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Heimisch unbefriedigend

\"TrotzDie Industrie ortet einen anhaltenden Fachkräftemangel in Österreich und prangert Versäumnisse an. Personalvermittler setzen auf Flexibilität auch über die Landesgrenzen hinweg.

Der Teufel war schnell an die Wand gemalt – anlässlich der Öffnung des Arbeitsmarktes für osteuropäische EU-Länder. Ende April 2011 endeten Übergangsbestimmungen der EU zur eingeschränkten Beschäftigung von Arbeitssuchenden aus Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien und dem Baltikum. Am 1. Mai wurde den Bürgern freigestellt, in Österreich auch ohne Bewilligungspflicht zu arbeiten. Der Vorhang fiel ebenso für gewerbliche Anbieter in bis dato geschützten Dienstleistungszweigen, wie etwa im Baugewerbe oder in der Metallverarbeitung. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen im Osten Österreichs machten sich auf das Hereinströmen von Legionen neuer Mitwerber gefasst. Die Katastrophe blieb freilich aus – sowohl am Feiertag der Arbeiterbewegung als auch in den Monaten darauf. Die Kassandrarufe erwiesen sich letztlich als unbegründet.

Ein Jahr nach der Öffnung des Arbeitsmarktes spüren die heimischen Unternehmen weiterhin einen Mangel an Fachkräften. »Die zu späte Öffnung hat uns einen Wettbewerbsnachteil beschert, mit dem wir heute noch kämpfen«, weiß Christoph Neumayer. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung kann die vielerorts ausgesprochene Freude, dass es kaum einen messbaren Effekt der Ostöffnung auf den heimischen Arbeitsmarkt gibt, nicht nachvollziehen. Die Öffnung bescherte dem Markt einen Beschäftigungszuwachs um 26.000 Personen im ersten Jahr. Die Hälfte davon stammt aus Ungarn. »Viele Fachkräfte aus Osteuropa sind bereits vor Jahren in andere EU-Staaten gewandert und damit am österreichischen Arbeitsmarkt vorbeigezogen«, resümiert Neumayer. Fazit: Der Fluch der verspäteten Marktliberalisierung hat im seligen Land Österreich erneut zugeschlagen.

Auch mit der Rot-Weiß-Rot-Card für Nicht-EU-Bürger sind seit dem Start im Vorjahr bislang zu wenige Fachkräfte ins Land geholt worden, so die IV weiter. Rund 1.500 sind es einer Statistik des Sozialministeriums zufolge. Neumayer fordert dazu eine offensivere Anwerbepolitik, »damit die richtigen Personen nach Österreich kommen, die wir für unsere Unternehmen brauchen«. Auch die weiterhin bestehende Abschottung des heimischen Arbeitsmarktes für Bewerber aus Rumänien und Bulgarien bis Ende 2013 betrachten Experten als kontraproduktiv. Bis zum Ende der Frist müssen sich heimische Arbeitgeber für die Beschäftigung von Bürgern der beiden jungen EU-Länder beim Arbeitsmarktservice (AMS) Bewilligungen einholen. Rumänien und Bulgarien haben damit den gleichen Status wie Drittländer außerhalb der Union.

>> Technikbranchen besonders betroffen <<

Einer österreichweiten Studie des AMS zufolge war der Fachkräftemangel im Vorjahr besonders in den Bundesländern Vorarlberg und Oberösterreich zu spüren. 40 % der Unternehmen mit 20 oder mehr Beschäftigten klagten im westlichsten Bundesland über fehlende qualifizierte Arbeitskräfte, 36 % waren davon im Industrieland Oberösterreich betroffen. Wien (28 %) und das Burgenland (21 %) kamen im Vergleich noch glimpflich davon. Alle heimischen Regionen haben aber bis heute eines gemein: Der Mangel ist im Pflegesektor und in der Technik am größten.

Manuela Klier, Geschäftsführerin The Expertspool, fokussiert auf die Vermittlung von Managern auf Zeit und die Vermittlung von Fachkräften in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). »Ein Blick auf die Webseiten der heimischen IKT-Unternehmen und Jobbörsen spiegelt die aktuelle Situation wider: ein großes Job-angebot, das mangels genügender Fachkräfte nicht gedeckt werden kann. Das Rennen um qualifizierte Experten ist zu einer großen Herausforderung geworden«, beschreibt sie gegenüber dem Report. Klier sieht den Personalmarkt »in vielen Bereichen leergefischt« und plädiert für flexiblere Ausbildungsmöglichkeiten. Unterrichts- und Studienpläne sollten »rascher auf die Marktsituation angepasst werden können, um den für die Wirtschaft so wertvollen IKT-Nachwuchs zu liefern«. Klier, die selbst lange Jahre bei einem großen IKT-Unternehmen beschäftigt gewesen ist, sieht auch die Arbeitgeberseite gefordert. Ihr Fazit: Firmen sollten von der traditionell starren Bindung von Mitarbeitern an die Unternehmen abgehen. Gerade bei einer Zusammenarbeit mit freiberuflich tätigen Fachkräften werde oftmals ein zu enges Korsett angelegt. Rund um die Uhr vor Ort tätig zu sein oder über sehr gute Deutschkenntnisse zu verfügen – das ist in einer globalisierten Arbeitswelt nicht mehr zeitgemäß. In der zunehmend vernetzten Wirtschaft und im Besonderen in der IKT-Branche reduzieren solche Hürden den Zugriff auf verfügbare Kräfte, die im Ausland sitzen.

>> »Flexibel waren die Menschen schon immer« <<

Flexibilität und Mobilität sind auch für den Personaldienstleister Brunel die Kernthemen in der Diskussion zum Facharbeitermangel. »Obwohl man in Österreich oft noch von Umzugsmuffeln spricht, kann ich diesen Unmut in der Technik- und Ingenieursbranche nicht teilen«, meint Regionalleiter Klaus Schwanninger. Berufliche Mobilität werde schon lange als Grundvoraussetzung anerkannt und eine projektbezogene Arbeitsweise bringt Vorteile für beide Seiten, wie er betont: »Das ist auch schon vielen Unternehmen bewusst, für die eine lokale oder regionale Verbundenheit immer weniger eine Rolle spielt und die dies aus ihrem Anforderungsprofil für Fachexperten streichen.« Freilich sei es erst jetzt durch die vernetzte Kommunikation und dem Wegfallen arbeitsmarktpolitischer Schranken möglich, eine erhöhte Flexibilität am Arbeitsmarkt anzubieten. Und auch Ausbildung ist ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg für die heimische Arbeitswelt. Mit gut ausgebildeten Jugendlichen und Studierenden könne schneller auf verändernde Arbeitsmarktverhältnisse reagiert und langfristig dem Innovationsdruck Rechnung getragen werden. Schwanningers Boss, General Manager Gerjan Mazenier, sieht das Thema – über den Tellerrand betrachtet – entspannter. »Einen Fachkräftemangel erkenne ich nur auf lokaler Ebene, bei Jobs in unmittelbarer Nähe zum Wohnort, die 10 bis 15 km voneinander entfernt sind«, so Mazenier. »Qualifizierte Arbeitskräfte sind auf jeden Fall gewillt, für spannende und herausfordernde Projekte ihr Know-how flexibel anzubieten.«

»Selbst die Verfechter der klassischen, noch aus dem Industriezeitalter stammenden, Systeme können sich den Veränderungen nicht mehr entziehen«, meint auch Manuela Klier. War früher die lebenslange Vollzeitanstellung eine übliche Form, so setzt sich immer stärker eine projektbezogene Arbeitskultur durch. Diese Entwicklung sei auch durch die qualifizierten Arbeitnehmern selbst bestimmt, die nach mehr Flexibilität, Herausforderungen und Selbstbestimmung streben.

IV-Arbeitsmarktexperte Andreas Gruber fordert dazu ebenfalls die Aus- und Weiterbildung insbesondere in technischen Bereichen zu verstärken – vor allem in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Dass der Facharbeitermangel generell auch durch den allgemein beobachtbaren Frauenmangel in technischen Berufen bedingt ist, bestätigen die Branchenkenner unisono. Gerade auch hier bewirkt die Öffnung der Grenzen des Arbeitsmarktes zu den neuen EU-Ländern Gutes. Im ehemaligen politischen Ostblock gab es in den technischen Berufen nie Vorbehalte gegenüber Studentinnen und weiblichen Fachkräften. Diese Gleichstellung in Ausbildung und Beruf empfinden viele in Westeuropa heute noch als legendär. 

 

>> Verlinkt:

> Die Industriellenvereinigung (IV) ist die freiwillige Interessenvertretung der österreichischen Industrie mit derzeit rund 3.500 Mitgliedern.
www.iv-net.at
> The Expertspool ist ein auf den IKT-Markt spezialisierter Dienstleister und bietet gemäß seinem Leitsatz »Get the perfect match« IKT-Experten und Interimsmanager.
www.the-expertspool.com
> Als internationaler Projektpartner für Technologie und Management bietet Brunel flexible Ingenieurdienstleistungen sowie Management- und Organisationsberatung an.
www.brunel.at

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