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"Sehnsucht nach einer anderen Art von Organisation"

Foto: Sabine Pelzmann berät seit mehr als 15 Jahren Organisationen und Führungskräfte in Change-Prozessen und entwickelt reflexive Leadership-Programme Foto: Sabine Pelzmann berät seit mehr als 15 Jahren Organisationen und Führungskräfte in Change-Prozessen und entwickelt reflexive Leadership-Programme

Vernetzte Strukturen verlangen eine neue Qualität der Führung. Auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wartet mehr Verantwortung, aber auch viel Druck. Für beide Seiten eine Herausforderung, meint Unternehmensberaterin Sabine Pelzmann.

(+) plus: In vielen Unternehmen werden die Hierarchien flacher, Teams arbeiten häufig abteilungsübergreifend zusammen. Was bedeutet das für die Personalführung?

Sabine Pelzmann: Führung gewinnt an Bedeutung. Man muss künftig in Organisationen stärker schauen, wie Führung wahrgenommen wird, ob geeignete Personen in Führungsrollen kommen und wie diese Personen gut unterstützt werden können. Führung wird in flacheren Hierarchien sicher noch wichtiger.

(+) plus: Welche Personen sind »geeignet«? Welche Eigenschaften oder Kompetenzen müssen Führungskräfte mitbringen?

Pelzmann: Ich möchte den Fokus weniger auf Kompetenzen richten als auf die Haltung. Führungskräften muss ihre Rolle und ihr Auftrag bewusst sein. Führung ist eine Dienstleistung an der Organisation und den Mitarbeitenden. Führungskräfte müssen sich manchmal durchsetzen und Entscheidungen treffen, also wirklich diese Führungsrolle einnehmen. Ich kann nicht sagen, eine Frau oder eine Mann mit dieser oder jener Eigenschaft ist besser dafür geeignet. Es hängt von der Führungsaufgabe und vom Stadium, in dem sich die Organisation gerade befindet, ab, welche Kompetenzen die Führungskräfte benötigen. Ich denke, dass wir in allen Führungsrollen Menschen benötigen, die kreativ offen sind, nach einem klaren Wertegefüge leiten und ein gutes Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen mitbringen.

(+) plus: Muss man diese Fähigkeiten mitbringen oder kann man in diese Rolle auch hineinwachsen?

Pelzmann: Es gibt Grundfähigkeiten, die es erleichtern, aber Führung ist gewissermaßen auch ein Handwerk, das man erlernen kann. Zum Beispiel kann man lernen, Mitarbeitergespräche zu führen, Konfliktsituationen zu klären oder Maßnahmen zu setzen, damit sich die Organisation weiterentwickeln kann.

(+) plus: Von den Mitarbeitern wird mehr Selbstverantwortung gefordert. Aber wie können Führungskräfte mit diesem »Machtverlust« umgehen?

Pelzmann: Selbstverwaltete Teams oder Expertenorganisationen brauchen Führungskräfte, die das auch wirklich zulassen können und sich eher als Rahmengeber verstehen, damit die Mitarbeitenden sich selbst gut steuern können. Das erfordert natürlich auch ein anderes Verständnis von Führung – nicht mehr dieses Bild eines Partriarchen oder einer Partriarchin, die hart durchgreifen, sondern eine Bereitschaft, partizipativ zu führen und Talente bestmöglich zu fördern.

(+) plus: Ist das auch eine Sache des Vertrauens?

Pelzmann: In Arbeitsbeziehungen wird immer Vertrauen oder Misstrauen aufgebaut. Je nachdem, wie Führungskräfte und Mitarbeiter interagieren, stärkt es das Vertrauen oder führt zu Misstrauen und Angst. Daher ist es notwendig, dass Führungskräfte regelmäßig ihr Verhalten reflektieren. Eine narzisstische, misstrauische Führungskraft wird kaum ein Vertrauensklima aufbauen können. Solche Personen müssten zunächst an sich selbst arbeiten und sich fragen: Was löse ich mit meinem Verhalten aus?

(+) plus: Wie gelingt dieses »laterale« Führen auf Augenhöhe?

Pelzmann: Ich halte sehr viel von dualer und lateraler Führung, also, wenn mehrere Menschen gemeinsam eine Organisationseinheit leiten. Führungskräfte sind heute oft sehr isoliert. Die Welt ist so komplex geworden, dass es schwierig ist, ohne regelmäßigen Austausch Entscheidungen zu treffen.

(+) plus: Was zeichnet einen fairen Chef, eine Chefin aus?

Pelzmann: Ein fairer oder gerechter Chef ist jemand, der oder die den eigenen Auftrag im Blick hat und die Mitarbeitenden fördert, aber auch klar sagt, wenn jemand nicht in die Organisation passt.

(+) plus: Kommunikation ist das A und O in Unternehmen. Wie kann der Informationsfluss verbessert werden?

Pelzmann: Es geht darum, eine Vertrauenskultur zu schaffen. Wenn die Mitarbeitenden Angst haben, tauschen sie sich natürlich nicht untereinander aus. Es braucht eine sehr wertschätzende, respektvolle, ehrliche Kultur, in der es jedem und jeder zumut­bar ist, dass auch unangenehme Wahrheiten angesprochen werden. Voraussetzung ist eine klare Kommunikationsstruktur: Wer kommuniziert mit wem, wann, in welcher Form?

Es braucht auch ein Lernmodell, wie in der Organisation mit Kränkungen umgegangen wird. Wir arbeiten oft über viele Jahre mit anderen Menschen zusammen. In dieser Nähe können zwangsläufig tiefe Kränkungen entstehen, auch zwischen der Führung und Mitarbeitenden. Die Frage ist, wie beide Seiten damit konstruktiv umgehen und den Konflikt nicht so lange hinterher ziehen, bis die Zusammenarbeit schwierig wird. Das ist für Teams ein wichtiges Thema, dessen sich die Personalentwicklung annehmen sollte.

(+) plus: Unternehmen wollen Freiraum für Kreativität geben, andererseits sollen aufgrund der hohen Qualitätsstandards keine Fehler passieren. Ist das nicht ein Widerspruch?

Pelzmann: Einige Unternehmen versuchen schon, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 20 Prozent der Arbeitszeit für Entwicklungen, quasi »zum Spielen«, zuzugestehen. Das ist natürlich nur in Betrieben möglich, denen es wirtschaftlich sehr gut geht. Ich halte auch viel von Strategieworkshops oder Entwicklungslabors für lustvolles, gemeinsames Arbeiten, wo es nicht sofort um Output geht. Es erfordert aber eine hohe Bereitschaft der Eigentümer, solche Freiräume zuzulassen.

(+) plus: Unternehmen müssen Innovationskraft beweisen, um wettbewerbsfähig zu sein. Gleichzeitig verlaufen die Zyklen in der Wirtschaft immer schnelllebiger. Wie lässt sich dieser Spagat bewältigen?

Pelzmann: Der Druck ist extrem hoch. In der Personalentwicklung ist deshalb ein zentrales Thema, wie mit dieser Geschwindigkeit umgegangen werden kann. Die psychosomatischen Erkrankungen steigen massiv an. Dir Frage ist, wie können wir die Arbeit schaffen, ohne krank zu werden oder abzustumpfen? Das Bewusstsein für diese Frage ist in den Unternehmen teilweise schon vorhanden. Es wird darüber nachgedacht, welche Rahmenbedingungen benötigt werden, um gute Leistungen zu ermöglichen.

(+) plus: Letztlich geht es aber dennoch darum, die Unternehmensziele zu erreichen. Wie können die MitarbeiterInnen dafür motiviert und begeistert werden?

Pelzmann: Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss der Sinn ihrer Arbeit bewusst sein und sie müssen das Gefühl haben, ihre Arbeitsbedingungen und ihre Arbeitsprozesse mitgestalten zu können. Auch die Fehlerkultur im Unternehmen spielt eine große Rolle. Ich kenne ein Industrieunternehmen, das im Vorjahr zwei neue Vorstände bekam. Die eröffneten ihre erste Weihnachtsfeier mit einer Aufzählung, was sie in ihrem ersten Jahr alles falsch gemacht hätten. Da ging ein Ruck durch die Belegschaft. Das kann schon etwas verändern, wenn die oberste Ebene Fehler eingesteht und daraus lernt. Die Mitarbeitenden trauen sich dann auch eher, Fehler zuzugeben.

(+) plus: Wie könnte das Unternehmen der Zukunft aussehen?

Pelzmann: Es gibt eine Sehnsucht nach einer anderen Form von Organisation, die es ermöglicht, Ziele zu erreichen, aber auch die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu erfüllen. Es gelingt halt nicht immer so. Viele Unternehmen zeigen, dass es geht, wenn man statt der reinen Output-Orientierung auch soziale Ziele anstrebt. Das bewirkt auch unter den MitarbeiterInnen ein starkes Commitment.

(+) plus: Fällt Führungskräften das Verhandeln auf Augenhöhe mit Kunden leichter als mit MitarbeiterInnen?

Pelzmann: Es ist gar nicht so leicht, auf Augenhöhe zu verhandeln. Bei Videoanalysen von Verkaufsgesprächen zeigt sich oft, dass es stark vom Selbstverständnis und vom Selbstwert abhängt, wie man als Mitarbeiter einem Kunden gegenübertritt. Für die Mitarbeitenden bringt eine nicht-hierarchische Organisationsstruktur ebenfalls große Veränderungen. Sie arbeiten in größeren Gruppen, haben mehr Eigenverantwortung, sind aber vielleicht dennoch mit Kontrollmechanismen konfrontiert. Die Zugehörigkeit in der Organisation wird durch die wechselnden Teams flexibler und brüchiger. Das ist für die MitarbeiterInnen schon sehr herausfordernd.

www.pelzmann.org

Last modified onMontag, 02 Oktober 2017 14:28
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