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Im Wandel der Zeit

(+) plus: Herr Kemler, welche Branchenentwicklungen bestimmen die IT-Szene derzeit? Welche grundlegenden Veränderungen kommen auf die Unternehmen zu?
Rudolf Kemler: Ich sehe zwei wesentliche Trends die Branche derzeit bestimmen. Einer davon ist die logische Fortsetzung des bereits vor vielen Jahren begonnenen Zusammenführens der Informations- und der Telekommunikationstechnologien. Eindeutig auf dem Vormarsch sind dabei die Themen IP-Technologie und die Abwicklung des Sprachverkehrs darüber. Wenn auch die Entwicklung zu dieser Konvergenz durch die Provider aus Sorge um das eigene Sprachgeschäft einige Zeit künstlich gebremst worden ist. Diese Rücksichtnahme wird erst jetzt zugunsten besserer Geschäftsprozesse bei den Kunden aufgegeben werden. Nun geht es darum, Sprach- und Datennetze endgültig zu vereinen. Dadurch sind dann etwa Unternehmenslösungen realisierbar, die im Kundenverkehr ein automatisches Erkennen des Anrufers samt Anzeige der Kundenhistorie, offener Rechnungen und Anfragen ermöglichen. Der Kontakt zum Kunden wird damit bestmöglich genutzt - zu jedem möglichen Zeitpunkt.

Die zweite maßgebliche Richtung ist das Abgeben von Prozessen, die für ein Unternehmen nicht im Kernbereich liegen, an Professionalisten. Das Outsourcinggeschäft und der Zugang dazu haben sich innerhalb der letzten Jahre verändert. Standen in den Jahren 2002, 2003 stets Gesamt­übernahmen von IT-Systemen in den Unternehmen an der Tagesordnung, sind es nun die Spezialisten, die eine Segmentierung im Dienstleistungsgeschäft vorantreiben - dies auch als Reaktion auf den unterschiedlichen Zugang der Firmen zu den Auslagerungsmöglichkeiten. Früher wurde ja Outsourcing entweder bedingungslos geliebt oder abgrundtief gehasst, jeweils abhängig vom strategischen Stellenwert der IT im Unternehmen. Dies hat sich geändert. Heute wird der Betrieb ganzer Geschäftsprozesse hinterfragt. Eine neue Generation oft jüngerer Manager treibt diese Marktentwicklung mit. Ging es im Outsourcing bislang um Ressourcenverteilungen ins Rechenzentrum, reden wir heute bereits von der gesamtheitlichen Abwicklung von Geschäftsprozessen, wie etwa in der Buchhaltung. Gerade dort sind Dienstleistungen dieser Art ja nichts Neues: Viele kleinere Unternehmen haben ihre Lohnlisten seit langem komplett bei ihrem Steuerberater liegen. Es sind eher die großen Unternehmen, für die nun das Abgeben von Prozessen, die nicht Kerngeschäft sind, etwas Neues ist. Bereiche, in denen der Trend zum Outsourcing bereits greift, sind beispielsweise Interne Administration, Finanz- und Rechnungswesen oder das Forderungsmanagement. Ein gutes Beispiel ist die HypoVereinsbank in Deutschland, für die T-Systems in einem Joint Venture gerade wesentliche Teile der Wertpapierabwicklung des Privatkundengeschäfts umsetzt. Auch in österreich wird über solche Deals bereits nachgedacht. 2007 wird es definitiv Projekte dazu geben. Wir reden hier von einem deutlichen Markttrend.

(+) plus: Die alten Telekommunikationsunternehmen sind im Laufe der Zeit zu IT-Spezialisten geworden. Wie sehr hat T-Systems diesen Wandel durchgemacht?
Kemler: Wir waren hier von Anfang an zweigleisig unterwegs. T-Systems ist ja aus der Fusion der ehemaligen Daimler-Chrysler-Tochter Debis mit den Systemhausaktivitäten der Deutschen Telekom hervorgegangen. In dieser Konstellation sind wir vom ersten Tag an ein kräftiges, kompetentes Unternehmen in den Bereichen IT und Telekommunikation gewesen und beenden nun unser fünftes Geschäftsjahr. Damals schon hatten wir das Thema Konvergenz auf den Agenden, wenn man auch zu diesem Zeitpunkt mit konkreten Umsetzungen noch nicht ganz so weit war.

(+) plus: Auch über den IT-Dienstleistern schwebt das Damok­lesschwert der Konsolidierung. Welche Branchenbereinigungen erwarten Sie für 2007?
Kemler: Die Branche ist in ihrem Konsolidierungsprozess bereits relativ fortgeschritten, dieser ist aber keineswegs zu Ende. Es wird immer notwendig sein, ab einer bestimmten Unternehmensgröße von Economy of Scale zu reden. Die großen Marktteilnehmer tun sich hier leichter: Sie können mehr Kunden mit höherer Effizienz bedienen. Und gerade bei dem herrschenden raschen Technologiewechsel können Kleinere nicht mithalten. Sie schleppen oft Kapazitäten mit, die für die im Verhältnis geringere Kundenzahl überdimensioniert sind. T-Systems ist diesen Weg der notwendigen Fokussierung gegangen. Mit dem Verkauf der Distributionstochter DSS haben wir zwar neunzig Umsatzmillionen verloren, Hardwarehandel und Wartung sind aber eben nicht unser Kerngeschäft.

Auch wird Portfoliomanagement weiterhin groß geschrieben werden. Glaubten früher die Systemhäuser, sie könnten einfach alles anbieten und umsetzen, hat man bald bemerkt, dass dieser Ansatz nicht funktioniert. Schließlich muss meine Mannschaft erst einmal das Know-how für ein bestimmtes Projekt, eine bestimme Kundengruppe haben, um deren Sprache sprechen zu können. Auch geht es nicht mehr um die Diskussion um Bits und Bytes, sondern um die Frage, wo der Dienstleister Prozesse beim Kunden unterstützen kann.

(+) plus: Wenn Sie auf die vergangenen Jahre zurückblicken - welche Dinge sind besser gelaufen? Welche nicht so optimal?
Kemler: Wir haben die Aufstellung, IKT-Themen gesamtheitlich zu adressieren, gut gemeistert und unsere Synergiemöglichkeiten innerhalb des Unternehmens perfekt genutzt. Die Folgen sind bessere Kapazitäten in unseren Rechenzentren und die steigende Qualität in unseren Netzwerken, die den Betrieb von unternehmenskritischen Applikationen für unsere Kunden erlaubt. Bei Kunden wie dem Papierkonzern Sappi servicieren wir mit der übernahme der SAP-Systeme nicht nur die Buchhaltung, sondern auch Produktionssteuerungen in den Papierfabriken. Auch Wienerberger mit weltweit 120 Standorten setzt nun auf eine zentrale SAP-Lösung bei T-Systems. An Projekte solcher Dimensionen hätten wir uns aufgrund der begrenzten Leitungskapazitäten vor einigen Jahren noch nicht herangetraut. Heute können wir weltweit jede Last ermöglichen - ruhigen Gewissens.

Wenn ich an eine negative Erfahrung denke, dann betrifft dies die Internationalisierung des Geschäfts bei T-Systems. Die wachsenden Märkte in Zentral- und Osteuropa hätten in den letzten Jahren wesentlich stärker bearbeitet werden müssen. Stattdessen war die Deutsche Telekom nach dem Hype zu sehr mit dem Abbau der Schulden beschäftigt. In dieser Phase der öffentlichen Transparenz ist man auf die Expansionsbremse gestiegen. Dies hat mich persönlich geschmerzt, da ich auch für Länder dieser Region verantwortlich bin.

(+) plus: Serviceorientierte Architekturen in der Softwarewelt könnten den prognostizierten großen Wandel im Prozessmanagement beschleunigen. Mit welchen Erwartungen sehen Sie SOA entgegen?
Kemler: Wissen Sie, ich bin jetzt 25 Jahre in der Branche. Visionen zur totalen Modularität in den Systemen, wie es SOA verspricht, hat es immer schon gegeben. Wir bewegen uns zweifellos in diese Richtung. Diese angestrebte vollkommene Flexibilität wird es aber auch nicht in den nächsten Jahren geben, denn dazu ist die IT zu komplex. Mag sein, dass die Endgeräte zunehmend austauschbarer und modularer bespielbar werden - in den Systemen im Hintergrund ist dies aber ein gewaltiger Aufwand. Das beste Beispiel dazu sind die zunehmend kürzeren Innovationszyklen unter den mobilen Geräten. Hier passieren Produktänderungen in einer solch hohen Frequenz, dass Black-Box-Entwicklungen nicht mehr möglich sind.

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