Cloud: »Nicht überhastet neue Lösungen einsetzen, sondern einen Schritt weiterdenken« Featured
- Written by Martin Szelgrad
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Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Cloud-Infrastruktur mittlerweile auch eine Basis für die Überlebensfähigkeit von Unternehmen ist. In einem Webinar im November – gemeinsam veranstaltet von den »Power of 3« Avanade, Accenture und Microsoft – wurden die Chancen und Herausforderungen der Reise in die Cloud diskutiert. Der Report sprach dazu auch mit den Österreich-GeschäftsführerInnen der drei Unternehmen, Christiane Noll, Michael Zettel und Dorothee Ritz. (VIDEO)
Das Kurzvideo zum Gespräch (Link)
War die IT früher reine Kostenstelle im laufenden Betrieb von Unternehmen, nimmt sie seit einigen Jahren eine fundamentale Rolle in Organisationen ein. »Immer mehr IT-Abteilungen gehen weg vom reinen Reagieren, hin zu einer aktiven Rolle als ›Enabler‹ für künftige Herausforderungen der Unternehmen«, beschreibt dies Tamara Tomanic, die den Cloud-Geschäftsbereich Azure bei Microsoft in Österreich verantwortet. Die IT muss mittlerweile auch für die Resilienz der Unternehmen herhalten – etwa wie schnell in einer Krise Arbeitsplätze auch zuhause aufgesetzt werden können.
Ein aktuelles Beispiel liefert Tomanic mit der Microsoft-eigenen Kommunikationsplattform »Teams«, das im Paket von Microsoft 365 als »Software as a Service« verfügbar ist. In der Pandemie stiegen die Nutzerzahlen von weltweit 32 Millionen Kunden Anfang März auf bereits 75 Millionen Ende April und 150 Millionen Ende Oktober. Wie ist ein solches Wachstum innerhalb von wenigen Monaten technisch umsetzbar? Die Antwort lautet: Skalierung. »Mit jahrelangen Investitionen in Forschung und Entwicklung, in Optimierungen und Standardisierung kann Microsoft modernste Rechenleistungen und Anwendungen zu Verfügung stellen. Das ist unser Kerngeschäft«, betont die Cloud-Expertin. Doch: »Die Cloud ist kein Ort, sondern ein Vehikel, um Geschäftsziele zu erreichen.« Auch Österreich hat es vor kurzem auf die Weltkarte der Azure-Cloud-Rechenzentren geschafft und kommt bald zu den 64 Regionen des Hyperscalers hinzu. Warum gerade Österreich? Bei Microsoft kommen in der Gewichtung der Standortwahl der Rechenzentren 35 Faktoren zu tragen, verrät Tomanic. Nachhaltigkeit ist einer davon. Bis 2030 will der Konzern CO2-negativ sein, bis 2050 will man sämtliche historische Emissionen kompensiert haben. Österreich habe sich klar zur Klimaneutralität bekannt und mit einer Digitalministerin im Wirtschaftsbereich sei auch das politische Umfeld passend.
Nicht nur Startups und der Mittelstand setzen auf die Cloud, sondern auch große, international tätige Unternehmen. Sie nutzen Cloud-Services zur Optimierung ihrer IT und bieten darüber hinaus ihren Endkunden neue Services an. Die Cloud ist damit ein Thema für alle Geschäftsbereiche geworden, über die IT-Abteilung hinaus. Tomanic empfiehlt für das Prüfen und die Konzeption von Projekten ein »Cloud Adaption Framework« von Microsoft. Es ist öffentlich einsehbar und deckt inhaltlich alle Schritte einer Cloud-Reise ab – von den Zielsetzungen angefangen, bis zum Ressourceneinsatz im laufenden Betrieb.
»80 % der IT-Entscheider sagen, dass eine fehlende Modernisierung mit Cloud-Services einen negativen Einfluss aufs Unternehmenswachstum haben wird. 60 % finden, dass konventionelle IT-Systeme die wachsenden Anforderungen der unterschiedlichen Geschäftsbereiche nicht erfüllen können«, zitiert Robert Laube, Infrastructure & Modern Applications Lead bei Avanade DACH, aus einer aktuellen Studie. Nur 33 % der IT-Umgebungen in Unternehmen sind heute vollständig auf dem Stand der Technik. Mit der Nutzung der höheren Serviceebene der »Plattform as a Cloud« könne die Dauer von Entwicklungs- und Software-Testing zu 63 % reduziert werden.
»Die Cloud kann definitiv zu einem Kosteneinsparungsmodell werden – wenn man es richtig macht. Doch ein Datacenter eins zu eins nach Azure zu migrieren oder in eine andere Cloud zu übertragen, ist der falsche Weg«, warnt Laube. In einem ersten Schritt sollten Unternehmen transparent darstellen, wie ihre IT prinzipiell auch hinsichtlich Auslastung und Leistungsspitzen aufgestellt ist. Dann sollte ein Tool für das Monitoring der Nutzung und Kosten der Cloud-Services eingesetzt werden – es sollte Bestandteil jedes Projekts sein, um Leerläufe und unnötige Kosten zu reduzieren.
Und die Cloud ist meist auch nicht automatisch sicherer: Die Mehrheit von Datenlücken und Sicherheitsproblemen überall – zuhause beim Router für den Internetzugang bis zur Administration der Cloud-Infrastruktur – lässt sich auf fehler- und lückenhafte Konfiguration zurückführen. »Cloud-Services sind ebenso wie Applikation am eigenen Firmenserver so sicher, wie diese eingestellt werden«, betont er. Die Cloud sei zudem auch nicht automatisch ein Beschleuniger für den DevOps-Bereich, wenn Prozesse in der Organisation nicht flink genug aufgestellt sind. »Wenn interne Genehmigungsprozesse für einen neuen Service Wochen brauchen, wird ihnen auch die Flexibilität der Cloud nicht helfen.«
Prinzipiell aber würden Cloudumgebungen die Migration von fixen Capex- zu flexibleren Opex-Kosten verstärken. Und Cloud-Plattformen wie Microsoft Azure sind heute bereits CO2-neutral gestaltet. Mit einem »Sustainability Calculator« können in Projekten die positiven Auswirkungen auf Energieverbrauch und Klima ausgerechnet werden. »Dabei geht es auch um Hardwareeffizienz, wenn Überkapazitäten reduziert werden und so der gesamte Lebenszyklus von der Herstellung von Hardware bis zur Entsorgung verbessert wird«, ergänzt Laube.
Und nicht zuletzt ist die Cloud auch ein Treiber für Innovation, wie Dorothee Ritz, Michael Zettel und Christiane Noll, die drei GeschäftsführerInnen von Microsoft, Accenture und Avanade, in einem Hintergrundgespräch mit dem Report betonen:
Report: Microsoft hat angekündigt, eine Milliarde Euro in den Standort Österreich mit einem eigenen Datacenter zu investieren. Was wird dazu in den nächsten Jahren unternommen?
Dorothee Ritz, Microsoft: Microsoft investiert jedes Jahr Milliarden in den Ausbau einer globalen, skalierbaren Cloud- und Rechenzentrumsinfrastruktur. Jeder unserer Standorte bedeutet in der Tat mehrere hundert Millionen Dollar Investition. Darüber hinaus finanzieren wir laufend in Innovation und in Bildung. Die Investition in Österreich ist die größte Einzelinvestition von Microsoft seit den letzten dreißig Jahren, was mich auch stolz macht. Dabei geht es nicht nur um den Aufbau von Infrastruktur, sondern auch um den Aufbau von IT-Kompetenzen bei unseren Kunden und unseren Partnern, damit diese die technischen Innovationen bestmöglich anwenden können. In Summe sprechen wir von einer gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung von sogar mehr als zwei Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren. Rund 29.000 Arbeitsplätze, darunter sind auch 6.500 geschulte und zertifizierte IT-Facharbeitskräfte, sollen entstehen.
Eine Rechenzentrumsregion besteht bei Microsoft aus Sicherheitsgründen immer aus mehreren Standorten, die sich im Osten Österreichs befinden werden. Die genauen Standorte geben wir dazu noch nicht bekannt. Der Ausbau wird aber auch davon abhängen, was die österreichischen Unternehmen tatsächlich brauchen.
Bild: Dorothee Ritz, Microsoft: »Wir haben in den letzten Monaten viel gelernt und sollten uns auf neue Möglichkeiten für datenbasierte und intelligente Unternehmen einlassen. Wenn uns das gelingt, werden wir gut aus der Krise kommen.«
Report: Warum erweitern Unternehmen überhaupt ihre IT-Infrastruktur mit Cloud-Services?
Dorothee Ritz: Wir haben in der Corona-Phase seit März gesehen, dass Cloud-Services für viele Unternehmen bereits überlebenswichtig waren. Das Arbeiten von zuhause aus und Distance Learning unserer SchülerInnen und StudentenInnen ist nur mit Cloud-Services möglich. Unternehmen haben gelernt, ihre Vertriebsprozesse online aufzustellen, online das Onboarding von Mitarbeitern im HR-Bereich zu steuern, sowie online auch in der Erwachsenenweiterbildung zu lernen und zu lehren. Sie glauben gar nicht, wie viele dankbare Kunden bei mir angerufen hatten – in dieser Menge war das für mich ungewohnt (lacht).
Je länger wir die Lockdown-Phasen haben, desto stärker sind auch wir gefordert, reibungslose Abläufe in der Wirtschaft und im Bildungsbereich zu gewährleisten. Auch die Jahre davor haben Cloud-Services mit ihrer Flexibilität bei Unternehmen gepunktet. Ich kann damit schnell reagieren und auch zehntausende Mitarbeiter von heute auf morgen ins Homeoffice schicken. Diese Flexibilität macht Unternehmen auch resilient. Ein Weg aus der Krise kann auch mit intelligenten Datenanwendungen gefunden werden. Diese helfen bei der Optimierung von Prozessen, mit Predictive Maintenance etwa auch bei der Maschinenwartung – mit ihnen werden die Geschäftsmodelle der Zukunft geschaffen. Dann ist die Infrastruktur von Microsoft sehr sicher – wir investieren jährlich über eine Milliarde allein in die Sicherheit und haben 3.500 Sicherheitsexperten weltweit tätig. Nicht zuletzt ist für viele Kunden auch der Faktor Nachhaltigkeit ein Argument: Wir können an unseren Datencenter-Standorten im Vergleich zu herkömmlichen Rechenzentren um bis zu 90 % effizienter und nachhaltiger wirtschaften.
Report: Welchen Hebel haben Cloud-Services für die Wirtschaft und Gesellschaft in der Pandemie bedeutet?
Michael Zettel, Accenture: Ohne Cloud-Services wären wir in der Pandemie richtig aufgeschmissen gewesen – auch wenn viele Unternehmen sie relativ oberflächlich, zur Kommunikation und Kollaboration, genutzt haben. Das ist vielleicht ein Tausendstel der Funktionalitäten, die Cloud-Plattformen heute Unternehmen bieten.
Es gibt zwei Faktoren, warum Unternehmen in die Cloud gehen: erstens Geschwindigkeit und zweitens Skalierbarkeit. Wenn ein Produktionsunternehmen früher ein halbes Jahr gebraucht hat, um sich auf eine geänderte Nachfrage einzustellen, war das ganz normal. Man hatte dadurch keinen signifikanten Wettbewerbsnachteil. Kann sich heute ein Unternehmen auf geänderte Rahmenbedingungen nicht innerhalb von wenigen Wochen – noch besser wenigen Tagen – einstellen, dann entsteht ein dramatischer Nachteil am Markt. Das gilt in allen Wirtschaftsbereichen, in denen die Cloud unerlässlich geworden ist.
Zudem deckt mir eine Cloud-Lösung die Leistungsspitzen in meiner IT ab, die ich vielleicht nur wenige Male im Jahr haben. Die eigene Infrastruktur für alle erdenklichen Szenarien auf Vorrat zu bauen und zu halten, ist einfach nicht wirtschaftlich. Mit der Cloud kann ein plötzlich explodierender Geschäftszweig im Unternehmen prozesstechnisch unterstützt werden. Das haben auch die Krisentage anfangs wunderbar gezeigt: die Anwendung von Microsoft Teams ist im März sprunghaft gestiegen, aber mit kaum nennenswerten Auswirkungen auf die Servicequalität. Denn in den Cloud-Rechenzentren wurden einfach Kapazitäten hinzugefügt.
Bild: Michael Zettel, Accenture: »Wer das Cloud-Rennen gewinnt, der wird auch in seinem Markt am erfolgreichsten sein.«
Report: Wie bewerten Sie europäische und regionale Initiativen wie Gaia-X und Ö-Cloud?
Michael Zettel: Grundsätzlich sind diese Bestrebungen positiv zu bewerten, doch man muss schon festhalten: Europa hat das Rennen um die Cloud-Plattformen verloren. Es ist völlig illusorisch, dass wir in Europa den langjährigen Marktaufbau der Hyperscaler kopieren und aufholen könnten. Die drei großen Cloudanbieter Microsoft, AWS und Google investieren monatlich jeweils eine Milliarde Dollar in ihre Infrastrukturen. Andererseits verlässt uns das Thema Daten nicht und gerade Datensouveränität hat für Europäer eine große Bedeutung. Gaia-X geht dazu sicherlich in die richtige Richtung. Wir müssen Wege und Mittel finden, Daten vor Zugriffen von Dritten geschützt sicher zu verwahren – das muss dann auch nicht immer in einer Public Cloud sein.
Report: Welche Rolle werden hier die Hyperscaler einnehmen?
Michael Zettel: Eine wesentliche – man sieht an Microsoft in Österreich, wie ernst die Hyperscaler die Themen Cloud und nationale Datensouveränität nehmen. Andernfalls würden sie nicht so intensiv hier investieren.
Dorothee Ritz: Microsoft ist stolz, Gaia-X auch als Mitglied zu unterstützten – die Initiative hat sich jetzt auch amerikanischen Unternehmen geöffnet. Mit innovativen Lösungen aus aller Welt werden so lokale Lösungen geschaffen werden können. Wir leben seit jeher grundlegend die Prinzipien der Datensouveränität: Unseren Kunden gehören die Daten, sie kontrollieren vollkommen den Zugriff und die Verwendung ihrer Daten.
Christiane Noll, Avanade: Ich sehe das nicht als Entweder-oder-Frage, sondern als wichtigen Schritt, um einen Standard für Services und den Datenzugriff zu schaffen. Dies zu vereinheitlichen und transparent zu vereinfachen – auch hinsichtlich Zugangsregelungen und Sicherheit – ist ein Wunsch, der bei Unternehmen immer wieder aufkommt.
Report: Welche Herausforderungen kommen auf die Unternehmen in zunehmend komplexen Umgebungen zu – Stichwort Multicloud?
Christiane Noll: Um Multicloud-Umgebungen überhaupt bewerkstelligen zu können, braucht es ganz klare Strategievorhaben, Betriebsmodelle und Governance. Hier sollte man auch nicht überhastet neue Lösungen einsetzen, sondern immer einen Schritt weiterdenken. Dieser Schritt ist ganz schwer zu bewerkstelligen, wenn man sich gleich in unterschiedlichste Cloudumgebungen begibt und damit gleich mit Multicloud-Szenarien beginnt. Unternehmen sind hier schnell auch einmal überfordert. Jene, die sich bereits länger damit beschäftigen, haben hier einen klaren Vorteil. Sie haben bereits Know-how aufgebaut und wissen, auf welche Themen sie sich einlassen können. Ich rate, zunächst erste Erfahrungen anhand klar definierter Use-Cases in einer Cloud Umgebung zu machen, bevor man diese Reise gleich in parallelen Welten antritt.
Bild: Christiane Noll, Avanade: »Bei der Cloud geht es klar um Geschwindigkeit und Skalierbarkeit – und das ohne große Einstiegsinvestitionen.«
Report: Zunehmend wird auch über die Datenverarbeitung am »Edge« diskutiert. Was ist darunter zu verstehen und warum wird es ein Faktor auch für Cloud-Infrastrukturen sein?
Christiane Noll: Es ist in einer der wichtigsten Trends beim Computing der Zukunft, dass Rechnerintelligenz direkt vor Ort für möglichst kurze Verarbeitungswege stattfinden wird. Die Analyse von Echtzeitdaten näher an den Punkt der Erzeugung zu bringen – eben am Netzwerkrand oder »Edge« – ist effizienter und ermöglicht dadurch auch wesentlich mehr Erkenntnisse. Was ich spannend finde: Microsoft hat am Tag der Ankündigung der österreichischen Rechenzentrumsregion auch »Azure Space« vorgestellt. Damit eröffnen sich Möglichkeiten einer schnellen und sicheren Satellitenvernetzung überall auf der Welt in Kombination mit einem eigenständigen Rechenzentrum für unterschiedlichen Szenarien in hybriden oder auch herausfordernden Umgebungen.
Report: Wie sieht ein Beispiel von Daten oder Anwendungen on-premises oder in einem lokalen Rechenzentrum aus, die mit Daten oder Anwendungen aus einer Public Cloud verknüpft respektive angereichert werden?
Michael Zettel: An einem fiktivem Beispiel aus der Verwaltung illustriert: Es gibt auf jedem Bürgerportal, wie zum Beispiel oesterreich.gv.at, viele Inhalte, die ohnehin öffentlich zugänglich und wo keine personenbezogenen Daten enthalten sind. Das Portal mit seinen Inhalten kann daher bedenkenlos in der Public Cloud liegen. Dahinter liegende Anwendungen – wie zum Beispiel FinanzOnline – die sensible und hochpersönliche Daten enthalten – liegen dann weiter sicher im Backend im Bundesrechenzentrum und haben natürlich nichts in einer Public Cloud verloren.
Österreich war in den vergangenen Jahren bei der Nutzung von Cloud-Services im internationalen Vergleich durchaus zurückhaltend. Durch die Krise haben nun viele verstanden, wie wichtig die Cloud für das Bestehen der Unternehmen ist. Daher auch ein Aufruf an die CEOs: Gehen Sie rasch den Weg in die Cloud an. Bringen Sie einen großen Teil ihrer Services und nicht-geheimen Daten auf diesen Weg. Der Geschwindigkeitsvorteil und die Möglichkeiten der Skalierung bedeuten einen dramatischen Wettbewerbsvorteil. Wer das Cloud-Rennen gewinnt, der wird auch in seinem Markt am erfolgreichsten sein.
Tipp: Cloud Adaption Framework
http://docs.microsoft.com/en-us/azure/cloud-adoption-framework