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Digitalisierung auf den Boden gebracht

Branchentreffen auf der Donauplatte. Newcon hostete die Diskussion im Saturn Tower nahe der UNO City in Wien. Branchentreffen auf der Donauplatte. Newcon hostete die Diskussion im Saturn Tower nahe der UNO City in Wien. Foto: Report Verlag/Milena Krobath

Die aktive Mitgestaltung des Wandels der Wirtschaft ist längst zu einer Überlebensfrage geworden. Top-Manager diskutieren zu den Herausforderungen bei Digitalisierungsstrategien. Wie sehen Erfolgsbeispiele in der Telekommunikation und anderen Branchen aus?

In einer international besetzten Runde diskutierten am 3. März im Büro von ­Newcon in Wien Manager aus der IKT-Branche mit Technologielieferanten und Serviceanbietern zu den Gestaltungsmöglichkeiten in der Digitalisierung. Unter der Leitung von Martin Szelgrad, Telekom & IT Report, am runden Tisch: Elmar Grasser, CTIO Sunrise; Martin Resel,  CCO Enterprise bei A1; Andreas Reich aus dem Bereich M2M der Deutschen Telekom AG; Werner Kraus, Senior Vice President T-Mobile; Wolfgang Platz, Gründer und Chief Product Officer bei Tricentis; Klaus Lechner, Vorstand der adviqo AG, sowie Gastgeber Newcon-CEO Gerald Haidl.

Report: Wie können Digitalisierungsprojekte auf den Boden gebracht werden? Was ist hier aus Ihrer Sicht zu beachten?

Elmar Grasser, Sunrise: Wichtig ist bei einem Projekt, klar zu wissen, welche Ziele man verfolgt. Was möchte man für die Kunden erreichen? Was will man zugleich für das eigene Unternehmen bewirken?

Die Digitalisierung bedeutet auch Effizienzsteigerungen für die Unternehmen. Das ist besonders in einem Umfeld wie der Telekommunikationsbranche relevant, wo die Umsätze ja nicht in den Himmel wachsen. Essenziell ist es, den Zugang für die Konsumenten so zu gestalten, dass sie Produkte einfach erwerben und nutzen können. Wenn man beides gut schafft, dann ist man in der richtigen Richtung unterwegs – und hat rundum glückliche Kunden.


Elmar Grasser, CTIO ­Sunrise (CH), ist nach Stationen bei tele.ring, E-Plus und Orange seit 2013 bei der größten privaten Telekommunikationsanbieterin der Schweiz tätig. Sunrise Communications deckt alle Bereiche der Telekommunikation ab: Mobile, Festnetz, Internet und Digital-TV.



Report: Was wäre ein Beispiel dafür?

Elmar Grasser: Etwa ein Produkt online schnell zu finden und einfach kaufen zu können. Dazu gehört auch die transparente Darstellung von allen Leistungen, die eingekauft werden: Kostenfaktoren wie in unserem Fall als Telekommunikationsanbieter der Verbrauch von Minuten, Daten oder zusätzliche Servicepakete. Ein Produkt muss sofort nach einer Buchung verfügbar sein, alle Kosten müssen transparent und verständlich aufbereitet werden. Die Branche hat da schon große Fortschritte gemacht, etwa mit der sogenannten »Bill Shock Prevention«. Ich erinnere mich: Als Orange den »Schutzengel« zur Kostenbegrenzung bei drohendem Überschreiten von Sprach- oder Datenkontingenten eingeführt hatte, gingen schlagartig die Kundenbeschwerden beim Regulator zurück. Die Branche muss solche automatisierten Services und Prozesse weitertreiben.


Report: Haben die Telcos Angst, von branchenfremden Serviceanbietern – Stichwort Over-the-top-player (OTT) – in ihrem Kerngeschäft überholt zu werden?

Elmar Grasser: Ich glaube nicht, dass es Angst ist. Aber man sieht schon, dass die Unternehmen der Telekommunikationsbranche nicht immer die Schnellsten in Fragen der Digitalisierung sind. Dieser Branche ergeht es wie allen anderen auch: Wir müssen Gas geben.


Report: Herr Resel, wird es A1 in fünf bis zehn Jahren noch in dieser Form geben und werden Unternehmen wie Amazon ebenfalls Providerdienste anbieten?

Martin Resel, A1:
Die Provider, wie sie heute agieren, wird es in dieser Form in zehn Jahren sicherlich nicht mehr geben. Digitalisierung ist der Hebel für Disruption, man sieht dies bereits in vielen Bereichen. Die Taxibranche verändert sich und der Hotellerie ist durch Unternehmen wie Airbnb neue Konkurrenz entstanden. Produkte werden als Service konsumiert, etwa per Car-Sharing, das auch die Automobilindustrie auf Dauer verändern wird. Ich glaube auch, dass Top-Player aus anderen Branchen mitunter Dienste der Telekommunikationsanbieter übernehmen können. Es gibt keinen Grund, warum Amazon nicht neben dem Vertrieb von Büchern und elektronischen Geräten auch Mobilfunktarife anbieten kann. Hier sehen wir unsere Aufgabe, A1 zu einem »Smart Operator« zu transformieren. Das bedeutet im Consumergeschäft, nicht nur Einzelgeräte wie einen Router ins Haus zu liefern, sondern wirklich alle Dinge des Haushalts über eine Plattform zu einem Smart Home zu vernetzen.

A1 hat im Enterprise-Segment rund 17.000 Kunden in Österreich. Wir ermöglichen den Kunden, ihre Geschäftsprozesse zu transformieren. Ich sehe das Thema Digitalisierung positiv, da die IT- und Telekommunikationsbranche die Disruption überhaupt möglich macht. Wir bieten die Datenautobahn, um auch das Wasserglas, das künftig selbstständig nach einer Füllung ruft, zu vernetzen.


Martin Resel, Chief Customer Officer Enterprise A1, ist seit 2016 in der Geschäftsleitung für das gesamte Enterprise-Segment verantwortlich. Seine Agenda: Geschäftskunden bei der digitalen Transformation zu begleiten. A1 designt, implementiert und betreibt Lösungen im Bereich ICT und Telekommunikation.



Report: Was ist ein Hemmschuh für die Digitalisierung?

Martin Resel: Für all diese Veränderungen sind Mitarbeiter mit neuen Skills notwendig. So schnell heute technische Veränderungen geschehen, so schnell bekommen die Unternehmen aber nicht alle passenden Mitarbeiter. Es geht aber auch anders: Teams können durch Kooperationen mit Fachhochschulen, Universitäten und auch Startups gebildet werden.


Report: Sie sprechen das Problem großer Unternehmen an, die in ihren Strukturen nicht so agil und wendig wie Kleine sein können – und damit hinterherhinken.

Martin Resel: Nun, einem Startup fehlen wiederum die Ressourcen und der breite Kundenzugang. Alle, die hier am Tisch sitzen, vernetzen die Wirtschaft und Gesellschaft. Schnell zu sein, und jetzt – und nicht in zehn Jahren – den Markt mitzugestalten und zu treiben, ist gefordert. Früher hatte ein Innovationsprojekt durchschnittlich fünf Jahre Laufzeit bei einer Investition von 20 Millionen Euro. Die meisten unserer Projekte heute werden im Sprint-Verfahren finanziert. Nach den ersten drei Monaten müssen die Ergebnisse vorliegen. Viele unserer Projekte werden mit Beteiligung von innovativen Startups gestaltet.


Report: Wie schaffen aus Ihrer Sicht Konzerne den Wandel in die neue Industrie, Herr Reich?


Andreas Reich, Deutsche Telekom: Ein großer Tanker kann seinen Kurs nicht kurzfristig ändern. Auch eine Telekom Deutschland hat alle Assets im Haus und bietet die Grundlage für die Digitalisierung in allen Bereichen. Trotzdem hat es die Telekommunikationsindustrie lange nicht geschafft, ihre Marktposition gegenüber Google und Facebook zu stärken. Natürlich träumt jedes Unternehmen, eine Marktdurchdringung mit einer Milliarde Kunden über alle Landesgrenzen hinweg zu haben. Doch gelingt es unserer Branche nicht, glaube ich, immer den tatsächlichen Bedarf des Kunden zu sehen. Das Ziel sollte für uns schon sein, nicht eine Millionen iPhones zu verkaufen und ständig neue Tarife zu bringen, sondern auch zu wissen, was die Kunden tatsächlich am Smartphone nutzen. Aus diesem Wissen lassen sich dann Services gestalten.


Andreas Reich, Deutsche Telekom AG, Group ­Innovation M2M Unit (D), ist seit 2007 im Konzern tätig. Sein Team deckt mit M2M-Lösungen die gesamte Wertschöpfungskette des industriellen Internets ab – von der Konnektivität bis hin zu Plattformen wie der »Cloud der Dinge«.


Report: Wo kann ein Telco nun neues Geschäft generieren?

Andreas Reich:
Das ist nicht so einfach, da die Unternehmen bislang auf den Vertrieb von SIM-Karten fokussiert waren. Lösungen für das Internet of Things gehen nun einmal nicht so schnell über den Ladentisch. Da sind viele Vorlaufzeiten und die Auseinandersetzung mit dem Bedarf des Kunden nötig – sofern der Kunden diesen Bedarf überhaupt selbst kennt.

Wenn wir alle die neuen Geschäftsmöglichkeiten hernehmen: Eine Parklösung versteht man schnell. Es ist ein Thema, das jeder gut kennt. Entweder ist eine Parklücke vorhanden oder eben nicht. Bei Lösungen im Manufacturing ist das schon wieder anders. Das steht beispielsweise eine Maschine in Kuala Lumpur und ein Servicetechniker muss aus Deutschland erst einmal hinfliegen, um zu erkennen, dass ein Stecker nicht richtig eingesteckt ist. Hier muss gemeinsam mit dem Kunden eine Lösung erst entwickelt werden. Man wird nicht jedem Kunden etwas Individuelles anbieten können, aber sehr wohl Lösungen, die für den einzelnen Bedarf adaptierbar sind.


Report: Wie können Ressourcen geschaffen werden und auch die Mitarbeiter zum Wandel motiviert werden?

Andreas Reich:
Man wird nicht alle Mitarbeiter eines Unternehmens in diese neuen Ausrichtungen mitnehmen können. Sehr wohl können in Organisationen kleine innovative Bereiche mit schlagkräftigen Teams geschaffen werden. Diese Bereiche könnten vielleicht auch von den Prozessen und Denkweisen des großen Tankers isoliert werden, um ein bestimmtes Thema eine Zeitlang und mit einer gewissen Finanzierung zu entwickeln. Wenn man es richtig macht, dann werden diese Teile im Unternehmen irgendwann so prominent, dass sie andere Bereiche und Mitarbeiter mitziehen.


Report: Wie verändert die Digitalisierung Kundenprozesse und das Kundenerlebnis bei T-Mobile?

Werner Kraus, T-Mobile:
Für die Konsumenten von heute muss alles sehr schnell gehen und sie wollen alles auf einen Klick bekommen. Damit ist die Effizienz unserer Kundeninteraktion ständig auf dem Prüfstand. Die Telco-Industrie ist hier insgesamt bestrebt, diese Prozesse zu verbessern. So ergänzt auf der Website von T-Mobile der Chatbot Tinka unseren Kundenservice. Tinka kann textbasiert auf die Eingaben der Kunden antworten und bei allgemeinen Fragen sehr gut helfen. Sie wird in der nächsten Zeit mit weiterer künstlichen Intelligenz ausgestattet werden. Ein anderes Beispiel ist der kanalübergreifende Omnichannel-Ansatz im Verkauf, der Onlineshop und Geschäftslokal nahtlos verbindet.

Für Geschäftskunden müssen wir das Ökosystem aktiv mitgestalten, damit es einen Nutzen für Unternehmen bringt. Wir sehen uns einerseits als »Enabler« durch Connectivity-as-a-Service, das heißt, wir ermöglichen nicht nur einfach eine Datenverbindung für einen Kunden, sondern liefern diese als sicheres und verlässliches Service. Bei der Machine-to-machine-Kommunikation (M2M) geht es ebenfalls nicht darum, SIM-Karten zu verteilen, sondern die einfache Verwaltung der Vernetzung von Geräten inklusive der nötigen Sicherheitsfeatures, des SIM-Karten Managements und der Datenauswertungen zu ermöglichen. Andererseits ist für unseren Erfolg ist auch unser Partnernetzwerk entscheidend. T-Mobile tritt hier als Generalunternehmer für Gesamtlösungen auf, wir haben die nötige Skalierung, Finanzierung und Lösungskompetenz, zur der das spezifischen Know-how unserer Partner ganz wesentlich beiträgt, beispielsweise bei Flottenmanagement oder Sensortechnik.


Werner Kraus, Senior Vice President T-Mobile Austria, ist seit 1. April 2016 Bereichsleiter Business & Wholesale. Er ist für die Strategie, die Planung und die Ergebnisse der Bereiche Geschäftskunden und Wholesale bei dem Mobilfunker zuständig.


Report: Wie sehr sind österreichische Unternehmen dem Ganzen aufgeschlossen? Was sind Ihre Erfahrungen?

Werner Kraus:
Eine unserer Studien zum Thema Digitalisierung zeigt, dass sich 70 % der Unternehmen immer noch abwartend verhalten und sagen: »Schauen wir uns das erst einmal an.« Auch wenn sich Firmen bereits gezielt mit Chancen und Möglichkeiten beschäftigen, nehmen sie eine sehr konservative Haltung ein. Weitere 20 % testen bereits Digitalisierungslösungen, auch mit mobilen Arbeitsplätzen. Dann gibt es 10 %, die bereits eine konkrete Strategie haben. Sie haben einen Plan, welche Maßnahmen und Veränderungen zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt werden sollten.

Sicherlich ist vieles, was heute als Digitalisierungsagenda verkauft wird, vornehmlich ein in PowerPoint gegossenes Werk von Beratern, das möglicherweise nur in einer Schublade landet. Wirklich führend in der Digitalisierung – das erlebe ich bei persönlichen Gesprächen – sind vor allem jene KMU, deren Geschäftsführung sich das Thema selbst zur persönlichen Agenda gemacht hat. Die brauchen keine Präsentationsfolien, sondern leben das täglich.


Report: Ein KMU tut sich da allein aufgrund seiner Größe leichter als ein Großunternehmen ...

Werner Kraus:
Ja, aber sie brauchen dann schon einen Partner, der ihnen hilft, die Ingredienzen der Digitalisierung zu erhalten. Ein IT-Leiter in diesen Unternehmen muss sich meistens mit dem laufenden Betrieb beschäftigen. Telekommunikationsunternehmen können hier auch mit ihren Partnern gut unterstützen.


Wolfgang Platz, Tricentis: Viele Unternehmen haben eine digitale Agenda. Was dann davon tatsächlich umgesetzt wird, ist aber eine andere Frage.

Wir alle haben uns mit der Digitalisierung eigentlich eine Demokratisierung des Marktes erwartet. Die wird aber nicht eintreten. In der IT ist es in der Regel so, dass der Schnellste disproportional hoch die Ressourcen akkumuliert. In einem traditionellen Wirtschaftsbereich wie der Autoindustrie haben die Marktführer Anteile von 10 bis 20 % eines Marktes. In rein digitalen Segmenten hat ein dominierendes Unternehmen oft mehr als 60 % Marktanteil. Damit werden mit der Digitalisierung Marktverhältnisse massiv umgestoßen.

Das Positive ist, dass die Zugänglichkeit von Technik wesentlich vereinfacht wird, Produkte personalisiert werden und mit Datenanalysen auch immer mehr Nutzen für die Anwender generiert wird. Mich wundert es ja nur, dass wir Technologien wie NFC am Smartphone noch nicht voll ausnützen. Bezahlprozesse könnten damit einfacher abgewickelt werden.


Wolfgang Platz, Chief Product Officer Tricentis, gründete 2007 den Technologieführer für Enterprise-Software-Testing-Lösungen und baut Produkten mit hohem Automatisierungsgrad. Seine Agenda: die Entwicklung des Testing-Bereichs zur industrialisierten IT-Disziplin.


Report: Bedarf die Digitalisierung einer veränderten Unternehmenskultur?

Wolfgang Platz: Die Größe eines Unternehmens wird viel zu oft als Ausrede benutzt, sich nicht in der nötigen Geschwindigkeit zu verändern. Tatsächlich ist sie ein Vorteil gegenüber Startups, die mangels stabiler Finanzierung oft an zwei von fünf Tagen am Totalverlust vorbeischrammen. Natürlich ist es von Vorteil, wenn kleinteiligere, innovationsfreundliche Strukturen auch in etablierten Unternehmensorganisationen geschaffen werden. Aber: Von der Digitalisierungskultur muss das gesamte Unternehmen erfasst werden, nicht nur die IT-Abteilung oder einzelne Fachbereiche. Wenn man es nicht schafft, eine kulturelle Durchdringung durchzusetzen, wird eine Digitalisierungsstrategie immer nur künstlich aufgesetzt wirken.


Report: Was ist die Spezialität Ihres Unternehmens in Sachen Digitalisierung?

Wolfgang Platz:
Tricentis hilft weltweit Unternehmen bei der Verkürzung von Entwicklungszyklen durch die Optimierung von Softwaretests. Hier sehen wir insbesondere bei der Automatisierung von Tests noch ein Riesenpotenzial. In Unternehmen werden immer noch gut 90 % der Softwaretests manuell durchgeführt, mitunter von unqualifizierten Arbeitskräften und mit halbherzigen Umsetzungen. Hier gibt es noch Raum für Verbesserungen. Das betrifft nicht »Unicorns« wie Face­book und Google, die ihre Softwareentwicklung im großen Stil und sehr professionell aufgebaut haben und auch stark auf Eigenentwicklungen setzen. 4.950 der Forbes-5000-Unternehmen sind aber große Firmen, die keine Unicorns sind. Um wettbewerbsfähig bleiben zu können, werden sie sich bis zu einem gewissen Grad aber noch zu solchen wandeln müssen.


Report: Herr Lechner, Sie meinen: Was wir digitalisieren, wird zwangsläufig auch zu einer Ausweitung der Internationalisierung führen. Welche Chancen sehen Sie hier?

Klaus Lechner, adviqo:
Wir merken an unserem eigenen Geschäft, dass sich mit der Digitalisierung neue Märkte und Zielgruppen bilden, die den bisherigen Definitionen nicht mehr standhalten. Hier haben Telekommunikationsunternehmen schon einen gewissen Nachteil, da sie ja geo­grafisch gebunden sind. Digitalisierung ist der schnelle Weg, ein Geschäftsmodell zum Erfolg zu führen. Das Problem dabei: Diese Disruption ist nicht steuerbar.

adviqo bietet mit mehreren Marken im TV und Internet »spirituelle« Beratung an – unser Geschäftsmodell funktioniert  gut. Wir haben unsere Plattform für die Vermittlung von Beratern und Ratsuchenden gebaut und können darauf profitabel Geschäftsprozesse abbilden. Wir sind mit unseren Kunden auch immer sehr fair umgegangen. Anders als die Telekommunikationsindustrie haben wir von Anfang an nicht auf Knebelverträge, sondern auf die kleinteilige Bezahlung von Diensten gesetzt. Wenn ein Kunde die Telefonnummer seines ausgesuchten Beraters wählt, beginnt sein Vertrag. Wenn er auflegt, ist der Vertrag zu Ende. Es wird sofort abgerechnet, am nächsten Banktag ist der Fall erledigt.

Dass Micropayment in dieser Weise funktioniert, hatte sich zu unserer Gründungszeit niemand vorstellen können. Heute sind wir mit 270 Mitarbeitern und mit rund drei Millionen Registrierungen weltweit Marktführer. Unsere aktiven Kunden machen bis zu 130 Euro »Average Revenue per User (ARPU)« und wir gehen davon aus, damit das erfolgreichste Unternehmen in unserem Bereich zu sein.


Klaus Lechner, Vorstand adviqo (D), baute tele.ring auf und durchlief Stationen bei der Deutschen Telekom, British Telecom und Navigon. adviqo AG ist ein weltweit tätiger Betreiber von Plattformen für alternative Lebensberatung.


Report: Sie werden mit Ihren Dienstleistungen wohl gezielt Kundensegmente ansprechen – welche Herausforderung sehen Sie hier in puncto »Digital Divide«?

Klaus Lechner:
adviqo hatte ursprünglich mit Analog-TV und einem klassischen Callcenter begonnen. Wir haben 80 % Frauen als Kundinnen, die meisten sind zwischen 45 und 55 Jahre alt. Für das Erreichen jüngerer Zielgruppen und Konsumenten in anderen Ländern haben wir uns dann mit der Digitalisierung befasst und über ein Inkubationsprojekt ein internationales Team aufgebaut. Aus dieser Arbeit ist dann auch unsere App Fortunica entstanden, die den Fernsehkanal ersetzt. Die App ist in fünf Sprachen nutzbar, die Geografie spielt damit keine Rolle mehr. Wir verzichten auch auf Bots: Fragen werden von echten Menschen beantwortet. Trotzdem ist TV immer noch wichtig. Wir brauchen weiterhin beide Schienen.


Report: Wie funktioniert Ihr Inkubationsteam? Ist dies eine Firma in der Firma?

Klaus Lechner:
Nein, eine gesellschaftsrechtliche Trennung würde nichts bringen. Das Team agiert in der Organisation eigenständig und hat freie Hand, zu probieren und zu forschen. Da nimmt man vielleicht mit Beratern aus Peru eine neue Idee auf und testet den Erfolg in anderen Ländern. Das Team besteht aus vielen jungen Menschen. Das Wesentliche daran: Sie werden nicht von einem übergeordneten Management gesteuert.


Report: Ist Digitalisierung etwas Neues oder doch nur ein weiterer Evolutionsschritt?

Gerald Haidl, Newcon:
Die Digitalisierung ist grundsätzlich nichts Neues. Ich beschäftige mich seit Anfang der Neunziger mit diesem Thema. Mein erstes großes Projekt war bei der damaligen Österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung, der Vorgängerorganisation der Post und Telekom Austria AG. Um Projekte umzusetzen, hatte sich Generaldirektor Josef Sindelka stets die jüngsten Leute in der IT gesucht. Ich hatte damals das Glück, bei der Digitalisierung – der Begriff kam natürlich so nicht vor – des Festnetzes mitwirken zu können. Gegen Widerstände der Rechenzentrumsmannschaft, die um Arbeitsplätze fürchtete, wurde das Projekt umgesetzt. Und siehe da: Auch für die über 200 Datenerfasserinnen, die bislang Zählerstände abgelesen und ins System eingegeben hatten, konnten neue Aufgaben gefunden werden. Am Ende des Tages waren alle glücklich: Unternehmensleitung, Betriebsräte und die Kunden, die nun transparentere Monatsabrechnungen erhielten. 

All das hatte mit Veränderungen in der Unternehmensorganisation, mit Datenanalysen und Datenschutz zu tun. Es sind die gleichen Themen, die wir heute diskutieren. Auch die Smart Meter im Stromnetz werden Komfort und neue Transparenz in die Energiebranche bringen.


Gerald Haidl, CEO Newcon, ist ein »Digitalisierer« der ersten Stunde, verantwortete bereits bei Post & Telekom Austria den Bereich Softwareentwicklung. Nach Positionen bei Mannesmann, tele.ring, HP und Vodafone gründete er 2008 den IT- und Netzausrüster Newcon.


Report: Was bieten Sie dazu?

Gerald Haidl:
Newcon ist in der System­integration hauptsächlich für Kunden aus der Telekommunikation tätig. Ich leide sehr, wenn fixfertige Produkte, die das Geschäft der Telcos verbessern und erweitern können, aufgrund von unterschiedlichen Hürden im Vertrieb und Marketing nicht eingesetzt werden. Die OTTs arbeiten ganz anders und sind auch neuen Geschäftsmodellen gegenüber offener eingestellt.

Die Telcos könnten ja im Prinzip in einer Rolle eines Service-Brokers alles Mögliche abdecken und anbieten. Sie haben eine starke Kundenbasis, eigene Banklizenzen, sie können abrechnen, die Kunden authentifizieren und aus dem Wholesale-Geschäft neue Umsätze mit Partnern generieren – so wie es im Bereich M2M passiert. Meine Botschaft ist: Die Telcos brauchen die OTTs nicht. Sie können disruptive Geschäftsmodelle und Kundengewinnung mit neuen Services auch selbst aufsetzen. Die Telcos könnten dies über ihre Plattformen abwickeln, inklusive der Abrechnung. Ich frage mich, warum in den Neunzigerjahren teure Banklizenzen gekauft worden sind, wenn man diese nicht ausreichend nutzt. Ich setzte hier auch auf die nächste Telekommunikationstechnologie 5G. Sie wird das Ende der Regionalität von Telco-Services beschleunigen und die Internationalisierung vorantreiben.


Report: Soll die öffentliche Hand die Digitalisierung mitgestalten und steuern?

Gerald Haidl:
Investitionen in Öster­reich – Stichwort Breitbandmilliarde – sind notwendig und wichtig, aber bitte nicht wieder parallel in mehrere 5G-Netze. Die Westbahn hatte bei ihrem Start ja auch kein zweites Schienennetz zwischen Linz und Wien gelegt. Der Fokus sollte auf dem Bau von neuen Services liegen, IT-gestützt, automatisiert und überregional. Ich habe die Sorge, dass die Breitbandmilliarde wenig zielgerichtet eingesetzt wird und letztlich nur als regionalpolitisches Verteilinstrument für Leerverrohrungen und den Ausbau von Fahrradwegen verwendet wird.

Es gibt Lösungen, bei denen die gesammelten Herz-Rhythmus-Daten ausschließlich an den Arzt meines Vertrauens in einem abgesicherten, geschützten Bereich übermittelt werden. Jeder versteht die Effizienz solcher Lösungen, die Wartezeiten verkürzen, Termine einsparen lassen und die Kommunikation mit Fachärzten erleichtern. Warum dann so etwas nicht breit eingesetzt wird? Mir wurde bei einer Sozialversicherungsanstalt bestätigt, dass in dieser Branche bis zu 19 unterschiedliche Teilnehmer an den Prozessen eines EKG verdienen. Dies ist nur ein Beispiel für die Hürden in unserer Gesellschaft, von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren zu können.


Martin Resel, A1: Zum vermeintlichen Verschlafen von neuen Geschäftsmöglichkeiten kann ich entgegnen, dass wir über 150 Millionen Euro Umsatz in Telco-fernen Bereichen bei Unternehmen in Österreich generieren. In einem Sicherheitsprojekt zur Kriminalprävention mit der Stadt Villach vernetzen wir Kameras zur Überwachung von Parks inklusive Bildanalyse. Für künftige Services auch rund um Big Data investiert A1 derzeit 30 Millionen Euro in ein weiteres Datacenter im 21. Wiener Gemeindebezirk.

Bei der Service-Frage gebe ich Ihnen schon Recht. Früher war man auch bei uns der Meinung, jedes neue Service selbst bauen zu müssen. Die Digitalisierung heute bedeutet aber, Partnerschaften einzugehen. Eine Partnerschaft mit einem OTT, dessen Services über unsere Infrastruktur zu routen, ist da kein Widerspruch. Und schließlich zum Punkt fehlender Bezahllösungen: Wir haben neben unserem Paybox-Service seit mehreren Jahren fertige Payment-Modelle in der Schublade. Alleine die Akzeptanz, das Vertrauen der Konsumenten in eine Smart-Watch oder das Smartphone als Zahlungsmittel, war bislang nicht da.

Klaus Lechner: In Deutschland ist es das Gleiche: Payment-Lösungen der Telcos sind nicht akzeptiert worden. Die Leute zahlen mit Paypal, einfach weil Paypal am schnellsten zur größten Alternative geworden ist und den Markt aufgerollt hat. Den Banken droht ja derzeit, genau das Gleiche zu passieren.

Elmar Grasser: Die Telekommunikationsindustrie hat seit Jahren das Problem, dass bei einem sich jährlich verdoppelnden Traffic-Aufkommen trotzdem die Umsätze sinken. Das muss man als Unternehmen einmal auf Dauer durchhalten. Ich stelle mir nur vor, wir wären in der Energiewirtschaft oder im Handel tätig – man würde uns für verrückt halten. Ich möchte daran erinnern, dass jene OTTs, die wir aktuell an der Spitze sehen, ja nur der erfolgreiche, geringe Prozentanteil all jener sind, die sich an den neuen Märkten versucht haben. Hier ist schon wahnsinnig viel Geld verbrannt worden. Ich behaupte, dass die Telcos sich eher auf das konzentrieren sollten, was sie gut können.

Werner Kraus: Natürlich könnten wir hunderte Services anbieten, doch ist dies eine Frage der Glaubwürdigkeit. Warum sollte eine Telekommunikationsfirma einen eigenen Payment-Dienst erfinden, wenn es bereits so viele am Markt gibt? Ein Dilemma derzeit ist sicherlich auch, dass sich regional aufgestellte Telcos mit ihren nationalen Netzen einer überregionalen Marktregulierung unterwerfen müssen – wie es mit der Abschaffung der Roaminggebühren in der EU der Fall ist. Es muss den Telcos gelingen, ihrem regionalen Korsett zu entschlüpfen und ihren Erfolgsfaktor »Managed Connectivity« überall anzubieten. Ob das die Branche in Europa insgesamt schaffen wird, weiß ich nicht – solange die einzelnen Staaten Milliarden mit der Vergabe von lokalen Funklizenzen verdienen wollen.

Andreas Reich: Das Regulierungsdilemma betrifft auch den Datenschutz. Was ist der Unterschied zwischen Facebook und einem europäischen Telco? Facebook lässt sich von mündigen Konsumenten über seine Geschäftsbedingungen freistellen, persönliche Daten zu nutzen und weiterzuverkaufen. Einem Telco dagegen ist dies per Gesetz von vornherein untersagt. Die Branche kann damit per se kaum datengetriebene Geschäftsmodelle entwickeln und anbieten. Das verhindert in der Tat Innovationen.



Report: Was sind für Sie taugliche Werkzeuge und gute Beispiele für neues Geschäft?

Gerald Haidl:
Das ist ganz klar eine Service-Plattform, die zur Bereitstellung und Abrechnung von Diensten jeglicher Art an die Geschäftsprozesse eines Unternehmens angeschlossen wird. Dies kann unterschiedlichste Branchen und Kundenbedarf betreffen und auch sehr kleinteilige Verrechnungen unterstützen. Man kann hier Technologie aus der Telco-Branche sehr gut auch bei anderen einsetzen – von der Übermittlung von Gesundheitsdaten bis zum datengestützten Versicherungsmodell.

Wolfgang Platz: Eine sehr innovative Bank im Raum San Francisco hat durch unsere Software-Testing-Leistungen die Produktentwicklungszyklen von drei Monaten auf zwei Wochen reduziert. Diese Schnelligkeit ist in der digitalisierten Wirtschaft überlebenswichtig. Startups brauchen nicht einmal zwei Wochen dazu, die erneuern und verbessern unaufhörlich jeden Tag.

Werner Kraus: Das englische Versicherungsunternehmen Insure The Box arbeitet mit sogenannten »In-the-box«-Telematiksensoren , die den Autofahrern zur Verfügung gestellt werden, die mit unseren SIM-Karten aus Österreich ausgestattet sind. Vorsichtige und passive Autofahrer zahlen weniger. Ein anderes Beispiel aus Österreich: Das Transportunternehmen Wattaul hat seine Prozesse mit T-Mobile und dem Partner Plan.net digitalisiert. Fahrdisposition, Routenplanung und Fuhrparkmanagement passieren jetzt papierlos. Das hilft der Profitabilität in der hart umkämpften Logistikbranche.

Andreas Reich: Ein Beispiel aus dem IoT-Umfeld ist unser Produkt Cloud of Things, mit dem wir Maschinen dezentral kontrollieren. Dürkopp-Adler überwacht Nähmaschinen in einem Werk in Bangladesch von der Zentrale in Deutschland aus und hat damit Ausfallzeiten der Maschinen und Reisen seiner Servicetechniker verringern können.

Martin Resel: Wir haben mit Saratiba eine Softwarelösung entwickelt, die Ärzte in der onkologischen Behandlung unterstützt. Aus tausenden Fällen wurden Behandlungsfehler wie Unter- oder Spätdosierungen analysiert. Die Software kann nun optimale Behandlungsstrategien vorschlagen. Hier werden mithilfe der Digitalisierung sogar Leben gerettet.

Last modified onFreitag, 07 September 2018 14:42
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