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»Wir müssen in größeren Dimensionen denken«

»Die Digitalisierung leitet das Zeitalter ­unbegrenzter Möglichkeiten ein«, ist Michael Zettel überzeugt. (Foto: Accenture/Michael Inmann) »Die Digitalisierung leitet das Zeitalter ­unbegrenzter Möglichkeiten ein«, ist Michael Zettel überzeugt. (Foto: Accenture/Michael Inmann)

Warum die Österreicher Teile der Digitalisierung verschlafen haben und welche Chancen Europa hat, beantwortet Michael Zettel, Country Managing Director Accenture, in seinem neuen Buch und in einem Gespräch mit dem Report.

Report: Sie liefern im Klappentext ihres Buches »Das digitale Wirtschaftswunder« eine Liebeserklärung an die Digitalisierung. Was sollten wir aus Ihrer Sicht an ihr lieben?

Michael Zettel: Für mich persönlich ist die Digitalisierung das Ende der Zeitverschwendung. Aus Perspektive der Unternehmen leitet sie das Zeitalter unbegrenzter Möglichkeiten ein. Die Digitalisierung bietet wahnsinnig viele Chancen und kann einen Riesennutzen stiften.

Report: Ist es Unternehmen mit einem höheren Digitalisierungsgrad in den vergangenen zwölf Monaten besser als anderen ergangen?

Zettel: Wir haben das in unserem Kundensegment der größeren Unternehmen definitiv beobachten können und Ähnliches in einer gemeinsamen Studie mit der Industriellenvereinigung festgestellt. Dabei wurden die österreichischen Leitbetriebe befragt, mit einem eindeutigen Ergebnis: Mit der Digitalisierung kommt man besser durch Krisen. Die Unternehmen sind resilienter.

Report: Was waren die Treiber für Ihr neues Buch? Warum gerade jetzt?

Zettel: Wir haben für das Rote Kreuz die Stopp-Corona-App programmieren dürfen, allerdings hat mich die Skepsis der Menschen gegenüber dieser Lösung überrascht. Ich war fassungslos, wie tief Technologiefeindlichkeit in der Bevölkerung verankert ist. Für mich ist klar, und man sieht das an vielen Stellen, dass es nur einen Weg aus Krisen wie dieser gibt: Wir setzen Technologie ein, um Krankheiten zu bekämpfen und werden auch die Klimakrise nur mit Technologie überwinden können. Die Veränderung ist unaufhaltsam. Natürlich ist auch Kritik zulässig und gut, sie macht auch unsere Arbeit letztlich besser. Mir war es aber ein großes Anliegen, die positiven Seiten zu beleuchten – von einem rein risikoorientierten zu einem chancenorientierten Ansatz.

Report: Der Stopp-Corona-App wurde von Datenschützern eigentlich ein gutes Zeugnis ausgestellt. Trotzdem dominiert offenbar die Sorge um die Speicherung von Daten – der Nutzen für die Menschen ist völlig in den Hintergrund gedrängt worden.

Zettel: Es gab sicherlich ein Vertrauensproblem, das auch durch die politische Diskussion dazu geschürt wurde. Und die Datenschutzdiskussion hatte letztlich Einfluss auf die Nutzbarkeit. Es steht außer Frage, dass die App den Menschen einen beschränkten Nutzen bietet. So erlauben zum Beispiel Google und Apple aufgrund des App-eigenen Datenschutzes nicht, die Zahl der Kontakte über einen Tag anzuzeigen. Andererseits geben viele über Social Media – Clubhouse ist ein aktuelles Beispiel dazu – alles Mögliche preis, um Nutzen aus diesen Diensten zu ziehen. Nun, die Stopp-Corona-App hätte immerhin positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit und die Gesundheit unserer Mitmenschen.

Report: Wie resümieren Sie das Projekt Kaufhaus Österreich?

Zettel: Es gibt bei Kaufhaus Österreich einen sehr positiven, aber leider unterbeleuchteten Aspekt. E-Commerce ist hierzulande völlig unterentwickelt – nur ein Prozent der Umsätze wird auf digitalen Plattformen erwirtschaftet. Viel zu wenige Händler nehmen an der Plattformwirtschaft teil und wir haben anderen Ländern gegenüber einen dramatischen Aufholbedarf. Die Möglichkeit einer Hilfestellung hier sollte eigentlich im Vordergrund stehen. Aber die B2C-Umsetzung ist nicht so gelungen, wie man es sich vorgestellt hat.

Report: Warum tut sich der österreichische Handel seit Jahren mit dem Onlineangebot so schwer? In der Pandemie hatten die Unternehmen dann nicht mehr die Kraft, ihre Geschäftsmodelle umzustellen.

Zettel: Zu einem großen Teil ist es eine Frage des Mindsets. Viele Klein- und mittlere Unternehmen sind der Meinung gewesen, der Onlinehandel sei nur etwas für die Großen. Das ist einfach falsch. Der Trend zur Plattformwirtschaft ist unaufhaltbar. E-Commerce bietet so viele Chancen, den Absatzkanal zu verbreiten und damit den Umsatz zu steigern. Jene, die das vor der Krise konsequent gemacht haben, sind ganz sicher besser durch die Krise gekommen.

Im B2C-Markt haben wir in Europa den Zug der großen Plattformen verpasst. Das hat feste Gründe, die genügend erforscht sind – etwa das Fehlen von Risikokapital. Dann haben die Wirtschaftsräume USA und China einfach große homogene Märkte, die es Anbietern wesentlich einfacher machen. Plattformen wie Amazon in den USA oder Alibaba aus China werden wir aus Europa kommend nicht mehr sehen – bestenfalls in Nischenbereichen. Bei B2B hingegen ist der Markt völlig offen, er steht am Beginn. Wenn wir das schaffen, hätten wir zumindest das zweite Jahrzehnt der digitalen Transformation nicht verpasst.

Report: Ist es nicht auch ein Widerspruch, wenn ein bislang auf die lokale Kundschaft fokussierter Händler global agieren muss, um zu überleben?

Zettel: Keineswegs und unser Denken sollte beim Kunden beginnen. Dieser hat aufgrund seiner Umwelt und seiner Möglichkeiten eine Erwartungshaltung, die der Händler erfüllen muss. Amazon ist weniger Einzelhändler als Erfüllungsdienstleister. Die Kaufentscheidung wird bei Amazon vielfach davor getroffen: Ich kann mir einfach sicher sein, dass ich die gesuchte Ware »on demand« bekomme. Um hier nicht auf der Strecke zu bleiben, müssen auch kleine, lokale Händler in Onlinemaßstäben denken.

Report: Welche Chancen sehen Sie für die Industrie hinsichtlich künftiger Märkte?

Zettel: In Deutschland und in Österreich sind wir Weltmeister bei Nischenmarktführern. Es sind Unternehmen, die genau wissen, wie man sich einen Wettbewerbsvorteil durch innovative Produkte in sehr spezifischen Märkten erarbeitet. Wenn wir es schaffen, dies auch in die digitale Welt zu übertragen, werden wir dort auch die digitalen Champions der Zukunft haben. Für diese Unternehmen gilt es nun, ihr Kerngeschäft zu digitalisieren und sicherzustellen, dass auch die Produktion weitestgehend digital unterstützt funktioniert. In einem zweiten Schritt, den ich für noch wesentlicher für die Industrie halte, müssen die Produkte intelligent gemacht und mit Smart Services verbunden werden. Man wird so Wertschöpfung schaffen und man kann den Kunden neue Leistungsversprechen geben. Produkte werden dann zu Services – die Unternehmen werden Leistung verkaufen.

Report: Was sind die zentralen Herausforderungen beim Aufbau einer Plattformökonomie auf B2B-Ebene?

Zettel: Unternehmen in der Industrie sind eine inkrementelle Optimierung gewohnt. Maschinen werden Schritt für Schritt besser ausgelastet, Produktionen werden prozentweise verbessert. Davon müssen wir wieder wegkommen und in größeren Dimensionen denken. In der Produktionsplanung war es früher ausreichend, diese im Halbjahresrhythmus anzupassen. Heute muss dies in Monaten, Wochen und künftig sogar in Tagen geschehen. Das gelingt nur durch den Einsatz von Technologie, durch künstliche Intelligenz, Big Data und mit ähnlichen Modellen.

Report: Welche Innovationen werden Machine-Learning-Lösungen bringen? Und wie gut sind Unternehmen in Österreich dazu aufgestellt?

Zettel: Wir haben viele vor allem größere Unternehmen, die Machine Learning schon gut in Einzelbereichen einsetzen. Was noch fehlt, ist der breite Einsatz in der Gesamtwirtschaft. Machine Learning kann überall gebraucht werden – im Vertrieb, bei der Optimierung von Kundenservices, in der Produktion und auch bei Kosteneinsparungen im Finanzbereich. Vorzeigebeispiele in der Industrie sind die Qualitätssicherung und Erhöhung der Produktionskapazitäten durch Bilderkennung und Datenanalysen. Ein beliebtes Einsatzgebiet ist auch die genauere Bedarfsvorhersage. Künstliche Intelligenz kann zwei Dinge besonders gut, und genau betrachtet wirklich nur diese beide: Klassifikation und Vorhersage.

Report: Glauben Sie, es ist für Unternehmen notwendig, KI- Kompetenz im eigenen Haus aufzubauen, oder kann man sich dazu auf Technologiepartner und Dienstleister verlassen?

Zettel: Natürlich ist es zwingend notwendig, Kompetenz aufzubauen. KI ist stets eine Kombination von technischem Know-how, Statistik und dem jeweiligen Anwendungsfall. Nur wenn ich diese drei Domänen verbinde, entsteht ein Nutzen aus der angewandten maschinellen Intelligenz. Wir empfehlen jedenfalls auch die Vermischung der eigenen Kompetenz mit Unternehmen, die Erfahrung mit dem Thema KI haben. Accenture hat in Österreich ein Team von mittlerweile 60 Mitarbeitern, die sich laufend in Projekten zum Einsatz von Machine Learning befinden.




Liebeserklärung an die Digitalisierung

Österreich hat die besten Chancen, zu den Digitalisierungs-Champions zu zählen – wie und warum zeigt Michael Zettel. Mit Hilfe der neuen Technologien können nachhaltig Wohlstand geschaffen und Volkswirtschaften vorangetrieben werden. „Das digitale Wirtschaftswunder – Österreichs Weg aus der Krise“ ist das neueste Buch des Digitalisierungs-Evangelisten. Es zeigt zahlreiche Best-Practice-Beispiele und betont: Jeder kann die digitale Transformation schaffen.

„Das digitale Wirtschaftswunder – Österreichs Weg aus der Krise“
Michael Zettel
Hardcover, 192 Seiten, 24 Euro
Molden Verlag, Jänner 2021
ISBN 978-3-222-15068-5

Die Report-Redaktion verlost 5 Exemplare des Buchs unter all jenen, die der LinkedIn-Seite des Report Verlag im März und April 2021 folgen!

Last modified onDienstag, 23 März 2021 21:57
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