zeit neue gemeinschaftliche Wohnformen. »Aus den Niederlanden gibt es dazu sehr gute Erfahrungen«, berichtet Birgit Schuster von der Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen, FGW. Die individuelle Wohnform wird dabei mit einem ausgeprägten gemeinschaftlichen Charakter ergänzt. »In Nordeuropa werden solche Wohngruppen oft auf Eigeninitiative gebildet. Bei uns braucht es noch die Unterstützung durch Bauträger.« Wohnformen für die Generation 55+ befinden sich erst im Anfangsstadium – aber es gibt erste konkrete Projekte. Und die Nachfrage dafür ist groß, berichten Wohnbaugesellschaften. »Generationen-Wohnen ist ein Thema der heutigen Zeit«, so Architekt Martin Praschl von P.GOOD Architekten.
Rückzug im Familienverband
Für Wohnen im Alter gibt es keine generelle Lösung. »Gängig ist bereits die Unterteilung der Wohnung nach dem Prinzip ›Zurück zur Familie‹. Wohnungen werden dabei geteilt oder kleinere an größere angeschlossen«, so Praschl. Es gilt das Prinzip Mehrfachnutzung. »Ich erlebe immer häufiger, dass junge Leute, die ausgezogen sind, meist aus finanziellen Gründen temporär in den Familienverband zurückkehren, etwa weil sie den Job verloren haben oder weil eine Projektarbeit zu Ende ist und sie die Miete selbstständig nicht aufbringen können oder wollen«, berichtet Karl Wurm, Geschäftsführer des gemeinnützigen Wohnbauträgers Neue Heimat/GEWOG. Für solche Fälle gilt es, flexiblen Rückzugsraum im Familienverband zu haben, um auf Umbrüche in den einzelnen Lebensabschnitten reagieren zu können. »Generationengerechtes Wohnen bietet diese Grundrissflexibilität«, informiert Kurt Dander, Coach für alternative Wohnformen für alte und betreuungsbedürftige Menschen sowie Mitglied des Care Living Circle, der das Mehrgenerationenprojekt Haus des Lebens entwickelt hat. »Kleiner bedeutet aber nicht eng. Barriere- und Bewegungsfreiheit ist unbedingt sicherzustellen«, zeigt Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer bei Delta, auf. Delta ist u.a. auf Architektur, Generalplanung und Baumanagement spezialisiert sowie ebenfalls Mitglied des Care Living Circle.
Mit 55+ zurück in die WG
Eine innovative Wohnungslösung für den dritten Lebensabschnitt bilden Senioren-Wohngemeinschaften, in denen der eigene Wohnungsverband mit einer Hausgemeinschaft kombiniert wird. »Außerhalb der Seniorengruppe werden die Parteien völlig durchmischt. Kommunikation findet auf die gleiche Weise statt wie in anderen Wohnobjekten«, so Wurm. »Die Idee von Wohngruppen für die kommende Altersgruppe 55+ stellt je nach individuellem Wohnwunsch und Wohnbedürfnis aus sozialer und demografischer Sicht sicher eine interessante Alternative dar«, bewertet Birgit Schuster. »Diese Generation kennt WGs noch aus ihrer StudentInnenzeit und schätzt dieses Wohnmodell in adaptierter Form auch für spätere Lebensjahre.« WG-BewohnerInnen bleiben selbstständig und drohen nicht zu vereinsamen. Das Thema Vereinsamung ist ein zunehmendes Problem der älteren Generation. Laut Statistik Austria zählen bereits 23 % der Wohnobjekte der 60- bis 74-Jährigen zu Einpersonenhaushalten, bei den über 75-Jährigen sind es 20 %. Der nicht minder wichtige Bezug zum Wohnungsinnenraum ist in der WG ebenso umsetzbar. »Laut Studien verbringen alte Menschen 20,5 Stunden pro Tag in ihrer Wohnung. Daher sind Nachbarschaftskontakte wie auch Gemeinschaftsräumlichkeiten besonders wichtig.« Durch Wohngruppen wird auch der Verbleib im vertrauten Viertel ermöglicht, was ein prioritärer Wunsch der Altersgruppe 55+ ist. »Und nicht zuletzt sind WGs deutlich kostengünstiger«, betont Schuster und verweist auf eine Studie der Bundesinnung Bau, wonach die Kosten für ein Pflegeheim für Bezieher kleiner Pensionen 23.000 Euro pro Kopf und Jahr betragen. Vor diesem Hintergrund unterstützt die FGW die Forderung nach einem Seniorenscheck ähnlich dem Sanierungsscheck, der zur seniorengerechten Adaptierung des Wohnungsbestands motivieren und diesen fördern soll. »Daneben würde ein Seniorenscheck auch ein Auftragsplus für die Bauwirtschaft und einen gesamtvolkswirtschaftlichen Nutzen bedeuten.«
Offen für Neues
»90 % der Menschen möchten daheim alt werden. Eine Zielgruppe für den Seniorenscheck gibt es also«, weiß Birgit Schuster. Und die Vorkehrungsmaßnahmen, die mit dem Scheck realisiert werden, verhelfen laut Kuratorium für Verkehrssicherheit zu langer Selbstständigkeit. Wie Senioren-WGs umgesetzt werden können, dafür gibt es in Österreich bereits Vorzeigeprojekte. Nach der Idee Haus des Lebens des Care Living Circle entstehen derzeit Wohnprojekte in Tirol, Ober- und Niederösterreich sowie in der Steiermark. »Im Haus des Lebens fördert ein ausgebildeter Wohnbetreuer aktiv die Kommunikation, die Zusammenarbeit und die Gemeinschaft«, beschreibt Wolfgang Kradischnig den Unterschied zu anderen Mehrgenerationenprojekten. Unter dem Namen »Rosa Zukunft« besteht ein Projekt Generationenwohnen in Salzburg. In Wien Ottakring betreibt Neue Heimat/GEWOG eine Senioren-Wohngruppe. Ein ähnliches Projekt ist für Rodaun und für den 14. Bezirk geplant. Noch gibt es wenig Initiativen für Seniorenwohnmodelle. Diese geringe Umsetzung erklärt sich Birgit Schuster mit der generell geringen Umzugsbereitschaft. Diese liegt in Österreich laut FGW-Schätzungen basierend auf dem Mikrozensus bei 4 bis 5 %, in Großbritannien hingegen bei 10 %, in den USA etwa bei 17 %. Neuseeland führt mit 20 %. Als ein Argument gegen den Umzug gilt bei älteren Menschen die Verbundenheit mit dem Ort, aber auch der Mangel an Alternativen und die Angst vor höheren Wohnkosten. Unter Mietern ist die Bereitschaft umzuziehen generell höher als unter Eigentümern (55+: Mieter ca. 50 %, Eigentümer ca. 25 %). »Damit öffnen sich der Vereinsamung ab einem gewissen Alter für viele Menschen vor allem in Regionen mit wenig Infrastruktur Tür und Tor«, so Schuster. Die Nachfrage nach generationengerechtem Wohnen steigt aber. »Wir wählen gezielt unterschiedliche Generationen. Dadurch ergibt sich eine hohe Durchmischung von jungen Leuten, Familien und Senioren. Die Bewohner sollen sich gegenseitig unterstützen können«, erläutert Engelbert Mistlbacher vom Care Living Circle. GEWOG-Geschäftsführer Wurm sieht dabei ein grundlegendes Problem. »Der unterschiedliche Lebensrhythmus von jung und alt verhindert oft verschränktes Arbeiten.«
Aktiv mitgestalten
In 1140 Wien realisiert GEWOG daher ein anderes Wohnmodell. In einem mehrgeschoßigen Wohnbau wird eine Stiege ausschließlich einer Seniorenwohngruppe zugeordnet. Daneben gibt es Stiegen mit jungen Familien, aber auch älteren Menschen, die nicht zur Wohngruppe gehören. »Diese Wohnformen fördern aktives und nahes Miteinander«, informiert Wurm. »Wir beziehen die Menschen außerdem möglichst früh in den Planungsprozess mit ein. Dabei können sie ihre Wünsche und Ideen mit dem planenden Architekten besprechen und aktiv mitgestalten. Der Prozess erfordert Zeit. Bis zur Übergabe einer Stiege oder eines Gebäudes können zwei Jahre vergehen.« Im Vordergrund steht der gute Nachbarschaftsfaktor. »Entscheidend ist, dass die Leute offen sind und die Herausforderung des gemeinsamen Wohnens eingehen möchten«, berichtet Wurm von den zahlreichen Gruppenbesprechungen und verweist darauf, dass die Wohnungen ausschließlich auf Mietbasis vergeben werden und es auch keine automatische Rechtsnachfolge gibt.
>> Senioren:
Derzeit leben in Österreich rund zwei Millionen Menschen über 60 Jahre. Setzt sich die demografische Entwicklung wie bisher fort, wird laut Bevölkerungsprognosen im Jahr 2050 jeder dritte Österreicher älter als 59 Jahre sein. Gleichzeitig steigen die Lebensqualität und damit Mobilität und Aktivität bis ins hohe Alter. (Quelle: Statistik Austria)
>> Wohungsnachfrage:
Die Wohnungsnachfrage wird laut FGW generell bestimmt durch:
- 40% Alter, Haushaltstyp Lebensphasenmodell
- 40% Wohnkaufkraft Haushaltseinkommen, das für Wohnen zur Verfügung steht
- 20% Wohnkonzepte Lebensstil, Wertorientierungen, Wohnwünsche