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Umwälzungen auf der Langstrecke

\"GCA-ManagerHarald Stindl, Geschäftsführer Gas Connect Austria, im Report-Interview über aktuelle Baustellen im Marktgebietsmanagement, einen babylonischen Turmbau und das Thema Nabucco.


Report: Wie ist das Geschäftsjahr 2011 für Gas Connect Austria verlaufen? Welche Erwartungen haben Sie für den Geschäftsverlauf heuer?

Harald Stindl:
Die Projekte, vor allem der Ausbau der West-Austria Gasleitung, sind gut vorangeschritten und die Nachfrage nach Leitungskapazität entwickelte sich ausgezeichnet – vor allem in Richtung Ungarn. Die Zertifizierung der Gas Connect Austria als Independent Transmission Operator wurde erfolgreich initiiert, der Antrag liegt derzeit bei der EU- Kommission. Die Ergebnissituation war stabil auf hohem Niveau.
Für heuer erwarten wir ein turbulentes Jahr: Erstens müssen die Zertifizierungen der Gastransporteure Trans Austria Gasleitung (TAG GmbH) und Baumgarten-Oberkappel GasleitungsgmbH (BOG GmbH) abgeschlossen werden. Zweitens müssen die Weichen für das neue Marktmodell und die Agenden des Marktgebietsmanagers richtig und nachhaltig gestellt werden. Zusätzlich warten unsere Kunden auf die in der Struktur völlig neuen Entry/Exit-Fernleitungstarife, die voraussichtlich vier Jahre Gültigkeit haben werden, und auf die Entry-Kapazitäten an der Grenze, die derzeit Gas Connect Austria für den Inlandsmarkt hält. All dies sind Themen, die für die nachhaltige Ertragskraft des Geschäfts entscheidend sind.

Report: Wie wird sich der Gaspreis in den kommenden Monaten entwickeln? Von welchen Faktoren und Rahmenbedingungen hängt dieser Preis vornehmlich ab?

Stindl: Die Entwicklung des Gaspreises folgt den Entwicklungen an den europäischen Handelsmärkten für Gas sowie der Entwicklung der internationalen Preise für Öl- und Ölprodukte. Für die nächsten Monate des Jahres 2012 erwarten wir aus heutiger Sicht keine substanziellen Preisveränderungen.

Report: Welche Rolle spielt das Nabucco-Projekt für den Umschlagsplatz Baumgarten? Welche Marktveränderungen in Österreich erwarten Sie durch den Bau bzw. auch die konkurrierende Pipeline South Stream?

Stindl: Nabucco kann auch in der jüngsten Redimensionierung – sowohl vom Volumen her als auch vom Startzeitpunkt - für Österreich als Marktplatz und als Transitdrehscheibe ein Katalysator sein. Mehrere zusätzliche Gasquellen können für das Handelsvolumen Wunder wirken und für den Logistiksektor für umfangreiche Investitionen in zusätzliche Leitungen für den Weitertransport sorgen – mit bekannt positiven Auswirkungen für Arbeitsplätze und Steueraufkommen. Bezüglich South Stream kennen wir die definitive Route noch nicht. Sollte South Stream Baumgarten zum Endpunkt haben, so erwarten wir uns ebenfalls positive Auswirkungen, jedoch in geringerem Umfang.

Report: Gas Connect Austria wurde von der E-Control nun als Marktgebietsmanager des Marktgebietes Ost bestellt. Was sind die Herausforderungen für Sie dazu? Wo sind noch Baustellen, die es zu bewältigen gilt?

Stindl: Wenn Sie Baustellen erwähnen, fällt mir spontan eher der Turmbau zu Babel ein. Vielleicht ist das etwas übertrieben, jedoch gibt es im Marktgebietsmanagement (MGM) viele unterschiedliche Sprachen, die man verstehen muss. Zum einen die Sprache der Industrie, die gerne günstiges Erdgas von deutschen Hubs beziehen möchte und sich Unterstützung erhofft. Oder die Sprache des Regulators, der günstige Transportleistungen und mehr Wettbewerb und ein größeres Marktgebiet möchte und gleichzeitig an der Vorfront der regulatorischen Erneuerungen in Europa steht. Oder jene Projektgesellschaften, die in der Investitionsplanung eine entsprechende Berücksichtigung und Einbeziehung ihrer Projekte erwarten. Ein Esperanto für all diese Wünsche gilt es erst zu finden. Nachdem wir anders als die alten Babylonier unser Bauwerk jedoch zeitgerecht und zweckkonform beenden möchten, denke ich, dass wir zwei großen Herausforderungen gerecht werden müssen. Erstens den Markt davon zu überzeugen, dass wir als MGM die Rolle so erfüllen können wie erwartet: überparteilich und zukunftsorientiert. Zweitens, dass es uns gelingt, die operativen Anforderungen effizient und zeitgerecht zu erfüllen, wie zum Beispiel die Auktionsplattform, das Registrierungsmanagement und die Kapazitätenberechnung. Bei der Einführung und Etablierung der Austrian Gas Grid Management AG (AGGM) im Jahr 2002 haben wir uns als äußerst umsetzungsstark erwiesen; auch wenn dieses Mal der Zeitdruck sehr stark ist, hoffe ich, dass der Systemumstieg gelingen wird. Als ersten Schritt haben wir die interne Organisation des MGM definiert und sie mit den Ansprechpartnern für Externe auf unsere Homepage gestellt. Gleichzeitig haben wir die Arbeiten zum Netzentwicklungsplan mit der Teilnahme an der Planungskonferenz der AGGM gestartet und werden eine sogenannte „Stakeholder Joint Working Session“ abhalten. Auch das einheitliche Berechnungsschema zur Kapazitätsberechnung auf Fernleitungen haben wir bereits eingereicht.

Report: Gemäß EU-Vorgaben soll der Binnenmarkt für Strom und Gas bis 2014 umgesetzt sein. Dazu stellt das Gas Target Model eine Möglichkeit dar, wie diese zwischenstaatliche Zusammenarbeit funktionieren kann. Was sind aus Ihrer Sicht die Stärken, was die Schwächen dieses Modells? Ist der Zeitplan 2014 realistisch?

Stindl:
Ich denke, dass die Letztversion des Gas Target Models (GTM) – beziehungsweise der Modelle, denn es gibt ja einige Proponenten, die in Details voneinander abweichen - durchaus gelungen ist. Natürlich wissen wir auch, dass das Modell durch die regulatorischen Entwicklungen der letzten Jahre in Europa sozusagen prädeterminiert worden ist. In den USA ist das System anders, und dennoch belaufen sich die Gaspreise, wie einige Stimmen angemerkt haben, auf ein Drittel der europäischen - aber vielleicht oder wahrscheinlich aus anderen Gründen. Ein Zeitplan, der das GTM 2014 umgesetzt sieht, ist jedenfalls unrealistisch, da für eine länderübergreifende Marktbildung einheitliche Regeln in den einzelnen Ländern benötigt werden, und wir rechnen damit, dass der erste der neuen ENTSOG-Codes, jener über Kapazitätsallokation, erst Ende 2016 in Kraft treten wird (Anm. Regelwerk des Branchenverbandes „European Network of Transmission System Operators for Gas, ENTSOG“). Aber das Wesen des unverbindlichen Gas Target Models ist eine Richtschnur zu sein, an der die regulatorischen Maßnahmen gemessen werden – ob die Vision im Sprint oder über die Langstrecke erreicht wird, hängt eher von Länderspezifika ab.


Zur Person
Mag. Dr. Harald Stindl, geb. 1960, ist Geschäftsführer der Gas Connect Austria. Nach seiner Ausbildung an der Wirtschaftsuniversität Wien und unterschiedlichen Stationen in der Wirtschaft ist er seit 1989 bei der OMV tätig – zunächst in den Bereichen Exploration & Production sowie Raffineriegeschäft, ab 2001 in der Sparte Gas. Seit 2006 ist er Geschäftsführer der OMV Gas GmbH, die seit Anfang 2012 unter der Marke Gas Connect Austria auftritt (www.gasconnect.at). Stindl ist Mitglied des ENTSOG Board, der GIE und GTE Boards sowie Mitglied der Aufsichtsräte der MEGAL, der BOG und der AGCS.

 

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