Bei dieser vom logischen Standpunkt aus durchaus schlüssigen Vorgehensweise - um ihre Wirkung im Körper zu entfalten, müssen Stoffe erst einmal ihren Bestimmungsort im Organismus erreichen - gibt es jedoch ein nicht unwesentliches Problem. Zahlreiche Stoffe werden in einer Zelle produziert, kommen aber in einer völlig anderen zum Einsatz. Die Folge sind unglaublich lange Transportwege, die überwunden werden müssen. Der geringste Aufwand besteht, wenn ein Stoff im Wasser gelöst werden kann, dann kann er wie beim menschlichen Blutkreislauf mit Hilfe einer Lösung transportiert werden. Ungleich schwieriger wird es, wenn dies nicht möglich ist. Dann muss der Organismus seine Kreativität unter Beweis stellen.
Stoffe auf Wanderschaft
Forscher des Max-Planck Instituts für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden haben genau einen solche kreative Raffinesse der Zelle entdeckt: Prozesse in Zellen der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, welche neue Einsichten in die übertragung bestimmter Proteinsequenzen zwischen einzelnen Zellen bieten: Eine Reihe bestimmter Moleküle kann die Zellen verlassen und in Relation zur eigenen Größe riesige Distanzen zwischen den Zellen überbrücken. Diese Spediteure, die die Dresdner Forscher Argosome tauften, ermöglichen es Proteinen also, Strecken zurückzulegen, die sonst unüberbrückbar wären. Der Name Argosom ist der Biologin Suzanne Eaton eines Abends spontan eingefallen: \"So wie die Argonauten in Sagen und Science-Fiction über große Distanzen zwischen den Welten reisen, so reisen diese Argosome im ganzen Körper“, zeigt Eaton, wie sattelfest sie in der Mythologie ist.
Das zellbiologische Speditionswesen im Detail
Die Dresdner Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihren Untersuchungen auf Wingless und Hedgehog. Dies sind zwei Stoffe, die Wachstum und Entwicklung eines Organismus in der Embryonalphase koordinieren. \"Sie entfalten ihre Wirkung nicht nur in Nachbarzellen, sondern beeinflussen Zellen über weite Distanzen hinweg von ihrem Produktionsort entfernt. Dies erfordert den Transport durch den Körper oder Organismus über lange Strecken“, erklärt Eaton. Das bisherige Problem war ein Mangel der Erkenntnis, in welcher Form diese nicht fettlöslichen Stoffe die Strecken im menschlichen Körper zurücklegen.
Das Forschungsteam am PI-CBG hat nun gezeigt, dass sich die Stoffe Hedgehog und Wingless an andere Moleküle binden und diese als eine Art Fahrzeug benutzen - so können sie weite Distanzen überbrücken. Diese Transporter-Lipoproteine, die Argosome, bewegen sich dann mit ihren Gütern in andere Zellen, wo sie sich zusammen mit den Morphogenen ablagern. Die Gegenprobe hat die These untermauert: Unterdrückt man die Produktion der Argosome, sind auch Hedgehog und Wingless in ihren Zielzellen deutlich weniger vertreten.