Strom mit Hirn
- Written by Redaktion
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Die Energienetze der Zukunft sollen intelligent, automatisiert und kommunikationsfreudig sein.
Viele Möglichkeiten sind noch Vision. Doch langsam nimmt der schillernde Begriff »Smart Grids« Gestalt an.
Es ist drei Uhr nachts, das Haus stockdunkel und seine Bewohner in tiefem Schlaf versunken. Totenstille vom Dachstuhl bis zum Keller. Urplötzlich öffnet sich im Badezimmer ein Wasserventil. Flüssigkeit gluckert durch einen Gummischlauch. Kurz darauf ertönt das vertraute Geräusch einer vibrierenden Waschmaschine. Keine Sorge, hier ist nicht der Poltergeist am Werk, sondern eine technologische Vision. Die Idee: Haushaltsgeräte schalten sich selbstständig genau dann ein, wenn der benötigte Strom gerade am billigsten ist. Gegebenenfalls eben auch nachts. Solcherart mitdenkende Haushaltsgeräte sind jedoch nur einer der meistgenannten Vorteile sogenannter Smart Grids, also »intelligenter« Energienetze. Obwohl die Smart-Grids-Philosophie prinzipiell jede Energieform,
Die Technologietreiber
Smart Grids sind derzeit das Lieblingsthema der Energiewirtschaft. Dennoch werden die klugen Netze nicht ohne gewisse Not herbeigewünscht. »Haupttreiber der Entwicklungen ist der massive Ausbau erneuerbarer Energieträger«, sagt Hubert Fechner, Leiter des Instituts für erneuerbare Energiesysteme an der FH Technikum Wien. »Dafür ist die bestehende Netzinfrastruktur aber nicht ausgelegt.« Historisch gewachsen, stammt sie aus einer Zeit, als große Kraftwerke das Land zentral mit Strom versorgten. Die Verbraucher waren passive Abnehmer, der Stromfluss verlief nur in eine Richtung. Diese Situation ändert sich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung sukzessive. Immer mehr Windparks entstehen, Photovoltaikdächer boomen. Die Netzbetreiber sind gesetzlich verpflichtet, den Ökostrom abzunehmen. Private Haubesitzer werden damit zum neuen Mischtypus aus Stromproduzent und -konsument, zum »Prosumer«, so das eigens dafür geschaffene Kunstwort. Während der Stromverbrauch eines Landes recht gut prognostizierbar ist, gilt das für den Beitrag von Windrädern und Solaranlagen nicht. Mal speisen sie mehr Energie ins Netz, mal weniger – je nach Wetterlage. Mittels Speicherkraftwerken und kurzfristig zu- oder abschaltbaren Regelkraftwerken lassen sich daraus resultierende Spannungsschwankungen zwar noch ausgleichen. Doch die Kapazitäten schrumpfen. Eine intelligente Verteilung auf den untersten Netzebenen soll die nötigen Polster schaffen.
Die Vorreiter
Handlungsbedarf ergibt sich aber auch aus der Energiestrategie »20-20-20« der EU (20% weniger CO2 sowie 20% Anteil erneuerbarer Energieträger bis 2020). Für Österreich ergibt sich daraus die Verpflichtung, den Anteil erneuerbarer Energie von derzeit knapp 29 Prozent auf 34 Prozent zu erhöhen. Um diese beiden, scheinbar gegenläufigen Bedingungen, unter einen – auch wirtschaftlich gut passenden – Hut zu bringen, tüfteln die Energieversorger schon jetzt am Netz der Zukunft. Einer der Vorreiter ist hierzulande die Salzburg AG. Das Bundesland wurde vom Klima- und Energiefonds heuer bereits zum zweiten Mal zur Smart-Grids-Modellregion erklärt. In Zusammenarbeit mit Vertretern aus Industrie, Energiebranche und Forschung werden zahlreiche Pilotprojekte durchgeführt. Im Rahmen des geförderten Projektes »DG Demonet« soll beispielsweise eine Gemeinde im ländlichen Raum flächendeckend mit PV-Anlagen ausgestattet werden. Gesucht wird dann nach Steuerungskonzepten, um den erzeugten Strom optimal ins Mittelspannungsnetz einzuspeisen. Auch ein Brennstoffzellenheizgerät wurde bereits im Feldversuch getestet. »Jedes unserer Projekte beschäftigt sich mit Lösungen für die dezentrale Energieversorgung«, sagt Michael Strebl, Geschäftsführer der Salzburg Netz. Zum Jahreswechsel haben die Salzburger mehrere Projektausschreibungen des Klima- und Energiefonds gewonnen. Die Fördersumme beträgt 1,6 Millionen Euro. Ein viel versprechender Ansatz ist es auch, mehrere reale Wind-, Solar-, kleine Wasser- und Blockheizkraftwerke zu einer virtuellen Anlage zu vernetzen. Für die übergeordnete Netzebene erscheinen sie wie ein großes Kraftwerk. Intern sorgt ein Leitsystem für die bedarfs- und wetterabhängige Regelung der dezentralen Einspeiser.
Die Voraussetzungen
All dies setzt jedoch voraus, dass sämtliche verteilungstechnisch relevanten Daten über den Stromfluss in Echtzeit und hoher zeitlicher Auflösung erfasst werden können. Als Erstes wird dies für die Endverbraucher in Form digitaler Stromzähler, sogenannter »Smart Meter«, realisiert. Im Unterschied zu den klassischen Ferraris-Zählern mit Drehscheibe erfassen die cleveren Messgeräte den Stromverbrauch automatisch im Tages-, Stunden- oder 15-Minuten-Takt. An die Stelle der jährlichen Ablesung tritt so eine laufende Erfassung. Die Konsumenten könnten damit in Zukunft ihren jeweiligen Tagesverbrauch bequem über das Internetportal des Stromversorgers abrufen. Denkbar wäre auch, sich den Spitzenverbrauch oder verschiedene Durchschnittswerte anzeigen zu lassen. Der Vertrieb wiederum kann aus den erhobenen Daten maßgeschneiderte Tarifpakete entwickeln. Bei der Salzburg AG sind derzeit mehrere hundert digitale Stromzähler bei Testkunden im Betrieb. »Wir evaluieren zum Beispiel, welche Darstellungsformen des Stromverbrauchs von den Kunden angenommen werden«, sagt Michael Strebl. Bis 2013 will die Salzburg AG alle 250.000 Stromkunden mit digitalen Zählern ausgerüstet haben. Ambitioniert gibt sich auch die oberösterreichische Energie AG, die bis 2018 mehr als 400.000 Kundenanlagen gegen digitale austauschen will. »Es ist ein schleifender Prozess«, sagt Walter Tenschert, Geschäftsführer der EAG Netz. »Die alten Zähler müssen sowieso ersetzt werden.« Die Kommunikation der Smart Meter erfolgt vom Zähler bis zur nächsten Trafostation über das Stromnetz selbst. Von dort sind dann die üblichen Wege über Breitband, Glasfaser oder Funk möglich. »Smart Meter alleine machen noch kein Smart Grid«, betont Tenschert. »Aber sie sind der erste Schritt und die Voraussetzung für alles Weitere.« Der künftige Nutzen liegt vor allem darin, dass eine 2-Weg-Kommunikation möglich ist. Das Smart Meter kann also auch als Steuergerät genutzt werden, um beispielsweise Haushaltsgeräte dann einzuschalten, wenn der Strompreis niedrig ist oder die Netzauslastung gering. In Salzburg läuft derzeit ein Projekt, bei dem eine ganze Wohnhausanlage mit dem Smart Grid interagieren soll. Dabei wird das Netz selbst die Steuerung der Wärmepumpen übernehmen. Die Idee dahinter: Wenn die Wärmepumpen nachts für ein paar Stunden abgeschaltet werden, haben die Bewohner davon keinen Nachteil. Gleichzeitig lässt sich dadurch aber Energie sparen.
Die Industrie
Auch die Industrie erwartet sich ein gutes Geschäft von Smart Grids. Aufgrund der Erfahrungen im Bereich der Heimautomatisierung, aber auch der industriellen Energieversorgung sieht sich Siemens bestens gerüstet für das Stromnetz der Zukunft. So beliefert das Unternehmen die Salzburg AG mit digitalen Stromzählern, den zugehörigen Sensoren und IT-Systemen für Datenerfassung und -management. »Wir gehen davon aus, dass Smart Grids nicht nur für Strom, sondern auch für Fernwärme und Gas kommen werden«, sagt Robert Tesch, Leiter der Division Energy Automation bei Siemens. »Unsere Geräte sind schon jetzt dafür gerüstet.« In Österreich befindet sich auch ein Kompetenzzentrum des Konzerns für Zählmesstechnik, die Automatisierung von Verteilnetzen und die Datenübertragung über Niederspannungsnetze. Außerdem beherbergt der Standort das internationale Hauptquartier für den Vertrieb der Smart Meter. Doch auch Mitbewerber wie Schneider Electric, ABB oder Eaton Moeller stehen bereits in den Startlöchern und wollen ihr Stück vom Kuchen. Kein Wunder: Laut der Unternehmensberatung Arthur D. Little wird der weltweite Umsatz mit Smart-Grid-Komponenten 42 Milliarden Dollar betragen. Noch optimistischer beurteilt der Marktforscher Trend Research die Entwicklung: Demnach soll das globale Volumen von derzeit knapp 100 Milliarden Dollar bis 2030 auf 263 Milliarden ansteigen.
Die Möglichkeiten
Noch sind gar nicht alle Möglichkeiten der Smart Grids abzuschätzen. Wohlklingende Zukunftsmusik ist beispielsweise die Integration von Elektrofahrzeugen in die behirnten Netze. Da jedes Auto durchschnittlich 23 Stunden pro Tag unbenutzt steht, könnten die Batterien als variabler Stromspeicher genutzt werden. Das macht freilich erst dann Sinn, wenn wirklich hunderttausende Elektrofahrzeuge die neue Ära des Individualverkehrs einläuten. Ein mögliches Szenario wäre dann, dass ein Autobesitzer sich vertraglich bereiterklärt, dass seine Fahrzeugbatterie während der Nachtstunden nach Bedarf ge- und entladen werden darf. Dafür erhält er einen günstigen Stromtarif. Im Gegenzug verpflichtet sich der Energieversorger, dass die Autobatterie nicht unter ein vereinbartes Limit entladen wird. So bliebe im Notfall die kurzfristige Mobilität gewährleistet. Ungeklärt ist noch, ob die Endverbraucher dabei mitspielen, wenn das intelligente Stromnetz darüber entscheidet, wann ihre Wärmepumpen oder Haushaltsgeräte laufen. Hier müssen Anreize über neue Tarifmodelle und Mehrwertdienste geschaffen werden. Als Vorbild kann dabei die Entwicklung des liberalisierten Mobilfunkmarktes dienen. Wenn dereinst, so will es eine Variante der Visionen, jeder digitale Stromzähler mit eigener IP-Adresse an das Internet angeschlossen ist, gilt es auch Fragen der Datensicherheit und möglicher Sabotage durch Hacker zu klären. »Die Entwicklung zu Smart Grids ist ein dynamischer Prozess«, sagt Hubert Fechner. »Die Frage ist nicht, ob Smart Grids kommen, sondern ob Österreich frühzeitig aktiv werden und eine Vorreiterrolle übernehmen kann.« Derzeit sieht es jedenfalls ganz danach aus.