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Neustart in Baden - Württemberg

In weiten Teilen Baden-Württembergs herrscht Verstimmung. Verstimmung darüber, dass die Bewährungs- und Gerichtshilfe erstmals von einem privaten Träger übernommen wird und dieser Verein noch nicht einmal ein deutscher, sondern ein österreichischer ist. Die aus dem ehemaligen Verein für Bewährungshilfe hervorgegangen Organisation Neustart wird ab 1.1.2007 für die nächsten zehn Jahren die Bewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg übernehmen.
Für Verwunderung sorgt in Deutschland auch die Tatsache, dass mit Ulrich Goll gerade ein Justizminister die Privatisierung antreibt, galten doch Sicherheit und Justiz bislang als Hort der Beamtenschaft. Da Goll aber nicht nur Justizminister ist, sondern auch FDP-Politiker ist er für Slogans wie \"Weniger Staat, mehr privat\" durchaus empfänglich. Von der Auslagerung der Gerichts- und Bewährungshilfe erhofft sich Goll das, was sich alle Unternehmen und Institutionen von Outsourcing-Projekten erhoffen: Eine Steigerung der Qualität bei gleichzeitiger Reduktion der Kosten. \"Bei derzeit 100 Probanden und mehr je Sozialarbeiter kann ein Bewährungshelfer den Probanden nur noch verwalten, aber nicht mehr qualifiziert betreuen\", sagt Goll und beschwichtigt die Kritiker, dass \"die Bewährungs- und Gerichtshilfe keine zwingend hoheitliche Tätigkeit, sondern in erster Linie Sozialarbeit von Mensch zu Mensch ist\".

Erfolgreiches Pilotprojekt
Die Entscheidung für Neustart ist nicht zuletzt dank einem erfolgreichen, zweijährigen Pilotprojekt in Stuttgart und Tübingen gefallen. Während dieser Pilotphase ist eine Führungsstruktur etabliert worden, die eine einheitliche Umsetzung der vorgegebenen fachlichen Standards sicherstellen soll. Sämtliche Mitarbeiter seien bedarfsgerecht geschult und mit der nötigen technischen Ausrüstung versorgt worden, heißt es aus dem Justizministerium Baden-Württemberg. Zudem soll ein von Neustart entwickeltes Programm die systematische und transparente Dokumentation der Betreuungsarbeit ermöglichen. Durch die Verknüpfung der Arbeitsbereiche von Bewährungs- und Gerichtshilfe hofft das Justizministerium auf einen flexiblen Personaleinsatz zwischen den beiden Bereichen.
Um die geplanten Kosteneinsparungen von zehn Prozent zu bewerkstelligen, setzt Goll auch auf den Einbau von ehrenamtlichen Helfern. Schon während der Pilotphase konnten mehr als 80 ehrenamtliche Bewährungshelfer gewonnen, bestellt und geschult werden. \"über dieses private Engagement freue ich mich besonders. Denn trotz strenger Aufnahmekriterien sind den ehrenamtlichen Bewährungshelfern mittlerweile bereits über 100 Probanden anvertraut\", so Goll. Die Einbindung von Ehrenamtlichen sei für den Reformprozess von wesentlicher Bedeutung, erklärt der Minister. Denn viele Probanden würden in erster Linie zeitliche Zuwendung und praktische Lebenshilfe, weniger aber spezifische fachsozialpädagogische Betreuung benötigen. Nach Auslaufen des Vertrages mit Neustart hofft Goll, dass 20 Prozent der Probanden von ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut werden.

Richtungsweisendes Projekt
Das Gesamtvolumen der deutsch-österreichischen Zusammenarbeit beträgt rund 60 Millionen Euro als fixes Entgelt für 10 Jahre und umfasst neben der Betreuung auch die Umgestaltung der Organisation sowie den technologischen Hintergrund. Für die Erbringung der Dienstleistung fallen rund 370 Beamte unter die Zuständigkeit von Neustart, wobei rund 150 davon während der Vertragslaufzeit fix von Neustart übernommen werden. Da sich das Entgelt jedes Mal bei Ausscheiden eines Beamten erhöht, ist im Endausbau, nach übernahme aller Beamten in ein Anstellungsverhältnis mit Neustart, von einem Jahresentgelt von rund 23 Millionen Euro auszugehen Einen Startschuss für einen weiteren Dienstleistungsexport ins benachbarte Ausland sieht Neustart-Geschäftsführer Wolfgang Hermann in der Kooperation mit Baden-Württemberg nicht. \"Nach der erfolgreichen Pilotphase werden wir uns jetzt voll und ganz auf dieses Projekt konzentrieren\", sagt Hermann. \"Im Vordergrund steht eine erfolgreiche Implementierung und nicht weitere Expansionspläne.\" Die Integration von 370 neuen Beamten, noch dazu außerhalb der Grenzen österreichs, zu den bestehenden 620 Mitarbeitern in österreich sei ohnehin eine große Herausforderung. Mit weiteren Expansionsplänen würde man an die eigenen Kapazitätsgrenzen stoßen, so Hermann.
Neben der Bewährungs- und Gerichtshilfe kümmert sich Neustart in Baden-Württemberg auch um den Täter-Opfer-Augleich, in österreich als außergerichtlicher Tatausgleich bekannt. Weitere Angebote aus dem Neustart-Portfolio sind nicht vorgesehen. \"Und das wird auch so bleiben\", sagt Hermann, der von Seiten der Baden-Württembergischen Justiz keine Anzeichen erkennen kann, weitere Dienstleistungen aus österreich zu importieren.

Unterstützung von ganz oben
Im österreichischen Justizministerium begrüßt man die Aktivitäten von Neustart außerhalb der Republikgrenzen. \"Der Export von Know-how, Ideen und Visionen ist auch eine Anerkennung für die Leistungen des Vereins Neustart in österreich\", sagt Christoph Pöchinger, Sprecher von Justizministerin Karin Gastinger, und verweist auf die intensive Zusammenarbeit zwischen Neustart und dem Justizministerium in den letzten Jahren. über die Skepsis der deutschen Kollegen ist Pöchinger verwundert, schließlich plane man in Baden-Württemberg sogar die teilweise Privatisierung von Gefängnissen. Dieser Schritt sei in österreich noch nicht einmal angedacht. Mit der Privatisierung der Bewährungshilfe hingegen hat man in österreich gute Erfahrungen gemacht. Und ein Modell, das sich in österreich über 50 Jahre lang bewährt hat, sollte auch in Deutschland funktionieren.

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