Rutschbahn in die neue Arbeitswelt
- Written by Martin Szelgrad
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Sind die moderne Arbeitswelt und ihre technischen Kommunikationsmittel Segen oder Fluch? Ansichten und Einsichten zur Organisation von Büro und Freizeit einer neuen Spezies des Büroarbeiters.
Als Microsoft im Oktober des Vorjahres in sein neues Büro in Wien einlud, staunte die IT-Branche nicht schlecht. Die früher streng abgeschotteten Stockwerke waren aufgebrochen und für Mitarbeiter ebenso wie für Besucher durchgängig gestaltet. Der klassische Schreibtisch als Arbeitsplatz war kurzerhand zum Minderheitenprogramm erklärt worden. Die Windows-Mädels und -Jünger können für ihren Arbeitsbereich frei zwischen Großraumbüro, einem der unterschiedlich eingerichteten Besprechungsräume oder der Privatsphäre in kleinen Kojen wählen. Zudem lädt im umgestalteten Büro auch noch eine Rutsche zum unkonventionellen Wechseln zwischen zwei Stockwerken ein. Die Rutschbahn ist ein Symbol für die neue Offenheit bei Microsoft. Das hätte man Microsoft, diesem Schlachtschiff der EDV-Industrie, gar nicht zugetraut. Doch zeigt sich: Der Softwarekonzern ist ebenso wie die gesamte Bürowelt im Wandel begriffen.
»Arbeit – das waren früher Tätigkeiten ausschließlich in der Fabrik, im Geschäft, in der Landwirtschaft. Sie begannen zu einem fix definierten Zeitpunkt, endeten ebenso abrupt und umfassten Arbeitsmaterial, das lückenlos vorgegeben war«, zieht Thomas Schmutzer, Geschäftsführer des Organisations- und Kommunikationsberaters HMP, den Vergleich. Heute dominieren All-in-Verträge und festgesetzte Arbeitszeiten gibt es für Selbstständige, Kreative und Wissensarbeiter längst nicht mehr. »Man erledigt die Arbeit, egal wann sie anfällt, auch am Wochenende«, ist Schmutzer bewusst. »Ich behaupte nicht, dass wir mehr arbeiten als andere Generationen, aber wir tun dies auf eine andere Weise, eher auf einer Ad-hoc-Basis.« Mobile Arbeitsplätze, allzeit bereit und immer online – das sind die Merkmale einer neuen Arbeitswelt. Gleichzeitig entwickeln sich die Begriffe Anwesenheit, Kernzeit und Feierabend mehr und mehr zu Fremdwörtern.
Mit der neuen Arbeitswelt besonders verbunden fühlt sich auch Thomas Hohenauer, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Tieto. Im skandinavischen Konzern ging der Schwerpunkt des Future Office vor drei Jahren so richtig los. Das Ziel: Um gegenüber den Kunden glaubhaft aufzutreten zu können, sollte die neue Welt des Arbeitens zuerst einmal am eigenen Leib ausprobiert werden. Heute sind Hohenauers Mannschaft und die internationale Kollegenschaft um einige Erfahrungen reicher. Aufgeben möchte man die hinzugewonnene Flexibilität auf keinen Fall mehr. So wurden die herkömmlichen Telefonielösungen durch eine zentrale Kommunikationsplattform auf Endgeräten wie PC, Notebook, Tablet und Smartphone ersetzt. Statusinformationen der Mitarbeiter in der Buddy-Liste am Bildschirm verraten, wer auf welche Weise erreichbar ist. Einen Mausklick später ist der Nutzer dann per Telefonie, Video oder Chat-Funktion mit dem Gegenüber verbunden. Integriert in diese Unified Communication ist auch die Möglichkeit der kollaborativen Arbeit an Dokumenten. Beim Einholen von Feedback bei Tabellen, Foldern oder Schriftstücken etwa liefert diese schnelle und einfache Methode eine komfortable Abkürzung. »Gerade in der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Standorten bringen die neuen Werkzeuge mehr Effizienz«, unterstreicht Hohenauer.
Der Trick mit den Reisekosten
Für dieses interne Projekt der Anschaffung neuer Kommunikationswerkzeuge schien es anfänglich auch bei Tieto schwierig, Geld aufzustellen. Die IT-Abteilung handelte daraufhin mit dem Finanzchef aus, die Budgets für Reisekosten zu vermindern und dafür in die Informationstechnologie zu investieren. Heute stellt sich die Frage nach der Finanzierbarkeit des modernen, mobilen Arbeitsplatzes längst nicht mehr. Flugmeilen werden nur noch in Ausnahmefällen gesammelt. Wer an einem internationalen Meeting teilnimmt, klappt lediglich sein Notebook mit Webcam auf. Während eine Effizienzverbesserung dank moderner Kommunikationsmittel oft nur schwer in Eurobeträgen messbar ist, sind Veränderungen in Reisebudgets allgemein nachvollziehbar. Der Budgettrick mit der Reduktion der Reisekosten klappt auch bei anderen Unternehmen, ist Hohenauer überzeugt.
Die modernen Kommunikations- und Kollaborationsmittel bergen auch Ästhetisches. »Das Schöne ist, dass mit der Möglichkeit, von überall aus zu arbeiten, die Work-Life-Balance steigt«, sagt der Tieto-Manager. Hohenauer überlässt seinen Mitarbeitern die Gestaltung ihres Arbeitstages weitgehend selbst. Sie können die Zeit und den Ort ihrer produktiven Phasen selbst wählen. Anwesenheitspflicht gibt es nicht. Dass dies aber nicht in jedem Unternehmen funktionieren würde, ist dem gebürtigen Innsbrucker klar. Denn Flexibilität und Mobilität im Arbeitsalltag fußen auf einem beidseitigen Vertrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Viele Unternehmen haben den großen Wert motivierter Mitarbeiter, die selbstverantwortlich im Tagesgeschäft agieren, erkannt. Dazu gehört auch, meinen Experten, abschalten zu können. Wer das nicht schafft, den kann der mobile Arbeitsplatz richtig quälen.
Schmutzer und Hohenauer sehen die zunehmende Relevanz der Attraktivität von Unternehmen und auch Führungskräften, um stets die besten Köpfe am Arbeitsplatz an sich binden zu können. Innovationskraft, ein fortschrittliches Arbeitsumfeld, Offenheit für Neues – sind diese Anforderungen erfüllt, steht dem Unternehmenswachstum dann nichts im Wege. Besonders junge Menschen seien darauf gefasst, sich im Laufe ihres Arbeitslebens mehrerer Jobs und Firmen anzunehmen. Effiziente Arbeitswerkzeuge sind da besonders wichtig. Die beiden orten deshalb klar auch den Trend zu »Bring Your Own Device« als Fixpunkt des Arbeitsplatzes von morgen. BYOD bedeutet die Abkehr von starren Vorschriften, nur bestimmte Geräte als Arbeitsmittel zuzulassen.
»Jüngere Jobanwärter von heute haben Computer & Co bereits mit der Muttermilch aufgesogen«, so Schmutzer. »Sie sind Internetbewohner, die gelernt haben, offen Informationen zu teilen, und zeichnen sich durch hohe Risikobereitschaft und schnelles Handeln aus.« Passendes Arbeitsumfeld für diese modernen Arbeiter können nun Unternehmen sein, in denen der Einzelne aktiv Veränderungen auch initiieren und beeinflussen kann, Firmen mit partizipativer und dialogorientierter Unternehmenskultur. »Doch auch ältere Arbeitskräfte nehmen den technologischen Fortschritt und das Internet äußerst ernst. Sie machen sich Sorgen, den Anschluss zu verlieren. Deshalb tun sie viel, um mit jeder Neuerung Schritt zu halten.«